On The Move
Einwurf Wie uns Billig-Airlines das Fliegen ruiniert haben
Raphaël SurberFrüher, ja früher war alles besser. Und ich spreche nicht von damals, als hochmodisch gekleidete Stewardessen adrett durch die Reihen glitten, zigarrenrauchende Snobs an ihrem Old Fashioned nippten und die Fliegerei insgesamt – zumindest rückwirkend betrachtet – wie ein kurioses Schaustück aus der fiktiven 50er-Jahre-Sitcom Pleasantville daherkam. Das würde ich nicht als «besser» bezeichnen. Ich rede von der Zeit, als es noch keine Billigflieger gab.
Heute, so lässt ein Blick in die Blogspalten dieser Welt erahnen, ist die Fliegerei für Passagiere nur noch eine Qual und etwas, das es auf jeden Fall zu vermeiden gilt. Eingepfercht in einen viel zu engen, unbequemen Sitz in einer fliegenden Konservendose, mit dem Nachbarn um die Armlehne streitend und einem Bordservice, dass einem übel werden könnte. Aber hey, was haben Sie erwartet für die paar Mücken, die Sie für Ihr Ticket gezahlt haben?
Nun, ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Oder zumindest nicht immer. Doch seit es Billig-Airlines gibt, ist es definitiv nicht besser geworden.
Now everyone can fly. Ja, leider.
AirAsias Claim «Now Everyone Can Fly» ist nämlich nicht nur das Versprechen einer der grössten und erfolgreichsten Low Cost Carrier, es ist gleichsam eine Drohung und die perfekte Beschreibung für das Dilemma, welches die Fliegerei heute teils zur Hölle im Sartre’schen Sinn macht. Während früher das Besteigen eines Flugzeuges einherging mit der Wahrung einer bestimmten Etikette, führt heute der Umstand, dass nun wirklich jeder x-beliebige Depp in ein Flugzeug steigen und von A nach B fliegen kann, dazu, dass ebendiese Etikette vor die Hunde geht.
Das fängt beim Ignorieren offizieller Vorschriften an, etwa, dass den Anweisungen des Personals auf jeden Fall Folge zu leisten ist – und endet bei den ungeschriebenen Gesetzen des friedvollen Nebeneinanders in einem Flugzeug. Die braucht es, denn schliesslich ist eine Reise gerade in der Economy heute beengend und anstrengend genug.
Ein paar davon sollen hier deshalb in Erinnerung gerufen werden. Wir haben Sie der Einfachheit halber gemäss dem Verlauf einer Flugreise angeordnet:
Boarding – aller Anfang ist schwer
Boardings verlaufen üblicherweise nach klaren Regeln, die sich aus logischen Überlegungen der Airlines und/oder der Ticketklasse, die Sie gebucht haben, ergeben. Darum: nicht drängeln beim Boarding. Wir haben alle dasselbe Ziel – nämlich ins Flugzeug zu kommen, welches in aller Regel erst abfliegt, wenn alle drin sind. Mit der gleichen Geschwindigkeit für alle, an den gleichen Ort.
Lassen Sie Ihr Lamm-Curry zuhause
Bringen Sie kein selbstgemachtes Essen, Reste vom Vortag oder Fastfood mit an Bord. Wenn Sie auf dem fliegenden Kurztrip unbedingt etwas essen müssen, kaufen Sie sich was an Bord. Es sei denn, sie sind mit AirAsia unterwegs. Dann unterlassen Sie auch das. Die Geruchsemissionen sind einfach zu garstig und Sie verderben damit den 10 Sitzreihen vor und hinter Ihnen den Appetit für 24 Stunden.
Warum Handgepäck Handgepäck heisst
Schon Bill Bryson sagte: Never buy anything you can’t make your children carry. Für Handgepäck gibt es internationale Vorschriften – trotz feiner Abweichungen derselben zwischen den verschiedenen Airlines gilt: Wenn Ihr Handgepäck nicht durch den Flugzeuggang passt oder Sie es nicht selber schaffen, Ihr Handgepäck im Gepäckfach zu verstauen, dann lassen Sie es zuhause oder besorgen Sie sich ein kleineres, leichteres Stück.
R wie Rückenlehne – I
Sofern Sie Economy reisen, gilt: Stellen Sie niemals Ihre Rückenlehne zurück. Wirklich niemals. Das bisschen vermeintlich zusätzlicher Komfort ist nichts im Vergleich zur Kettenreaktion, die Sie damit auslösen. Sie zwingen alle Passagiere hinter sich dazu, sich entweder noch unwohler zu fühlen oder – Ihnen gleich – das Problem einfach weiterzureichen, indem sie den Sitz ebenfalls runterklappen. Das Zurückstellen des Sitzes bei den herrschenden Platzverhältnissen im Flugzeug ist und bleibt ein invasiver Akt und eine territoriale Kampfansage an Ihre Mitreisenden. Falls Sie zu den Menschen gehören, die aus gesundheitlichen Gründen zwingend die Sitzlehen zurückstellen müssen, dann fragen Sie den Mitreisenden hinter sich wenigstens vorher, damit er von Ihrem raumgreifenden Egoismus nicht überrascht wird und sich wehren oder sich zumindest vorbereiten kann.
