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«Diese Attacke hat mich persönlich stark getroffen»
Reto SuterDer Abgang kam für viele überraschend: Nach rund sechs Jahren hat Andy Gantenbein Aerticket, den führenden Flugticket-Distributor Europas, per Oktober 2025 verlassen (Travelnews berichtete). Der Airline- und Touristik-Experte baute die Märkte Schweiz, Frankreich und Belgien auf und entwickelte sie in den vergangenen Jahren erfolgreich weiter.
Mit seiner strategischen Handschrift und seinem Netzwerk prägte er das Geschäft von Aerticket in Westeuropa. Nun orientiert sich einer der profiliertesten Köpfe der Schweizer Tourismus-Branche neu. Es sei die Zeit gekommen, sich neuen Herausforderungen zu stellen, schrieb Gantenbein in seiner Abschiedsbotschaft. Im Interview mit Travelnews spricht er über seine Aufbauarbeit, prägende Erfahrungen – und er verrät, wohin ihn sein nächstes berufliches Kapitel führen könnte.
Herr Gantenbein, nach sechs Jahren bei Aerticket ziehen Sie weiter. Was sind die Gründe für Ihren Abgang?
Andy Gantenbein: Es war kein einzelner Auslöser, sondern das Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Die vergangenen Jahre waren sehr arbeitsintensiv: Corona, der Aufbau in den Märkten mit vielen hart erkämpften Erfolgen und der Cyberangriff im Frühling 2025. Diese Attacke hat mich persönlich stark getroffen. Wir hatte einen super Start ins 2025 mit grossen Plänen. Diese wurden über Nacht jäh gestoppt. Mit dem Chefwechsel (Anm. d. Red. Im Sommer 2025 löste Holger Taubmann den Aerticket-Gründer Rainer Klee an der Spitze des Unternehmens ab.) kam eine neue Dynamik hinzu. In der Summe habe ich gemerkt, dass es für mich Zeit war, einen neuen Weg einzuschlagen.
Ihr Abgang kam überraschend – auch für Ihr Team?
Ja, sehr. Viele waren erstaunt und konnten die Entscheidung nicht nachvollziehen. Ich weiss, dass dieser Schritt für das Team unerwartet kam. Aber wenn man nicht mehr mit Freude und Energie in die Zukunft schauen kann, dann muss sich etwas ändern. Ich möchte authentisch bleiben – sowohl mir selbst als auch meinem Umfeld gegenüber. Ich arbeite mit vollem Engagement und Herzen. Wenn das fehlt, dann geht es nicht.
Wenn Sie auf die vergangenen Jahre zurückblicken: Welche Meilensteine bleiben besonders in Erinnerung?
Da gibt es einige. In Frankreich waren es sicher der Umbau, Neuorientierung der Firmen und die Einführung unserer Technologie: ein anspruchsvolles Projekt, das wir nach der Pandemie erfolgreich und profitabel umsetzen konnten. In der Schweiz war das Joint Venture mit Globetrotter ein grosser Erfolg. Bis alles optimal verzahnt war, dauerte es. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen: eine stabile, zukunftsfähige Plattform, um den Schweizer Reisemarkt optimal zu bedienen. Das sind Meilensteine, auf die ich mit Stolz zurückblicke.

Was würden Sie als Ihre grösste Herausforderung in den vergangenen sechs Jahren bezeichnen?
Ohne Zweifel war die Corona-Pandemie die grösste Bewährungsprobe. Niemand wusste damals, wie lange die Krise dauern und welche Folgen sie für die Branche haben würde. Besonders bitter war, dass wir kurz zuvor den Schweizer Ableger von Aerticket gegründet hatten – und dann kam im März 2020 der Lockdown. Das war ein harter Start. Aber auch abseits von Corona war es eine intensive Zeit. Wir haben das Geschäft gleich in drei Ländern – der Schweiz, Frankreich und Belgien – aufgebaut und weiterentwickelt, was organisatorisch und kulturell sehr anspruchsvoll war. Jede dieser Märkte funktioniert anders, und überall mussten wir Strukturen und Prozesse aufbauen. Das war komplex, aber auch unglaublich lehrreich. Und als es in diesem Jahr schien, dass sich die Lage endlich etwas stabilisiert, kam die Cyberattacke im Frühling 2025, die uns erneut stark gefordert hat. Sie hat gezeigt, wie verletzlich auch erfolgreiche Systeme sein können. Trotzdem: Diese sechs Jahre waren nicht nur herausfordernd, sondern auch enorm spannend und prägend – sowohl fachlich als auch persönlich.
«Es gibt für mich nicht den einen Traumjob, den ich jetzt unbedingt anstrebe»
Was nehmen Sie persönlich aus den vergangenen sechs Jahren mit – als Führungskraft und als Mensch?
Sehr viel. Besonders eindrücklich war für mich der Umgang mit unterschiedlichen Kulturen und Denkweisen. In Belgien etwa sind die Unterschiede zwischen Flamen und Wallonen deutlich spürbar. Das war spannend zu erleben und zu verstehen. Solche Erfahrungen erweitern den Horizont enorm. Ich glaube, wir Schweizer haben hier einen gewissen Vorteil: Durch unsere eigenen vier Landessprachen und Mentalitäten sind wir es gewohnt, Brücken zu schlagen und uns auf verschiedene Sichtweisen einzulassen. Das hat mir in meiner Rolle sehr geholfen.
Was werden Sie besonders vermissen?
Ganz klar: die Menschen und den kulturellen Austausch. Die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich und Belgien war für mich eine echte Bereicherung – fachlich wie menschlich. Ich mochte diese Vielfalt an Perspektiven, die unterschiedlichen Arbeitsstile und den offenen Dialog, den wir gepflegt haben. Besonders geschätzt habe ich auch den sprachlichen Aspekt: Mehr als die Hälfte meiner täglichen Kommunikation lief auf Französisch – das hat mir grossen Spass gemacht und meinem Französisch definitiv nicht geschadet (lacht).
Können Sie schon sagen, wie es für Sie beruflich weitergeht?
Ganz ehrlich: Ich weiss es noch nicht. Ich lasse mir bewusst etwas Zeit, um herauszufinden, was mich wirklich reizt. Es gibt für mich nicht den einen Traumjob, den ich jetzt unbedingt anstrebe. Ich bin offen für vieles – aber der Gedanke «Back to the Roots» gefällt mir sehr.
Was heisst das konkret – zurück ins Tour Operating? Ist es denkbar, dass Sie einen Reiseveranstalter gründen und selbständig werden?
Ja, absolut. Die Idee ist noch nicht spruchreif, aber sie beschäftigt mich. Einen eigenen beziehungsweise existierenden Reiseveranstalter weiter aufzubauen, mit einem kleinen, schlagkräftigen Team – das hätte definitiv seinen Reiz. Es wäre eine Rückkehr zu meinen Wurzeln und gleichzeitig eine neue Herausforderung. Und wer weiss: Vielleicht ergibt sich auch noch etwas in der Airline-Welt. Meine Eltern waren beide bei der Swissair, und der Gedanke, selbst einmal für eine Fluggesellschaft zu arbeiten, begleitet mich schon lange.
Ihr früherer Weggefährte Matthias Huwiler ist heute als Berater tätig. Wäre eine Zusammenarbeit mit ihm oder ein Einstieg in seine Firma Rahu GmbH eine Option?
(Schmunzelt) Sag niemals nie. Aber im Moment kann ich mir das nicht vorstellen. Beratung ist nicht das, was ich langfristig suche. Ich möchte wieder gestalten, aufbauen, bewegen.