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Für Schweizer Reisebüro-Inhaberinnen und -Inhaber stellt die Suche nach einer Nachfolge-Lösung eine grosse Herausforderung dar. Bilder: Adobe Stock / KI

Hilfe, kein Nachfolger in Sicht!

Gregor Waser

Dass sich Reisebüro-Inhaberinnen und -inhaber erst kurz vor der Pension um eine Nachfolge-Lösung kümmern, ist zu spät. Denn der Prozess ist kompliziert und benötigt teilweise mehrere Jahre. Travelnews hat mit verschiedenen Nachfolge-Experten und Reiseprofis gesprochen.

Die Schweizer Reisebranche hat ein Nachfolgeproblem. Viele Reisebüro-Inhaberinnen und Inhaber, die sich Richtung Pensionsalter bewegen oder darüber hinaus arbeiten, finden keine Nachfolgerin oder keinen Nachfolger – wie das Beispiel Women Travel zeigt.

19 Reisebüros, die dem Garantiefonds angeschlossen waren, sind im letzten Jahr verschwunden. Rund ein Dutzend musste sein Geschäft aufgeben, weil sich keine Nachfolgelösung abgezeichnet hat. Auch bei den STAR-Reisebüros gab es einige Geschäftsaufgaben infolge fehlender Nachfolge.

Was ist da los? Wieso lassen sich keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger finden?

Die Schwierigkeit, nach 30 Jahren loszulassen

Neben dem Fachkräftemangel und der Weltlage erachtet Natalie Dové, Inhaberin von Nussbaumer Reisen in Burgdorf, die Nachfolge-Regelung als eine der grossen Herausforderungen der Schweizer Reisebranche, schliesslich stehen zahlreiche ihrer Kolleginnen und Kollegen kurz vor der Pension.

Womöglich gebe es heute weniger Leute, die sich ein eigenes Reisebüro zutrauen, sagt sie. «Sicherlich spielt die Work-Life-Balance mit rein, ein Thema, das bei Leuten in meinen Jahrgängen noch keines war.» Man höre zudem, dass sich viele nicht gleich auf Lebzeiten mit der Übernahme einer Firma festlegen wollen.

Jean-Philippe Spinas, einst bei Swissair, Kuoni und SSR tätig, ist heute Vermittler von Führungskräften und sagt: «Gerade jene jüngeren Leute, die sich eine eigene Firma zutrauen und die nötigen finanziellen Mittel einbringen können, entscheiden sich vorzugsweise für ein eigenes Start-up.»

Die Übernahme eines KMUs, das über Jahrzehnte von einer Person geprägt war, habe seine Tücken. Das «Problem» vieler Unternehmer sei ihr Herzblut, «denn einen kompletten Verkauf und von der Bildfläche verschwinden, wollen sie nicht. Doch bleiben sie an Bord und reden dem Nachfolger ständig rein, beginnen die Probleme.» Bei einem Onboarding, also einer Nachfolgelösung innerhalb der Firma, stelle sich ebenfalls die Frage, ob der bisherige Inhaber bereit ist, nach 30 Jahren loszulassen, wenn der neue Chef oder die neue Chefin etwas ändern will.

Alex Vogel, Leiter Operations bei der STAR Enterprises AG, sagt: «Wenn jemand über so viele Jahre ein Reisebüro aufgebaut und mit Herzblut weiterentwickelt hat, dann ist die Firma sehr stark von dieser Person geprägt und ein Verkauf ohne schrittweise Übergabe ist kaum realistisch.» Es ist unabdingbar, dass die Nachfolge langsam aufgebaut werden kann und den nötigen Platz und Freiraum erhält, um so die Übernahme erfolgreich zu schaffen. Nicht zuletzt wollen viele Unternehmerinnen ihr eigenes Unternehmen aufbauen, was im ersten Augenblick im Gegensatz zu einer Übernahme steht – doch die eigenen Visionen auf einem soliden Fundament realisieren, scheint Alex Vogel ein toller Kompromiss zu sein.