R wie Rückenlehne – II
Die Rückenlehne des Sitzes vor Ihnen gehört der Person, die auf diesem Platz sitzt. Lassen Sie also die Finger davon und benutzen Sie sie nicht als Aus- oder Einstiegshilfe in Ihre eigene Sitzreihe. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Fall, dass Sie sich auf dem Weg zum Klo befinden: Sie brauchen sich nicht an jeder Lehne, an der Sie vorbeikommen, abzustützen. Wenn sie nicht standfest genug sind, um den Gang aufs Klo zu schaffen, entleeren Sie sich bitte VOR dem Flug.
Füsse – ein ganz heikles Thema
Knapper Sitzabstand hin oder her – Ihre Füsse gehören nicht auf die Armlehne des Vordersitzes. Niemals! Wenn Sie ausserdem zu Ausdünstungen neigen, behalten Sie bitte Ihre Schuhe an.
Besinnen Sie sich auf Ihre Privatsphäre
Man kann grundsätzlich sagen, dass alles, was sie sonst nur zu Hause in Ihrem Badezimmer unter Ausschluss der Öffentlichkeit machen, auch nur dort erledigt werden sollte. Dazu gehören insbesondere Mani- und Pedicure. Dass man Ihnen den Nagelklipper im Handgepäck beim Sicherheitscheck gerade noch einmal hat durchgehen lassen, bedeutet nicht, dass Sie ihn auf dem Flug einsetzen sollten.
Fasten your seatbelt
Die Empfehlung, den Sicherheitsgurt von Anfang bis Ende geschlossen zu halten, wurde nicht erfunden, um Sie zu ärgern. Verletzt werden bei Turbulenzen fast ausschliesslich die Passagiere, welche nicht angegurtet sind. Und machen Sie sich bewusst, dass Ihr Flugzeug auch dann (bzw. dann erst recht) noch einen Zusammenstoss erleiden kann, wenn es gelandet und auf dem Weg zum Gate ist. Und zwar bis zur Parkposition! Wenn Sie wissen wollen, was in so einem Fall mit Passagieren ohne geschlossenen Sicherheitsgurte passiert, fahren Sie doch mal mit Ihrem Auto unangeschnallt und ungebremst in eine Mauer. 5km/h reichen da schon.
Dieser Gangplatz kommt mit Pflichten
Sie denken, der Platz am Gang ist ein Jackpot, weil Sie die Füsse strecken und jederzeit aufstehen können? Lassen Sie es. Beides. Ersteres auf Rücksicht auf die hart arbeitenden Crewmitglieder, Letzteres ganz generell. Ausser, Sie müssen Platz machen für einen Sitznachbar, der aufs Klo muss. Dann stehen Sie aber bitte richtig auf, treten Sie zur Seite und ersparen Sie ihm die Scham, mühselig und unter wildesten Verrenkungen über Sie hinwegsteigen zu müssen (siehe auch R wie Rückenlehne – I).
Aussteigen – alles zu seiner Zeit
Siehe auch Boarding: Wir haben alle dasselbe Ziel, also bewahren Sie Ruhe und warten Sie, bis Sie an der Reihe sind, auszusteigen. Bis dahin können Sie auch entspannt sitzenbleiben. Stellen Sie ausserdem sicher, dass Sie Ihr viel zu grosses Handgepäck beim Ausladen nicht dem Vordermann an den Kopf schleudern – auch wenn dieser idiotischerweise ebenfalls schon aufgestanden ist und nun dumm im Gang rumsteht und wartet, bis es vorne losgeht. So wie Sie.
Kampfzone Kofferband
Sie haben den Flug einigermassen schadlos überstanden, jetzt warten Sie am Gepäckband auf Ihre Koffer. Seien Sie sich der Tatsache bewusst, dass alle anderen Menschen, die gerade den selben fürchterlichen Flug hinter sich gebracht haben, nur deshalb mit Ihnen am gleichen Gepäckband stehen, weil auch sie ihre Koffer abholen möchten. Drängeln Sie also nicht vor, warten Sie mit gebührendem Abstand zum Band auf Ihr Gepäck und rammen Sie den anderen Wartenden nicht pausenlos den Gepäcktrolley in die Ferse. Ach, und wenn jemand vor Ihnen seinen Koffer gefunden und vom Band gehievt hat, machen Sie Platz, damit dieser die Kampfzone verlassen kann.
Und zum Schluss: R - E - S - P - E - C - T
Wie gesagt kann Fliegen heutzutage ganz schön aufwühlend und nervenaufreibend sein. Bewahren Sie also jederzeit Ruhe und zollen Sie Ihren Mitmenschen den Respekt, den auch Sie sich von ihnen wünschten. Es ist falsch zu glauben, dass für jeden gesorgt ist, wenn jeder für sich selber sorgt. Verkneifen Sie sich Ihren Egoismus für ein, zwei Stunden und lassen Sie nicht zu, dass Ihre Manieren linear zum Flugpreis abnehmen.
Denn mit etwas Anstand, gesundem Menschenverstand und Rücksichtnahme kann jeder Flug zu einem angenehmen Erlebnis werden – selbst einer mit einer Billig-Airline.
(Dieser Einwurf erschien in einer kürzeren Version bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf Travelnews.)