Rail & Road

Europas wohl schlechteste Eisenbahngesellschaft

Ben West

Grossbritanniens Southern Rail wird von Streiks, Zugsausfällen und verzweifelten Pendlern geplagt.

Ich bin als Brite, der oft in der Schweiz weilt, immer wieder erstaunt, wenn ich Schweizer dabei beobachte, wie sie nervös werden, wenn ihr Zug oder Tram einige Minuten Verspätung hat und sie dabei besorgt auf ihre Uhren schauen. In Grossbritannien herrscht das pure Gegenteil. Dort sind wir überrascht, wenn ein Zug tatsächlich einmal pünktlich ist.

Darum nähme mich wunder, wie die Schweizer Pendler mit Grossbritanniens Southern Rail umgehen würden, die momentan in einem Sumpf von Missmanagement, Inkompetenz und Kummer versinkt.

Zwischen 1993 und 1997 ging der Besitz und Betrieb der Bahnlinien der British Rail von staatlicher Hand in private über. Southern Rail gehört zur Govia Thameslink Railway und ist eine der privaten Eisenbahngesellschaften, die heute Teile des britischen Bahnnetzes betreiben.

Wegen zunehmenden grossen Verspätungen, Bauarbeiten, personellen Engpässen und Arbeiterkonflikten ist Southern heute mit der Forderung konfrontiert, ihre Verantwortung abzugeben. Gerade neulich wurde die Firma von weiteren Problemen überschwemmt, wie anfangs Monat einem Loch, das unter den Gleisen entdeckt wurde, dem Einstellen einiger Linien nach London und einem Signalausfall an der Südküste, was zu noch mehr Störungen führte.

Wenig qualifiziertes Personal

Aktuell ist kaum einer von zwei Zügen pünktlich. Und als Höhepunkt der Wochen voller Ausfällen und Verspätungen wegen denen die Beziehung zwischen Southern, ihrer Belegschaft und den Passagieren mehr als nur gelitten hat, hat die Bahngesellschaft anfangs Juli auch noch angekündigt, 341 ihrer Verbindungen bis auf weiteres zu streichen. Das sind 15% der insgesamt rund 2300 täglichen Verbindungen von Southern. Die Gesellschaft hat zudem bekanntgegeben, dass vor September keine Aussicht auf die Wiederaufnahme ihres normalen Linienservices besteht.

Manche Verbindungen hat es härter getroffen als andere. Der Gatwick Express zum Beispiel fährt nicht mehr alle 15 Minuten bis zum Flughafen. Die stark belegte Pendlerroute von Milton Keynes nach Clapham Junction in London wurde sogar komplett gestrichen.

Southern war der Meinung, keine andere Wahl zu haben als ihr Streckenangebot zu beschränken. Dies wegen des andauernden Arbeiterkonflikts, der sich im Kern um den steigenden Einsatz von Zügen mit Einmannbesatzung dreht. Die Gewerkschaft der Bahnmitarbeiter, die RMT, ist der Meinung, dass das Ersetzen der ausgebildeten Zugschaffner durch weniger qualifiziertes Personal an Bord zu einem erhöhten Sicherheitsrisiko und zu vermehrten Jobverlusten führen wird.

Southerns Reaktion, einige Sozialleistungen zu streichen, führte zu einer sinkenden Moral der Mitarbeiter. Diese beklagen sich, dass diese Massnahme zusammen mit dem steigenden Stress am Arbeitsplatz zu mehr Krankheitsfällen führt, was den aktuellen Personalmangel noch verschlimmert. Die Anschuldigung von Southern und der Regierung, dass die vermehrten Krankheitsabwesenheiten eine Art inoffizielle Streikaktion seien, hat den gegenseitigen Groll nur noch verstärkt. Im April kam heraus, dass die Zugführer sich in einem Monat insgesamt mehr als 1000 Mal krank meldeten, was zu einem Durchschnitt von 83 Zugsausfällen pro Tag führte.

Denken Sie daran, wenn Ihr Zug 3 Minuten Verspätung hat

Die Eisenbahnministerin Claire Perry gab im Juli ihren Rücktritt bekannt, nachdem sich abzeichnete, dass ein Notfallfahrplan, der von Southern veranlasst wurde, die Verspätungen nicht verhindern konnte und das Internet überflutet war mit den leidvollen Berichten von Southern-Passagieren, die deshalb Flüge verpassen, ihre Arbeit verloren und nervenaufreibende Bahnfahrten hinter sich hatten.

Es dürfte im Internet zweifellos noch mehr Klagen geben. Denn die Pendler im Südosten von England werden einen fünftägigen Streik erdulden müssen, während dem gewisse Züge gar nicht fahren und andere schwerwiegende Verspätungen haben werden. Die Streitigkeiten könnten sich noch verschlimmern, denn zwei weitere Gewerkschaften, Aslef und die Transport Salaried Staffs‘ Association, haben gedroht, Zugführer und Bahnhofangestellte über ihre eigenen Streiks geheim abstimmen zu lassen.

Das nächste Mal also, wenn Ihr Tram in Zürich oder Ihr Zug nach Basel drei Minuten Verspätung hat, denken Sie an das Vereinigte Königreich: Dort wird ein besorgniserregend grosser Teil der Züge nämlich gar nicht ankommen.