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Kommentar Fünf Erkenntnisse aus der FTI-Pleite
Gregor WaserHeute vor einem Jahr ging bei FTI Touristik das Licht aus. Der Münchner Reiseveranstalter mit Ableger in der Schweiz musste am 3. Juni 2024 die Insolvenz anmelden.
40 Jahre lang sorgte die Veranstaltergruppe für gehörig Wirbel. Spitzfindig, wie Gründer Dietmar Gunz ans Werk ging, sorgte FTI für viel Aufmerksamkeit, sei es durch anhaltende Tiefpreise oder Slogans wie «Die sind aber gut drauf!».
Stets knapp kalkulierend und wenig risikoscheu, war dann aber die Hammer-Krise im Jahr 2020 eine zu viel. Aus dem Pandemieloch fand FTI nie mehr richtig heraus, auch Investor Samih Sawiris verlor den Glauben an die Gruppe. Das Ende nahte.
Was ist geblieben? Das sind einige Erkenntnisse der FTI-Pleite.
1. Vertrauensverlust
Als im Februar 2024 FTI die Zahlen des Geschäftsjahres 2021/2022 vorlegte, schrillten bei vielen Reisebüros und Partnern an den Feriendestinationen die Alarmglocken. Obwohl FTI während der Pandemie mit Staatsgeldern in der Höhe von 600 Millionen Euro gestützt wurde und im Geschäftsjahr 21/22 einen Umsatzzuwachs verzeichnen konnte, klaffte ein Konzernverlust von über 91 Millionen Euro in den Büchern.
Ist FTI noch zukunftsfähig? Grosse Zweifel kamen auf. Reisebüros shifteten Buchungen zu anderen Veranstaltern, Hotels an den Ferienzielen verlangten plötzlich Vorauskasse. Die Schlinge zog sich zu.
In der vernetzten, verknüpften und geschwätzigen Reiseindustrie gibt es eine überaus wichtige Währung: Vertrauen. Ist dieses mal weg, geht's meist nur noch in eine Richtung.
2. Zu frühe Entwarnung
Ist ein Schiff auf Schlingerkurs und droht leck zu laufen, wird bei auftauchendem Land am Horizont, gerne schon die Rettung ausgerufen. Doch im Fall von FTI geschah dies vorschnell und mit der primären Absicht, Vertrauen zurückzugewinnen.
Der vermeintliche US-Investor Certares sollte mit 125 Millionen Euro einsteigen. Doch zur Rettung kam es nicht. Denn Certares wollte mit der Rückzahlung des staatlichen 600-Millionen-Pandemie-Darlehens nicht zu tun haben, sondern am aufgeräumten Tisch Platz nehmen. Als die deutsche Regierung darauf pochte, den Kredit grösstenteils zurückzuerhalten, verliess der vermeintliche Rettungsengel den Verhandlungsraum. Statt dem rettenden Ufer stand die Insolvenz an.
3. Unbürokratischer Garantiefonds
Insolvenz in Deutschland, in der Schweiz aber (noch) aktiv? Was nun, Schweizer Garantiefonds? Wegen des auch hierzulande absehbaren FTI-Endes empfahl der Garantiefonds den Reisebüros, den gestrandeten Kunden grosszügig zur Seite zu stehen und allenfalls eine nochmalige Zahlungsaufforderung des Hotels zu begleichen.
Dazu empfahl der Garantiefonds, die zusätzlichen Kosten umgehend und vorbeugend der FTI Schweiz in Rechnung zu stellen. Bei einer Insolvenz würde die Forderung zumindest in die Konkursmasse fliessen – «wir gehen aber davon aus, dass der Garantiefonds hier einspringt», lautete die im Nachhinein berechtigte Ermutigung.
Ausser Buchende von Einzelleistungen kamen FTI-Kunden in der Schweiz dank des Pauschalreisegesetzes ohne Schaden davon. Fast 600 Rückerstattungsforderungen gingen ein. Der Garantiefonds konnte bis Ende Dezember 2024 alle eingereichten Anträge bearbeiten und wo berechtigt, diese auszahlen – und zwar mittels der hinterlegten FTI-Bankgarantie. Das Fondsvermögen musste einzig bei einigen Schadensfällen der FTI-Schwester Big Xtra Touristik AG angezapft werden.
