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Genua – Städteschönheit auf den zweiten Blick
Christian HaasNur wenige Städte haben in ihrer Geschichte derart ausgeprägte Höhen und Tiefen erlebt wie die 560'000-Einwohner-Metropole am Ligurischen Meer. Einst mächtiges Finanzzentrum im Mittelalter und ein Hort höchster Kunstgenüsse, musste die Hafenstadt auch immer wieder schwere Rückschläge einstecken. In den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beispiel.
Die mittelalterliche Altstadt, mit rund 400'000 Quadratmetern angeblich die grösste Europas, machte damals einen überwiegend verwahrlosten und der vernachlässigte Hafen mit seinen Schrottbergen und dunklen Ecken einen abstossenden Eindruck. Kein Wunder, dass Touristinnen und Touristen oft einen grossen Bogen um die Hauptstadt Liguriens machten. Doch dann kam ein neuer Schwung, beflügelt von den Kolumbusfeiern 1992 und dem Kulturhauptstadtjahr 2004. Und tatsächlich: «La Superba» – «die Stolze» – ist wieder eine andere geworden, eine schönere, freundlichere und eben stolzere Stadt.
Genuas Schätze leuchten wieder
Sicher, zur Stosszeit mit dem Auto auf der betonstelzernen Hochstrasse Sopraelevata (wo 2018 beim Einbruch eines Teilstücks 43 Menschen ums Leben kamen) und erst recht rund ums Zentrum unterwegs zu sein, erfordert nach wie vor eine gewisse Leidensfähigkeit oder besser noch Gelassenheit. Der beengte Platz zwischen den Hügeln und dem Meer hat sich schliesslich nicht vergrössert, im Gegensatz zum Verkehrsaufkommen.

Aber wie sich das von vielen Reisenden über Jahre kategorisch gemiedene Genua in seinem Kern entwickelt hat, lässt nur eine Empfehlung zu, selbst wenn dadurch der Stau noch grösser wird: nicht mehr umfahren, hinfahren!
In das Altstadtgewirr aus Hunderten kleiner Gassen und echt schräger Wege ist Licht gekommen. Im wahrsten Sinne. Schliesslich wurden auch abgelegenere Passagen in den vergangenen Jahren mit Laternen ausgestattet, was sie als Standort dunkler Machenschaften automatisch unattraktiver erscheinen liess. Grosse Leuchtkraft geht auch von den seit Jahren nach und nach restaurierten Kirchen, Bürgerhäusern und Palästen aus. Von denen ist die einst so machtvolle Handelsstadt nämlich übervoll.
«Mitunter muss man genau hinsehen, um die Schätze zu entdecken, doch es gibt sie zahlreich. Vor allem wenn man nach oben blickt», begeistert sich Stadtführerin Daniela. «Untenrum sehen die Läden oft gewöhnlich aus, doch in den oberen Etagen werden Fresken, hohe Etagen, Rundbogenfenster und mittelalterliche Strukturen deutlich», erzählt die seit Jahren in Genua lebende Frau, die die Entwicklung «ihrer Stadt» hautnah und mit Freude verfolgt.
Mit Freude zeigt sie Gästen auch weitere Glanzpunkte: die Piazza De Ferrari mitsamt dem ikonischen bronzenen Brunnen von 1936 sowie den rundherum befindlichen prächtigen Gebäuden wie das Opernhaus Carlo Felice und der Palazzo Ducale. Der war einst Residenz der Dogen und ist heute ein lebendiges Kulturzentrum mit wechselnden Ausstellungen.
Unweit entfernt liegt die schwarz-weiss gestreifte Cattedrale di San Lorenzo, die – typisch Genua – ohne grosses Trara mitten in der Altstadt auftaucht, Kunstliebhabern jedoch wegen der interessanten romanisch-gotisch-barocken Stilkombination die Freudentränen in die Augen treibt.
