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Michael Mettler nimmt sich eine bewusste Auszeit – seine Reise durch Afrika ist eine Gelegenheit, neue Perspektiven zu gewinnen. Bild: Helbling Reisen

«Ich sehe mich nicht als Francesco Schettino, der im falschen Moment das Schiff verlässt»

Reto Suter

Statt sich vom Alltagstrott auffressen zu lassen, gönnt sich Michael Mettler, Geschäftsführer und Inhaber von Helbling Reisen, eine berufliche Auszeit. Im Interview mit Travelnews erklärt er, warum Afrika der perfekte Ort für seine Pause ist und wie sein Team in der Schweiz währenddessen den Betrieb am Laufen hält.

Eine mehrmonatige Auszeit nehmen – und das ganz bewusst, ohne Druck oder gesundheitliche Gründe? In der Geschäftswelt ist das eine Seltenheit. Viel häufiger sind es Manager, die nach jahrelangem Dauerstress von einem Burnout ausgebremst werden und dann gezwungenermassen eine Pause einlegen müssen.

Michael Mettler geht einen anderen Weg. Nach mehr als 25 Jahren als Führungskraft – davon bald neun Jahre als Inhaber und Geschäftsführer von Helbling Reisen – hat er sich entschieden, für einige Monate aus dem Hamsterrad auszusteigen. Seine Reise führt ihn durch Afrika, von Tansania über Sambia, Simbabwe, Botswana und Südafrika bis nach Namibia.

Zuerst während 21 Tagen als Leiter der «Helbling Signature Reise» mit dem Luxuszug Rovos Rail. Auch danach ist Mettler nicht als klassischer Tourist unterwegs, sondern mit ganz bewusstem Fokus: zusammen mit Frau und Tochter Energie tanken, neue Inspirationen sammeln, Achtsamkeit schulen.

Was hat ihn zu diesem Schritt bewogen? Und wie organisiert man eine so lange Abwesenheit als Unternehmenschef? Im Gespräch erzählt Michael Mettler, warum seine persönliche Regenerationsphase für ihn ebenso wichtig ist wie für Spitzensportler.

Herr Mettler, eine fünfmonatige, gewollte Auszeit ist bei Managern in der Schweiz eher selten. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen?

Michael Mettler:
Die Corona-Pandemie hat die Reisebranche grundlegend verändert. Während der Krise und auch in der Zeit danach musste sich die gesamte Reisebüro-Landschaft in der Schweiz neu organisieren. Dieser Wandel hat viel Zeit und Energie gekostet. Nun, da Helbling Reisen betrieblich hervorragend aufgestellt ist, habe ich entschieden, eine Auszeit zu nehmen – um für neue Projekte Kraft zu schöpfen und eine solide Basis für die Zukunft zu legen.

Was heisst das konkret?

Die technische Entwicklung schreitet rasant voran, eine neue Generation von Konsumenten definiert gerade unseren Job neu, Fachkräfte gibt es zu wenige, das Geschäftsumfeld verändert sich kontinuierlich, und es wird immer anspruchsvoller zu agieren statt zu reagieren. Gleichzeitig bleibt im Tagesgeschäft oft zu wenig Raum, um solche grundlegende Fragen zu durchdenken. Wie positionieren wir Helbling Reisen optimal, dass auch unsere jüngeren Mitarbeitenden eine langfristige Perspektive erhalten. Ich habe gemerkt: Um mit Weitsicht gute Entscheidungen zu treffen, muss ich das Büro verlassen und den Blick weiten.

Warum haben Sie sich für Afrika entschieden?

In meiner beruflichen Laufbahn hatte ich bereits zweimal die Gelegenheit, ein Engagement in Südafrika anzunehmen. Beide Male habe ich aus familiären Gründen darauf verzichtet. Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Da ich durch die «Helbling Signature Reise» mit Rovos Rail ohnehin fast einen Monat in Afrika verbringen würde, begann ich, mich intensiver mit der Möglichkeit einer längeren Auszeit auseinanderzusetzen. Mir war bewusst, dass es dafür einige organisatorische Hürden zu überwinden galt. Schritt für Schritt konnte ich diese aus dem Weg räumen – bis schliesslich der letzte und entscheidende Schritt anstand: eine vorübergehende Neuorganisation bei Helbling Reisen, die es mir ermöglicht, mich für eine gewisse Zeit zurückzuziehen, ohne dass der Betrieb darunter leidet.

«Mein Kader meinte: Wenn Auszeit, dann entweder richtig oder gar nicht»

Wie hat ihr Team auf die Ankündigung reagiert?

Anfangs gab es viele Fragen: Wer übernimmt meine Aufgaben? Wie werden Entscheidungen getroffen? Und an wen können sich die Mitarbeitenden in schwierigen Situationen wenden? Ich merkte schnell, dass meine Präsenz im Büro für viele im Team eine grössere Rolle spielt, als ich es zuvor angenommen hatte.