4. Nicht ganz uneigennützige Mitbewerber
Den Mitbewerbern – darunter Dertour, Hotelplan, Bentour Reisen, TUI oder Belpmoos Reisen – ist zugutezuhalten: Für die Umbuchungen von FTI-Kunden, deren Abreisen nach dem 4. Juli geplant gewesen wären, zeigten sie sich grosszügig. In der Regel wurden die ursprünglich gebuchten, oft vergleichsweise tiefen Arrangementpreise von FTI übernommen, wenn die Kunden sich für eine neue Buchung beim jeweiligen Veranstalter entschieden. Die Kulanz und das Zusammenspiel innerhalb der Reisebranche funktionierten in dieser Ausnahmesituation bemerkenswert reibungslos.
So ganz uneigennützig und bloss solidarisch war die Hilfestellung aber dennoch nicht. Schliesslich verschwand mit FTI ein grosser Player aus dem umkämpften Badeferienmarkt. Und wer sich nun frühzeitig mit grosszügiger Geste bei FTI-Kunden erkenntlich zeigen konnte, durfte darauf zählen, auch bei künftigen Buchungen berücksichtigt zu werden. So verzeichneten die meisten Reiseveranstalter, eben auch dank zusätzlicher Buchungen bisheriger FTI-Kunden, ein gutes bis sehr gutes Badeferien-Geschäftsjahr.
5. Verpasste Chance der Schweizer Reisebranche
In der Schweiz ging die FTI-Pleite praktisch ohne geschädigte Kunden über die Bühne. Das Pauschalreisegesetz und der Schweizer Garantiefonds sorgten für ein lückenloses Auffangnetz.
Nur ist das der Öffentlichkeit kaum bewusst. Die SRF-Nachrichtensendung «10 vor 10» einige Tage nach der Pleite verdeutlichte dies, als die Moderatorin den Beitrag mit diesen Worten begann: «Wann haben Sie das letzte Mal Ihre Ferien in einem Reisebüro gebucht? Es dürfte länger her sein.» Das tönte danach, dass Reisebüros und Reiseveranstalter vom Aussterben bedroht sind und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es keine mehr gibt.
Die Message, dass gerade eine Reisebüro-Buchung für Sicherheit sorgt und im Konkursfall eines Reiseveranstalters eine vollumfängliche Absicherung besteht, diese Message ist in den Köpfen vieler Reisender – und SRF-Redaktoren – nicht angekommen. Zwar unterstreichen die Reiseverbände, ob SRV oder STAR, bei jeder Gelegenheit die Vorteile und Sicherheit einer Reisebüro-Buchung. Doch diese Botschaft bleibt auf der Strecke. Zumindest ein gemeinsames Brainstorming, wie diese Message künftig lauter ans Reisepublikum herangetragen werden kann, wäre angesagt und wünschenswert.
Fazit
Wenn sich auch der effektive Schaden in Franken in Grenzen gehalten hat: für Schweizer Reisebüros hat die FTI-Pleite eine Vielzahl zusätzlicher, unbezahlter Arbeitsstunden ausgelöst, um die Neu- oder Umbuchungen von gegen 10'000 Kundinnen und Kunden abzuwickeln.
Für die meisten der rund 80 FTI-Mitarbeitenden in der Schweiz geht das Arbeitsleben in der Reisebranche trotz der Insolvenz weiter. Viele haben bei bisherigen Mitbewerbern einen neuen Job gefunden und vom postpandemischen Fachkräftemangel profitiert.
Die Anzahl Reiseveranstalter im Schweizer Badeferien-Geschäft ist ohne FTI kleiner geworden. Das ist insofern pikant: Die Schweizer Wettbewerbskommission prüft in diesen Wochen vertieft den geplanten Zusammenschluss von Dertour und Hotelplan, die zusammen rund 50 Prozent des Veranstaltergeschäft künftig bestimmen dürften – schaut man bloss auf den reinen Veranstaltermarkt und lässt die Bookings, Expedias und Direktbuchungen bei Airlines und Hotels aussen vor. Mit einem noch aktiven Veranstalter FTI wären die Diskussionen um Marktanteile und Marktdominanz wohl deutlich weniger brisant.
Insgesamt hat die FTI-Pleite dem Image der Schweizer Reisebranche geschadet. Dass eine Direktbuchung risiskobehafteter ist und der Gang in ein Reisebüro grosse Sicherheiten bietet: Diese Message ging aus der Pleite leider nicht hervor.