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Parma: Wo Kultur, Kulinarik und Komponisten zuhause sind
Christian HaasLiegt es an der starken touristischen Konkurrenz im Land? An mangelnder Aufklärung? Das an der alten Handelsstrasse Via Emilia gelegene Parma jedenfalls wird von vielen Reisenden Richtung Bologna, Florenz und Rom schlicht übersehen. Zu Unrecht! Schon Ludwig Tieck, der Schöpfer des «Gestiefelten Katers», schwärmte vor rund 200 Jahren: «Niemand sage, er habe Italien gesehen, wenn er nicht dich besucht hat, Parma!»
Die im Herzen der Po-Ebene gelegene 200'000-Einwohner-Stadt mit dem Insider-Status löst auch bei heutigen Besucherinnen und Besuchern regelmässig Begeisterung aus, vor allem weil sie aus kultureller Sicht sehr viel zu bieten hat. Das Grossprojekt «Italienische Kulturhauptstadt 2020», das wegen Corona kurzerhand ins Jahr 2021 verlängert wurde, machte das Offensichtliche noch deutlicher. So wurde 2020/21 die Kirche San Francesco del Prato nach aufwändiger Sanierung wiedereröffnet, das aus Holz errichtete Barocktheater Teatro Farnese – ein architektonisches Kleinod – restauriert und aufgewertet und die Via Verdi samt umliegender Plätze modernisiert.
Parmas Kultur im Zeichen Verdis
Ferner feierte eine Innovation Premiere, die weit über das Kulturhauptstadtjahr von Einheimischen wie Gästen stark genutzt wird: die Parma Card. Mit ihr lassen sich Mietvelos und Busse benutzen und Vergünstigungen bei teilnehmenden Geschäften, Restaurants und kommerziellen Betrieben in Anspruch nehmen. Das Beste aber sind die ermässigten oder gar kostenlosen Eintritte in kulturelle Einrichtungen und touristische Attraktionen.

Und davon gibt es eine ganze Menge: Zu den Highlights des 184 vor Christus von den Römern errichteten Parma gehör(t)en einst wie heute der unter der Papstfamilie Farnese entstandene weitläufige und elegante Parco Ducale mit dem gleichnamigen Palazzo sowie der auf der anderen Seite des Flusses Parma gelegene Palazzo della Pilotta. Das von aussen mehr einer Festung als einem Palast gleichende Ensemble beherbergt mehrere Museen, darunter das Archäologische Nationalmuseum und die Nationalgalerie Parma. Diese zeigt mit Gemälden von El Greco über Hans Holbein d.J. und Tintoretto bis Leonardo da Vinci unerwartet viele Grossmeister.
Ebenfalls zum Pilotta-Gebäudekomplex zählen das Teatro Farnese und die Biblioteca Palatina, die die kunstsinnige Habsburgerin Marie-Louise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Überhaupt begegnet man ständig Hinterlassenschaften der Tochter des österreichischen Kaisers. Auf das Konto der späteren Gattin Napoleons geht auch der Bau des sehenswerten Teatro Regio di Parma.
Das Opernhaus, das zu den renommiertesten des Landes zählt, steht beim jährlich im Herbst stattfindenden Verdi Festival besonders im Rampenlicht; dieses Jahr noch mal etwas mehr, da die zu Ehren des nahe Parma geborenen Komponisten so bekannter Opern wie Otello, Falstaff oder Rigoletto ausgetragene Veranstaltungsreihe sein 25-jähriges Jubiläum feiert. Der konkrete Termin lautet: 20. September bis 18. Oktober.
Aber auch jenseits davon können Opernfreunde bei einer Backstage-Besichtigung der Künstlergarderoben, Werkstätten und Schneiderei überraschend viele verborgene Geheimnisse des neoklassizistischen Theaters, in dem Giuseppe Verdi so grosse Triumphe feierte, erkunden. Wer noch mehr über den begnadeten Komponisten erfahren will, besichtigt Verdis Geburtshaus/Museum im unweit entfernten Le Roncole bei Busseto.
