Rail & Road

Auf dem deutschen Bahnstreckennetz ist in diesem Sommer der Wurm drin. Bild: Gina Sanders

Einwurf «Wir fahren erst weiter, wenn alle den Wagen Nummer 28 verlassen haben»

Silvia Schaub

Zugfahren kann in diesem Sommer in Europa, vor allem in Deutschland, ziemlich nervenaufreibend sein – eine Irrfahrt von Brüssel via Frankfurt in die Schweiz.   

Meine Freundin hatte mich ausdrücklich gewarnt: «Die Züge in Deutschland haben immer Verspätung. Immer!» Und so standen wir kürzlich in Bruxelles-Nord am Bahnhof und wollten unseren ICE-Zug nach Frankfurt mit Weiterfahrt in die Schweiz besteigen. Aber oha! Die erste Überraschung erleben wir, bevor es überhaupt losgeht. Steht zunächst noch «Gleis 4» auf der Anzeige, erscheint plötzlich die Mitteilung: «Départ de Liège-Guillemins»! Nun, das liegt zwar an unserer Route, ist aber dreiviertel Stunden Zugfahrt entfernt ... Und der nächste Zug fährt erst in einigen Minuten in diese Richtung. Aus den Gesprächsfetzen der ebenfalls gestrandeten Mit-Passagiere vernehmen wir, dass dort dieser Zug unseren ICE abwarten soll – und der Grund die Entschärfung einer Fliegerbombe sei ...

Tatsächlich steht in Liège-Guillemins der Frankfurter-Zug auf dem Gleis gegenüber – immerhin kein hektisches Kofferschleppen durch verstopfte Unterführungen. Also setzen wir uns auf die reservierten Plätze. Mit knapp einer Stunde Verspätung fährt er los. Falls alles gut läuft und der Zug etwas Zeit aufholt, sollten wir den Anschluss in Frankfurt Richtung Schweiz noch erwischen. Doch das Unheil geht gleich weiter, als der Zugführer folgende Mitteilung durchgibt: «Alle Passagiere des Wagens Nummer 28 werden gebeten, den Wagen aufgrund der ausgefallenen Klimaanlage sofort zu verlassen.» Das Gedränge um die letzten freien Plätze geht los.

«Die Verspätung schwillt von Minute zu Minute an.»

Derweil tuckert der Zug durch die Landschaft, als wäre er eine S-Bahn und nicht ein ICE. Die Verspätung schwillt von Minute zu Minute an. Kurze Zeit später meldet sich der Zugführer abermals mit der Ansage, dass man in Köln so lange warten würde, bis wirklich alle den Wagen 28 verlassen hätten. Also stehen alsbald Dutzende von Passagieren mit teuer gebuchten 1. Klasse-Tickets in den Gängen. Natürlich trödelt der Zug auch in Köln. Ob er wohl noch andere verspätete Züge abwartet?

Im Schritttempo durch Köln – immerhin lassen sich die Plakate lesen. Bild: SC

Natürlich ist der Anschlusszug in Frankfurt längst über alle Berge, als wir dort mit bald zwei Stunden Verspätung ankommen. Unsere reservierten Sitzplätze können wir in den Kamin schreiben. Mit Glück ergattern wir einen Sitzplatz im nächsten Zug, der sich als Sammelbecken mehrerer verspäteter Züge erweist, und hoffen, dass niemand ein Anrecht auf die Plätze vorweisen kann. Nach Mannheim erfolgt wieder ein längerer Stopp. Immerhin informiert uns das Zugpersonal, dass der Zug nicht weiterfahren könne wegen Personalmangels beim Stellwerk. Es sind also nicht nur die vielen Baustellen auf der Strecke, die die Zugreise in Deutschland derzeit so anspruchsvoll machen.

Es ist bewundernswert, wie das Personal in den meisten Fällen ihre Contenance wahrt und freundlich bleibt, obwohl ihnen zuweilen einige Fluchworte entgegenfliegen. Je höher die Temperaturen, je häufiger scheint der Kragen mancher Passagiere zu platzen. Und der nächste Zwischenfall lässt nicht lange auf sich warten. «Falls sich ein Arzt im Zug befindet, bitte sofort in den Wagen 6 kommen», ruft der Zugbegleiter nervös aus. Kurze Zeit später: «Es hat jetzt genug Ärzte!»

Im Badischen Bahnhof dann das endgültige Aus: Der Zug kann wegen des medizinischen Notfalls nicht weiterfahren. Am Perron gegenüber stehe der nächste nach Basel. Aber einer ohne jegliche Lüftung und mit gefühlten 50 Grad Innentemperatur ... Ein Wunder fast, dass wir diese Zugreise durch Deutschland unbeschadet und mit nur mit wenigen Stunden Verspätung überstehen.