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Venedig in der Nebensaison – die Magie der stillen Serenissima
Reto SuterVenedig – allein der Name ruft Bilder von glitzerndem Wasser, eleganten Gondeln und kunstvollen Palästen hervor. Millionen Besucherinnen und Besucher strömen jedes Jahr in die Lagunenstadt, um den Markusplatz, den Dogenpalast und die Rialtobrücke zu sehen. Doch wer Venedig wirklich kennenlernen will, sollte nicht in der Hochsaison kommen. Der wahre Zauber entfaltet sich in den ruhigeren Monaten – etwa im November, Dezember oder März.
Wenn der Sommertrubel und der Herbst-Hype vorbei sind, kehrt ein besonderes Licht in die Gassen und Kanäle zurück. Die Luft ist klar, oft weht eine kühle Brise vom Meer herüber, und die Geräuschkulisse verändert sich. Das hektische Stimmengewirr der Hauptsaison wird ersetzt durch das gemächliche Klappern von Schritten auf Pflastersteinen, das Rauschen des Wassers gegen die Mauern und das ferne Tuckern eines Vaporetto-Motors. In diesen Monaten gehört die Stadt wieder ihren Bewohnerinnen und Bewohnern – und jenen Reisenden, die den Moment nutzen.
Spätherbst – wenn Nebel und Licht verschmelzen
Im November und Dezember umhüllt oft ein sanfter Nebel die Lagune. Die Konturen der Kirchen und Paläste lösen sich in zarte Grautöne auf, und das Sonnenlicht bricht diffus durch die Wolken. Wer jetzt über den deutlich weniger besuchten Markusplatz schlendert, fühlt sich wie in einer Filmszene.
Museen und Kirchen lassen sich ohne lange Warteschlangen besuchen, in den Cafés am Canal Grande gibt es gute Chancen auf einen Platz mit Aussicht. Selbst ein Besuch auf dem Campanile, dem Glockenturm am Markusplatz, wird zur entspannten Erfahrung – und der Blick auf die Dächer der Stadt ist an klaren Tagen spektakulär.

Im März erwacht Venedig langsam aus dem – nur vom Karneval – unterbrochenen Winterschlaf. Erste Sonnenstrahlen wärmen die Mauern, die Plätze füllen sich mit Leben, und die Cafés stellen wieder mehr Tische ins Freie. Die Preise für Unterkünfte sind oft noch moderat, und viele Hotels locken mit attraktiven Angeboten.
Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für Ausflüge zu den Nachbarinseln: Murano mit seinen Glasbläsern, Burano mit seinen farbenfrohen Häusern oder Torcello mit seiner byzantinischen Kathedrale.
Zeit für das echte Venedig
Venedig in der Nebensaison bietet nicht nur mehr Platz, sondern auch entspanntere kulinarische Erlebnisse. In den Osterien und Trattorien am Rande der touristischen Pfade bekommt man leichter einen Tisch – und kann in Ruhe Spezialitäten wie Sarde in Saor (marinierte Sardinen) oder Fegato alla veneziana (Kalbsleber auf venezianische Art) probieren. Wer es authentisch mag, besucht eine Bacaro und bestellt Cicchetti, kleine Häppchen, begleitet von einem Glas Ombra, dem traditionellen Wein.
Von der Galleria dell’Accademia über die Peggy Guggenheim Collection bis zu den versteckten Kirchen mit Werken von Tintoretto und Veronese – in der Nebensaison lassen sich Venedigs kulturelle Schätze ohne Gedränge erkunden. Auch ein Besuch des Teatro La Fenice, einer der schönsten Opernbühnen Italiens, ist jetzt unkomplizierter. Häufig gibt es kurzfristig Karten für Konzerte oder Opernaufführungen, die in der Hochsaison längst ausverkauft wären.
Die Temperaturen liegen im November und März oft zwischen 8 und 15 Grad. Warme Kleidung und ein Schal gehören ins Gepäck, ebenso wie bequeme Schuhe – Venedig erkundet man am besten zu Fuss. Manchmal kommt es zu Hochwasser. Ein paar Gummistiefel oder wasserdichte Schuhe sind dann Gold wert.
Wer flexibel reist, sollte auch einen Blick auf kulturelle Events wie Ausstellungen, Musikfestivals oder kulinarische Wochen werfen – in der Nebensaison gibt es davon überraschend viele.
Wer Venedig abseits der Massen besucht, erlebt eine Stadt, die näher, authentischer und entspannter wirkt. Man hat Zeit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, kleine Läden zu entdecken und Details wahrzunehmen, die im Sommer untergehen. Die Nebensaison ist eine Einladung, Venedig nicht nur zu sehen, sondern zu fühlen – mit allen Sinnen und ohne Eile. So wird jede Gasse, jede Brücke und jede Gondelfahrt zu einem intensiven Erlebnis, das weit über das übliche Sightseeing hinausgeht.