Zwischen Baukunst und Blütenduft
Aber dann schnell wieder zurück nach Parma, wo schliesslich weitere Highlights warten. Steingewordene Zeugen der mittelalterlichen Blüte Parmas sind neben dem Benediktinerkloster San Giovanni Evangelista der romanische Dom (in beiden Gebäuden sind eindrückliche Deckenfresken von Correggio zu bewundern) und das benachbarte Baptisterium San Giovanni. Im Inneren sorgt das sehenswerte Kuppelgemälde für Ahs und Ohs, von aussen macht das achteckige, in zartrosa und cremeweissem Verona-Marmor errichtete Gebäude aber auch viel her.
Manche sehen in ihm gar eines der wichtigsten mittelalterlichen Bauwerke Italiens. Tipp: Bei Sonnenuntergang die Terrasse des «TCafès» nebenan aufsuchen, allein der berauschenden Lichtstimmung wegen. Die wird durch einen «Violet Spritz» vermutlich noch gesteigert. Der Drink aus Prosecco, Soda und Veilchen-Likör ist typisch für die «Stadt der Veilchen». Und auch das hat wieder mit Marie-Louise zu tun, die sämtliche Räume ihres Schlosses und viele ihrer Roben mit den stark duftenden Blumen geschmückt haben soll.
Dufte ist auch, dass zahlreiche nostalgische Läden in der Stadt heutigen Besucherinnen und Besuchern ein Sortiment anbieten, das von Veilchenseifen über entsprechendes Parfüm, Honig und Tee bis zu kandierten Veilchen reicht.

Überhaupt die Kulinarik! Als erste Stadt des Landes erhielt Parma 2015 von der Unesco die Auszeichnung «Kreative Stadt für die Gastronomie» (bislang gibt es mit Bergamo und Alba erst zwei Nachfolger). Kein Wunder: In und um Parma befinden sich hunderte Parmesan-Käsereien und Prosciutto-Produzenten. Zudem ist in der Region mit Barilla die weltgrösste und älteste Pasta-Fabrik zuhause, mit einer Pasta-Produktion von mehr als 1400 Tonnen pro Tag.
Die dreimal wöchentlich Richtung Schweiz und Deutschland startenden «Pasta-Züge» gelten als Vorzeigeprojekt für nachhaltige Logistik in der Lebensmittelbranche. Wobei die vor Ort freilich noch besser schmecken, insbesondere in Parma, wo Pasta zusammen mit lokalen Weinen, den berühmten Steinpilzen von Borgotaro und Albareto sowie dem schwarzen Trüffel von Fragno schier unendliche Gerichte-Kombinationen ergeben. Geplante Diäten sollte man also unbedingt auf die Zeit nach dem Parma-Besuch verschieben. Oder seinen Hunger vornehmlich mit Wissen stillen.
Kulinarische Entdeckungsreise in den Hügeln
Gleich mehrere Museen in der Region haben sich dem Genuss verschrieben. Die Auswahl reicht vom Museum des Parmigiano Reggiano in Soragna über das Nudel- und Tomatenmuseum im Taro-Park in Collecchio bis zum Museum des Parmaschinkens in Langhirano. Apropos: Beim «Festival del Prosciutto di Parma» Anfang September stehen Workshops, Live-Kochshows und – natürlich – Verkostungen auf dem Programm.
Dabei laden neben den Geschäften und Restaurants der Stadt (allen voran das «Bistrò del Prosciutto» an der Piazza Garibaldi) auch die zahlreichen, überwiegend familiengeführten Schinkenfabriken in der Region zu den «finestre aperte», den offenen Fenstern, ein. Gut zu wissen: Ein Pendelbus fährt entlang der «Strada del Prosciutto e dei Vini dei Colli di Parma», der Schinken- und Weinstrasse, in den Hügeln um Parma herum zu den Produktionsstätten bis hin nach Langhirano.
Interessierte können im Foro Boario, dem ehemaligen Schlachthof, Details über den historischen und aktuellen Produktionsprozess erfahren, Italienischkenntnisse helfen hier enorm. Für alle gut, weil auch ohne Worte verständlich, ist Teil zwei der Veranstaltung, wenn im idyllischen Innenhof des Museumsgebäudes Schinken und Käse sowie weitere regionale Spezialitäten serviert werden.