Sie hatten die Reaktionen unterschätzt?

Ja, das habe ich. Doch wir haben den Prozess gemeinsam gestaltet. In persönlichen Gesprächen konnte ich die Bedenken meiner Mitarbeitenden aufnehmen, Ängste abbauen und individuelle Perspektiven berücksichtigen. Jeder Mensch reagiert anders auf Veränderungen, und ich wollte sicherstellen, dass sich alle mit der Entscheidung wohlfühlen. Zusätzlich holte ich externe Unterstützung in Form einer Mediation, um das Team bestmöglich einzubinden. Es war mir wichtig, dass wir am Ende alle im selben Boot sitzen. Vom ersten Gespräch bis zur finalen Klärung aller Fragen vergingen rund sechs Monate – eine intensive, aber wertvolle Zeit.

Wie stellen Sie sich, dass bei Helbling Reisen auch während Ihrer Abwesenheit alles reibungslos läuft?

Ich habe unsere Partner in einem persönlichen Schreiben über die organisatorische Struktur von Helbling Reisen während meiner Abwesenheit informiert. Die operative Leitung übernimmt Birgit Sleegers, die sich, zusammen mit dem Kader, um sämtliche betrieblichen Angelegenheiten kümmert und bei Patt-Situationen im Zweifelsfall den finalen Entscheid trifft. Zudem sind klare Verantwortlichkeiten verteilt: Heidi Berni leitet die Filiale Teufen, Nicole Cecchin unsere Geschäftsreisen-Abteilung. Susanne Isler ist die Ansprechperson für allgemeine Reisefragen meiner persönliche Kundschaft, Sylvia Herceg übernimmt die buchhalterischen Belange, und Marisa Ricchiuto ist für die «swissskills»-Reisen zuständig. So ist sichergestellt, dass alle Bereiche reibungslos weiterlaufen.

Bringen Sie sich aus Afrika mit ein, oder klinken Sie sich komplett aus?

Ursprünglich hatte ich geplant, während meiner Zeit in Afrika mit einem 40-Prozent-Pensum weiterzuarbeiten. Doch mein Kader meinte: Wenn Auszeit, dann entweder richtig oder gar nicht. Deshalb werde ich mich bewusst zurücknehmen und nur punktuell in einzelne Projekte eingebunden sein, etwa bei den «swissskills»-Reisen, wo im September Europameisterschaften anstehen. Zudem ist ein regelmässiger Austausch mit Birgit Sleegers alle zwei Wochen vorgesehen, und bei grösseren Entscheidungen stehe ich für Rückfragen zur Verfügung. Ansonsten vertraue ich voll und ganz auf mein Team. Während der Zugreise durch Afrika und während unseres Aufenthalts in Namibia im Juli ziehe ich mich jedoch komplett zurück

«Auch in meiner Abwesenheit gibt es für jede Herausforderung kompetente Ansprechpersonen»

Ihre Ankündigung hat nicht nur intern viele Reaktionen ausgelöst, sondern auch extern nach einem entsprechenden Post auf Linkedin. Waren Sie überrascht vom grossen Echo?

Ja, mit so vielen Reaktionen hatte ich in keiner Weise gerechnet – und erst recht nicht mit Nachrichten von Menschen, mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Das hat mich besonders gefreut. Am schönsten war jedoch die fast durchwegs positive Resonanz.

Es wurden auch Stimmen laut, die zu bedenken gaben, dass eine monatelange Auszeit der Geschäftsleitung in einem KMU eine enorme Zusatzbelastung für das Team bedeuten könne. Deshalb sollten längere Pausen gut abgestimmt und idealerweise für alle möglich sein. Verstehen Sie diesen Einwand?

Ich schätze solche Rückmeldungen sehr, denn sie regen zur Selbstreflexion und zu wertvollen Diskussionen an. Helbling Reisen verfügt über ein Team von 22 erfahrenen Spezialistinnen und Spezialisten mit einer Kaderstruktur, die alle Kernbereiche abdeckt. Wäre dies anders und ich als Chef zum Beispiel voll im Verkauf eingebunden, hätte ich eine mehrmonatige Auszeit wohl nicht in Betracht gezogen. Auch in meiner Abwesenheit gibt es für jede Herausforderung kompetente Ansprechpersonen. Ich sehe mich nicht als Francesco Schettino, der im falschen Moment das Schiff verlässt (lacht).

Würden Sie einem ihrer Mitarbeitenden eine derart lange Auszeit zugestehen?

Grundsätzlich würde ich so etwas nicht ausschliessen. Jede Situation ist individuell und müsste im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Tatsächlich kommt es bei uns immer wieder vor, dass Mitarbeitende längere oder auch unbezahlte Ferien nehmen. Wichtig ist, dass der Betrieb auch während einer solchen Abwesenheit reibungslos funktioniert – das wäre die entscheidende Voraussetzung für eine solche Regelung.