On The Move
Tested Mit Amtrak vom tiefen Süden bis ins Herz von Chicago
Walter DenzNiemand von meinen amerikanischen Freunden hat jemals den Amtrak benutzt, gespannt warteten diese deshalb nach unserer Ankunft in Chicago auf mein kritisches Feedback. Die Strecke «City of New Orleans» gehört zu den 14 Scenic Routes, die Amtrak versucht, touristisch zu vermarkten. Für die rund 1500 Kilometer zwischen New Orleans und Chicago braucht der Dieselzug knapp 20 Stunden.
Wir starten im warmen Süden. Gleich nach der Abfahrt fällt der Superdome ins Auge, danach geht es erstmals durch die Sümpfe im Mississippi-Delta. Wer keinen Fensterplatz hat, wechselt ins Obergeschoss zum Panorama-Wagen, eine nicht originalgetreue Kopie des Glacier Express.
Zu Elvis und Martin Luther King
Wir durchqueren den ärmsten Bundesstaat der USA, Mississippi, bevor wir in den Abendstunden die Stadt Memphis im südwestlichen Zipfel von Tennessee erreichen. Wir werden 48 Stunden in der Stadt am Ufer des Mississippi verbringen, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Dennoch lohnen sich Besuche nach Graceland (Elvis Presley) und ins National Civil Rights Museum, das sich in dem umgebauten Lorraine Motel befindet, in dem Martin Luther King 1968 erschossen wurde.
Einen Besuch wert ist auch das Rock & Soul Museum, gleich neben der einzigen wirklichen Attraktion in Downtown Memphis, der Beale Street mit ihren vielen Music-Bars. Man fühlt sich zurückversetzt in die 50er-Jahre, in die Zeit von B.B. King, Louis Armstrong, Jerry Lee Lewis und einmal mehr Elvis Presley. Tina Turner ist übrigens unweit von Memphis aufgewachsen. Das Cotton Museum in der ehemaligen Baumwollbörse war leider geschlossen. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht, zwischen Shutdown und Thanksgiving aufzusperren.
Touristen verirren sich selten nach Memphis, statistisch die US-amerikanische Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate. Auf Nachfrage bestätigt der Concierge im Hyatt Centric, dass die Stadt für Touristen nicht gefährlich sei. Wir glauben es. Memphis ist berühmt für BBQ, und das Brisket im BBQ Central ist wirklich sehr lecker, das Geschirr und Besteck wie an vielen Orten in den USA leider aus Plastik. Wer nicht auf Maisbrei steht, sollte um die Beilage mit dem Namen Grits einen weiten Bogen machen.
Die Weiterfahrt vom winzigen Bahnhof Memphis nach Chicago dauert die ganze Nacht, in den Morgenstunden fahren wir durch endlose Vororte der Windy City, bis unser Zug gegen 9 Uhr in der Union Station eintrifft. Wir kennen Chicago bereits. Loop, Hochbahn L, Michigan-Uferpromenade und die Kanäle sind aber immer wieder eine Reise wert. Trump-Fans buchen – natürlich – den Trump Tower mitten in der Stadt.
Das bieten die Amtrak-Züge
Auf dem ersten Abschnitt der Reise haben wir den Private Bedroom gebucht (zwei Betten übereinander, Sessel, mit Dusche/WC), danach die Roomette (zwei Couchettes übereinander, wenig Platz, ohne Dusche/WC). Beide Varianten gelten bei Amtrak als First Class: Abendessen und Frühstück sind inklusive und können wahlweise im Dining Car oder am Platz eingenommen werden. Das Essen kommt aus der Mikrowelle, lieblos präsentiert, natürlich mit viel Plastikgeschirr. Zwischen den Mahlzeiten kann man auch etwas aus dem Bistro kaufen – lieber mit Bargeld, wie wir festgestellt haben.
Eine Fahrt mit Liegemöglichkeit ist nicht ganz billig. Die Roomette kostet für die ganze Strecke zwischen 300 und 600 Dollar (für zwei), der Private Bedroom kann bis zu 900 Dollar kosten (für zwei). Die Preise sind dynamisch und die Möglichkeit, für ein Upgrade zu bieten, erscheint in der Regel zwei bis drei Tage vor Abfahrt.
Da alle Betten im oberen Stockwerk liegen und die Schienen wahrscheinlich noch aus der Gründerzeit stammen, kann es ganz schön holprig werden. Weil das Internet im Zug in der Regel nicht funktioniert, lohnt es sich, vor der Reise Filme auf das eigene Gerät herunterzuladen (Adapter nicht vergessen) oder einfach ein paar Bücher einzupacken. Oder man geniesst die Aussicht des amerikanischen Südens.
Kontakt zu anderen Reisenden zu knüpfen, ist super einfach, wir sind ja in Amerika! Eine willkommene Gelegenheit, unseren amerikanischen Freunden ins Gesicht zu sagen, was wir von Donald Trump halten.
Unkomplizierte Grenzbehörden
Zu den Annehmlichkeiten von Amtrak gehört die Möglichkeit, das Gepäck am Bahnhof einchecken zu können, um es am Endbahnhof wieder entgegenzunehmen. Die First-Class-Lounges an den Bahnhöfen könnten hingegen alle ein Upgrade ertragen. Wir fanden den Zug inklusive der öffentlichen Toiletten sauber. Das Personal ist unterschiedlich kompetent, aber in der Regel sehr gesprächig. Rauchpausen sind an gewissen Bahnhöfen vorgesehen, an anderen nicht. Alkoholische Getränke können problemlos konsumiert werden.
Sowohl die Einreise in New Orleans als auch die Ausreise in Chicago gestalteten sich schnörkellos, die Grenzbehörden waren unkompliziert, gut drauf und wünschten uns einen tollen Aufenthalt und eine gute Heimreise. Wir flogen mit British Airways, Zürich - London - New Orleans // Chicago - London - Zürich. Den Amtrak haben wir über die App gebucht. Fazit: Die USA sind immer eine Reise wert, auch heute!