Er habe bei STAR das Glück, weiterhin auf die Expertise und kritische Meinung des Gründers zählen zu können. «Wenn ein langjähriger Chef in einer Unternehmung bleibt, kann das auch enorme Vorteile haben, der regelmässige Austausch kann sehr wichtig sein. Die Frage ist, ob einem der Platz gewährt wird. Bei mir ist dies Fall. Einen Sparringpartner, auch ein unbequemer, der mal eine andere Meinung hat, ist sehr wertvoll.»

Übernahme von langer Hand

Eine seltenes Beispiel in der Schweizer Reisebüro-Branche einer gelungenen Übergabe ist Smeraldo Tours. «Als ich 23 Jahre alt war, fragte mich mein Chef, ob ich mir eine Übernahme von Smeraldo Tours eines Tages vorstellen könnte und legte mir einen Fünf-Jahres-Plan vor. Das war für mich die perfekte Ausgangslage, so hatte ich Zeit, mich in der Branche zu vernetzen und das Handwerk einer Geschäftsführung von Grund auf zu lernen», sagt Sarah Weidmann, Chefin des Spezialisten für Sardinien und die Kanarischen Inseln. «Viele Leute machen sich aber zu spät Gedanken über die Nachfolge.» Das sei das Hauptproblem.

«Ich habe das Gefühl, dass die jungen Leute heute weniger risikobereit sind als auch schon. Das hat womöglich damit zu tun, dass man ihnen den Mut nimmt. Wir sind eine Branche, die gerne jammert, wie schlecht es uns geht, wie viele Krisen es gibt und wie tief die Löhne sind. Dies schreckt wohl ab. Wir müssten vermehrt zeigen, wie viele positive Seiten ein Reiseunternehmen haben kann.»

Auf die Frage, wer Verantwortung übernehmen müsste, sagt sie: «Jeder von uns, der ein eigenes Geschäft hat, ist in der Pflicht, Leute auszubilden und Leute nachzuziehen. Ich sehe aber auch den Schweizer Reise-Verband (SRV) in der Pflicht, der hier mehr investieren müsste. Man müsste eine eigene Division haben für die Nachwuchsförderung – nicht nur für die Ausbildung der Jungen, sondern auch für den weiteren Weg.» Hier werde noch zu wenig gemacht. Sie habe dies beim SRV-Vorstand schon angeregt, das habe aber noch nicht gefruchtet.

Travelnews klopft beim SRV an. «Selbstverständlich ist das Thema Nachfolgelösungen eminent wichtig und ganz oben auf unserer Agenda», sagt SRV-Geschäftsleiterin Andrea Beffa. Der Verband habe sich zum Ziel gesetzt, das Unternehmertum zu fördern und junge Branchenpersonen zu motivieren und dabei zu unterstützen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.

Es seien Ideen in der Pipeline, «wie und in welchen Formaten wir sie am effektivsten unterstützen können – diese Überlegungen sind allerdings noch nicht spruchreif. Dies betrifft derweil nicht nur Nachfolgelösungen, sondern ganz generell den Schritt in die Selbstständigkeit.»

Zeitfaktor entscheidend

Spiros Doukas, Geschäftsführer beim Raiffeisen Unternehmerzentrum (RUZ), sagt, dass die demografische Entwicklung die Nachfolgesuche bei Schweizer KMUs erschwere, dann aber auch der zu späte Zeitpunkt: «Wenn ein Unternehmer erst zwei, drei Jahre vor dem geplanten Rückzug mit der Nachfolgesuche beginnt, ist das oft zu spät. Je früher die Suche beginnt, desto mehr Optionen stehen zur Verfügung.» Der Zeitfaktor sei entscheidend.

Dann erwähnt Spiros Doukas auch die emotionale Bindung, das Lebenswerk in neue Hände zu geben, «das ist ein schwieriger Prozess.» Ein Nachfolgeprozess dauere fünf bis sieben Jahre und die Hälfte dieser Zeit benötige alleine das emotionale Lösen vom eigenen Lebenswerk. Ein weiterer Punkt sei die ganze Finanzierbarkeit: «Findet sich überhaupt eine Bank, wenn das Geschäftsmodell zu wenig interessant ist? Oder wenn der Firmenwert zu hoch angesetzt wird?»