Maritime Glanzlichter und neue Highlights
Dann ist da noch der Palazzo San Giorgio, an dessen Aussenwänden beim Restaurieren die Fassadenfresken von Lazzaro Tavarone zum Vorschein kamen. Und der neoklassizistischen Palazzo Belimbau an der Piazza della Nunziata, der mit seinem opulenten Inneren sicherlich zu den schönsten Palazzi dei Rolli zählt, von denen gleich 42 an der Zahl zum Unesco-Welterbe gekürt wurden.
Ein schöner Beweis, wie Bemühungen mit einer Auszeichnung belohnt werden, die wiederum Ansporn für weitere Bemühungen sind. Und das einst so mächtige Genua, das eine der ersten Banken der Welt und mit Christoph Kolumbus den vielleicht grössten Seefahrer hervorbrachte, spielt seit Jahren wieder eine gewichtigere Rolle.

Dass die lange geschmähte Stadt sowohl für Einheimische als auch Nicht-Genuesen rapide an Attraktivität gewinnt, liegt auch an den Bemühungen auf anderen Ebenen. Etwa den etwas höher gelegenen im Hinterland, wo die beiden Naturparks Aveto und Beigua eingerichtet wurden und als lohnenswerte Ausflugsziele auch den Lebenswert Genuas steigerten.
Zugleich setzte man mit Messen und Kongressen auf eine neue Klientel. Die kam auch mit den immer häufiger anlegenden Luxusyachten und Kreuzfahrtschiffen. Was nicht zuletzt am Porto Antico liegt, den der aus Genua stammende Star-Architekt Renzo Piano zur «Piazza am Mittelmeer» umgestaltete und zugleich zum neuen Aushängeschild der Stadt aufwertete.
So gehört das Acquario, 1992 zur Expo und den Kolumbusfeiern eingeweiht, zu den bekanntesten und grössten Europas. In mehr als 70 Bassins bekommen Besucherinnen und Besucher Delfine, Japanische Riesenkrabben und allerlei anderes Meeresgetier zu Gesicht – insgesamt sind es über 12'000 Tiere. Aufregend: Zu bestimmten Terminen können Kinder im Schlafsack vor dem Becken der Haie übernachten.
Zwischen Bigo und La Lanterna
Das später hinzugekommene Meeresmuseum Galata nebenan hat es ebenfalls in sich, gilt es doch als grösstes maritimes Museum des Mittelmeers, das die Geschichte der Seefahrt interaktiv präsentiert, U-Boot-Besichtigung inklusive.
Mittendrin im Porto Antico befindet sich der vielarmige Hafenkran Bigo, dessen gläserner Panoramaaufzug aufregende Ausblicke ermöglicht. Doch auch der Blick auf die Skulptur hat es in sich, Bigo jedenfalls ist als neues Wahrzeichen längst etabliert. Was nicht heisst, dass das alte Wahrzeichen, der aus dem Jahr 1543 stammende Leuchtturm La Lanterna, abgeschrieben wäre! Nein, Europas höchster Leuchtturm wird nach wie vor gern besucht, auch dank der zwei aussichtsreichen Plattformen.
Von dort oben wird auch nochmal deutlich, wieviel Leben in dem einst abgeschnittenen, dunklen Viertel wieder herrscht, dank Restaurants und Museen, dem Yachthafen und der einladenden Fussgängerzone direkt hinüber zur Altstadt. Nicht umsonst wird Genua europaweit als Musterbeispiel für eine gelungene Stadtsanierung angeführt.
Und wer doch einmal etwas Pause von der Stadt braucht, findet im nahen Umland rasch wohltuende Ruheorte. Zum einen wäre da das charmante Fischerdorf Boccadasse, das mit seinen pastellfarbenen Häusern und kleinen Buchten einen idealen Ort für einen entspannten Abstecher darstellt. Und zum anderen die noch etwas weiter östlich befindliche malerische Küstenpromenade Passeggiata Anita Garibaldi, die sich vom Fischerort Nervi an Felsen, Gärten und Villen aufs Angenehmste entlangzieht.