Rail & Road

Gemütlich, unkompliziert, umweltschonend und möglicherweise auch preislich attraktiv: Nachtzüge sind plötzlich wieder im Aufwind. Bild: AdobeStock

Kommentar Schlägt jetzt die Stunde der Nachtzüge?

Jean-Claude Raemy

Die stark steigenden Treibstoffpreise bereiten vielerorts Sorgen. Reisende stellen sich auf höhere Flugpreise ein, doch auch die Ferien im eigenen Auto werden teurer. Das könnte den Bahnreisen Aufschwung verleihen.

Modernes Reisen basierte lange Zeit auf dem Primat der Geschwindigkeit. Schnell - und spätestens mit Aufkommen der Low-Cost-Carrier auch günstig - zu verreisen, war die neue Normalität. Selbst innerhalb Europas, wo das Zug-Netzwerk relativ gut ausgebaut ist, wurden die langen Überlandstrecken zeitweise kaum noch in Anspruch genommen, weil es so komfortabel war, schnell für Hundert Stutz nach Barcelona zu fliegen, statt dafür 10+ Stunden in einem Zug zu verbringen, in welchem die Reise zudem meist noch teurer war.

Zuletzt gab es aber eine Art Renaissance der Nachtzüge. Das Thema war bereits 2019 auf dem Tapet (Travelnews berichtete), weil damals die Themen Overtourism und Nachhaltigkeit im Fokus waren. Während sich Overtourism wegen der Pandemie deutlich abschwächte, wurde der Fokus auf Umweltschutz und Entschleunigung in der Pandemie sogar noch verstärkt. Das verstärkte die Nachfrage für Nachtzüge: Im Juni 2020 gingen die ÖBB-Nightjets nach dem Pandemie-Unterbruch voller Optimismus wieder an den Start, während die SBB im August 2020 ihre Rückkehr ins Nachtzug-Business verkündeten.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Nicht nur ist man umweltschonender unterwegs, sondern kann ohne grosse Formalitäten von Stadtzentrum zu Stadtzentrum reisen, mit so viel Gepäck wie man will, und geniesst Bewegungsfreiheit an Bord. Und wenn über Nacht gereist wird, kann man ein eigenes Schlafabteil haben, und sich im Restaurantwagen à la carte verpflegen. Geschäftsreisende können die Zeit auch gut fürs Arbeiten nutzen. Doch natürlich hilft die Zugreise auch nicht, die Unsicherheit beim Grenzübertritt zu überwinden, und so wurde natürlich auch der internationale Bahnverkehr von der Pandemie getroffen, gerade die SBB haben die Corona-Krise deutlich gespürt.  

Doch nun spielt ein weiteres Argument in die Hände der (Nacht-)Züge: Die massiv steigenden Treibstoffpreise. An vielen Schweizer Tankstellen machte der Literpreis für Bleifrei wie auch für Diesel in den letzten Tagen riesige Sprünge, da wurden pro Liter gut und gerne 20 Rappen mehr verlangt. Da nicht unmittelbar mit wieder sinkenden Rohölpreisen zu rechnen ist, erfasst das Thema der Verteuerung nun auch die Luftfahrt, wie Travelnews gestern bereits berichtete. Und wer Autoferien plante, wird nun wohl mit saftigen Benzin-Zusatzkosten rechnen müssen, die auf die Mautgebühren und allfälligen Parkplatzkosten vor Ort zugeschlagen werden. Selbst die Reise im Mietwagen, bei denen Preiserhöhungen ohnehin schon ein Thema waren (Travelnews berichtete), wird nun nochmals teurer.

Die grosse Chance der Bahnen

Die Folge? Manch einer dürfte sich jetzt wieder vermehrt dem Nachtzug-Segment zuwenden. Klar, die Nachtzüge haben noch viel Verbesserungspotenzial, wie etwa der frühere SBB-Chef Benedikt Weibel gegenüber Travelnews ausführte (im August sowie nochmals im Dezember 2021). Ausserdem ist der Preis immer noch ein wichtiger Faktor. Einige der aktuell vorhandenen Nachtzüge sind ja zudem eindeutig dem Luxussegment zuzuweisen - etwa der Venice-Simplon-Orient-Express von Belmond oder der Caledonian Sleeper und weitere - und somit mehr ein exklusives Erlebnis als eine richtige Alternative für herkömmliche Ferienreisende. Doch das Angebot an «normalen» Nachtzügen wächst. Und das Verbot (oder zumindest die Androhung davon) von Kurzstreckenflügen in immer mehr Ländern, darunter Deutschland und Frankreich, trägt zu diesem Wachstum bei.

Der besondere Anreiz liegt wohl am meisten darin, dass die Reise im Nachtzug ein vergleichsweise einfacher Prozess ist. Die ganzen Umstände von Flugreisen, von den Schlangen am Check-in und an der Security über das komplizierte Ticketing bis hin zu den manchmal klaustrophobischen Zuständen im Flugzeug, zeigen eigentlich vor allem, dass man in der Reisewelt wieder auf «Simplicity» setzen sollte. Da bieten erdgebundene Fortbewegungsmittel einfach mehr Möglichkeiten, die nun der «Convenience» der schnelleren Reise entgegentreten. Entschleunigtes Reisen ist eh ein neues Gebot. Nachtzüge fahren teils sogar extra etwas langsamer, damit die Passagiere die ganze Nacht durchschlafen können und entspannt ankommen. Die interkontinentalen Reisen oder auch Reisen auf Inseln werden damit kaum ersetzt (obwohl man früher mit dem Nachtzug auch nach London konnte und dieser vor der Eröffnung des Eurotunnel auf eine Fähre verladen wurde...) - aber für Reisen innerhalb des europäischen Kontinents sind die Vorzeichen für den Bahnverkehr gut wie seit langem nicht mehr.