«Wir begleiten die Unternehmen im ganzen Nachfolgeprozess mit Nachfolgeexperten und unterstützen sie bei der Erwartungsklärung und Unternehmensbewertung, aber auch bei der Finanzplanung, steuer- und erbrechtlichen Themen. Dabei wird sichergestellt, dass die Unternehmen ganzheitlich durch den Prozess geführt werden, wenn das gewünscht ist.»

Der Nachfolgeprozess sei sehr komplex, «ich empfehle externe Unterstützung zu holen – und offen zu sein für verschiedene Lösungen.»

Das sagt der Unternehmensberater

Ist die Reisebranche stärker von einer Nachfolge-Problematik betroffen als andere Branchen? Dazu hat Travelnews mit Pascal Stocker gesprochen. Er ist Studiengangsleiter an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, ist als Partner für das KMU-Nachfolgezentrum tätig und hat übrigens Mitte der 90er-Jahre die Kaufmännische Lehre bei Kuoni Reisen absolviert.

Pascal Stocker bezieht sich zunächst auf vorliegende Zahlen von Dun & Bradstreet: «Bei total 3339 touristischen Unternehmen – dazu gehören Reisebüros, Reiseveranstalter, Erbringer sonstiger Reservierungsdienstleistungen – ist bei 568 Firmen die Nachfolgeregelung offen. Dieser Wert von 17 Prozent ist eher hoch.» Nur bei einigen wenigen Branchen wie beispielsweise im Druck- und Verlagsgewerbe, bei Unternehmens- und Steuerberatungen oder Architekturbüros sei der Anteil der offenen Nachfolgelösung noch höher.

Über die Jahre habe der Anteil offener Nachfolge-Lösungen in der Reisebranche zugenommen. «2007 war die Nachfolge-Problematik weniger ausgeprägt», erinnert sich Stocker, der damals eine Arbeit zu diesem Thema schrieb. «Damals waren andere Branchen mehr betroffen, die wiederum heute weniger vor der Nachfolgefrage stehen».

Dass die jüngere Generation heute weniger risikofreudig sei, findet der Unternehmensberater nicht. Hierzu nennt Pascal Stocker einen interessanten Umstand: «Die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Firmenübernahme liegt nach fünf Jahren bei 95 Prozent. Bei Neuunternehmen liegt sie nach fünf Jahren nur noch bei 50 Prozent. Auch befindet sich die Anzahl Firmengründungen auf Rekordniveau». Insofern seien junge Unternehmer, die eine Neugründung vorziehen, durchaus risikofreudig.

Er ortet das Dilemma der Reisebranche vielmehr an einem anderen Punkt: «Die Leute sind mit der zunehmenden Akademisierung top ausgebildet, ihnen stehen x Optionen zur Auswahl, wo es auch mehr zu verdienen gibt. Dann kann nebst anderen Faktoren schnell die Frage aufkommen, ob man einen Betrieb mit einem Geschäftsmodell will, das aus ihrer Warte nicht so attraktiv anmutet.» Weiter stehen heute jungen Menschen nebst dem Unternehmertum eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung offen.

Auf die Frage, mit welchen Empfehlungen er Firmenchefs und Firmenchefinnen berät, die eine Nachfolge suchen, sagt Pascal Stocker: «Die generelle Empfehlung lautet, so früh wie möglich mit der Nachfolgesuche zu beginnen. Dann aber auch: mehr kommunizieren und das Thema Nachfolge in der Familie und Firmenintern ansprechen.» Dass man älter wird, sei ein Umstand, den man nicht zur Geheimsache erklären sollte. Vielleicht gebe es im Betrieb ja jemanden, der interessiert ist. Und zudem sollten Firmeninhaber bei der Festsetzung des Verkaufspreises realistisch sein und sich keine Fantasiezahlen vorstellen.

Und ein Unternehmer sollte nach dem Firmenverkauf wissen, wie es weiter geht. «Ein Unternehmer bleibt ein Unternehmer; er benötigt eine Mission, die ihn auch nach der Übergabe seines Lebenswerks erfüllt.»