On The Move
Tested Grenzerfahrung im Nachtzug
Reto SuterDie dreitägige Wien-Studienreise des Schweizer Bahnspezialisten Railtour ist mit zahlreichen Highlights gespickt. Als Schlussbouquet steht eine Fahrt mit dem Nachtzug von Wien nach Bregenz auf dem Programm. In die Schweiz fährt der Nightjet der neusten Generation noch nicht. Die erste Verbindungen sind für kommendes Jahr geplant.
Am Dienstagabend, um 22.35 Uhr, steht unsere Gruppe auf dem Perron am Wiener Hauptbahnhof bereit. Kurz vor 22.50 Uhr fährt der Nachtzug auf Gleis 8 ein. Wir sind in den Wagen 263 und 264 untergebracht und steuern – mit Unterstützung unserer Railtour-Reiseleiter Chloé Gutknecht und Mike Jakob – zielsicher auf die entsprechenden Zugtüren zu.
Kaum sind wir eingestiegen, rollt der Nightjet los. Er ist komplett ausgebucht. Das zeigt: Wer im Nachtzug reisen will, sollte seinen Platz so früh wie möglich reservieren. Der Bahn-Boom ist und bleibt gross.
Nach dem Hochgenuss ein Komfortschock
Die eine Hälfte unserer Gruppe ist in Schlafkabinen mit Doppelbelegung einquartiert, die andere in so genannten Mini Cabins. Sie sind eine Weiterentwicklung der Liegewagen und sollen Alleinreisenden mehr Privatsphäre bieten. Für mich ist eine dieser Mini Cabins reserviert: Nummer 33, oben.
Als ich mit Sack und Pack bei meiner Kabine ankomme, erschrecke ich. Klar, mir war bewusst, dass ich auf der neunstündigen Fahrt nicht in Luxus schwelgen werde, ein bisschen grösser und komfortabler hatte ich mir meinen Schlafplatz aber schon vorgestellt. Dass ich zuvor noch nie in einem Nachtzug gereist bin, hat zweifellos zu meiner falschen Vorstellung beigetragen.
So wie mir scheint es vielen in der Gruppe zu gehen. Nach einem fantastischen Aufenthalt in Wien mit zahlreichen Höhepunkten erleben die Reiseprofis einen Komfortschock. Hier ein Seufzer, da ein Stöhnen: Nicht alle haben sich damit abgefunden, dass sie über neun Stunden in diesen beengten Platzverhältnisse reisen sollen.
Auch ich stelle mir einige Fragen: Verunmöglicht unerträgliche Hitze jeglichen Schlaf? Wie verhält es sich mit der Geräuschkulisse? Und: Schaffe ich es in dieser Ausnahmesituation, meine Körperhygiene einigermassen in Schuss zu halten?
Für die Schuhe und das Gepäck stehen separate Fächer für jede einzelne Kabine zur Verfügung. Sie lassen sich mit einer Chipkarte öffnen, die in der Kabine bereitliegt. Der Stauraum ist jedoch begrenzt: Wer mit einem grösseren Koffer reist, hat das Nachsehen und muss diesen auf einer nahegelegenen Ablagefläche unterbringen. Besonders ärgerlich kann das werden, wenn man mitten in der Nacht etwas benötigt und die Kabine extra verlassen muss, um an sein Gepäck zu gelangen.
Die Mini Cabin erinnert an ein Kapsel-Hotel. Jede Schlafkoje verfügt über ein eigenes Fenster, einen Klapptisch, einen Kleiderhaken, eine Steckdose und ein Panel, auf dem sich das Licht regulieren lässt. Zudem können Reisende per Knopfdruck die Bedienung rufen, und es ist immer ersichtlich, ob das WC frei ist.
Irgendwann habe ich all meinen Kram für die Nacht beisammen: das Necessaire, das Handy-Ladekabel und mein improvisiertes Pyjama. Die Abendtoilette vor dem Schlafengehen ist nicht gerade ein Wellnessprogramm.
Der Platz in der Waschkabine, einige Meter von meiner Schlafkoje entfernt, ist sehr knapp bemessen. Als ich mein Necessaire auf die äusserst kleine Ablagefläche stelle, geht gleich der automatische Händetrockner los. Das Zähneputzen wird bei der Mini-Waschschüssel zu einer Herkulesaufgabe. Die Folge: überall Wasserspritzer.
Mehr Schlaf als erwartet
Nach der Abendtoilette geht's zurück in die Kabine. Glücklicherweise habe ich die Schlüsselkarte dabei. Denn durch das Ruckeln des Zuges hat sich die Schiebetür zu meiner Koje von selbst geschlossen. In diesen Fällen sind die Zugbegleiter jeweils schnell zur Stelle und helfen mit einem Generalschlüssel aus, wie ich auf unserer Fahrt gleich mehrmals mitbekomme.
Nun mache ich es mir mit Kissen und Decke bequem in meiner Kabine, verschliesse von innen die Schiebetür und lösche das Licht. «Liege ich hier die ganze Nacht wach, oder finde ich zumindest ein bisschen Schlaf?», frage ich mich. Schneller als erwartet schlafe ich ein – und bin wieder hellwach, als der Zug für sehr lange Zeit am Bahnhof von Innsbruck steht.
Ein kurzer Toilettengang und wieder zurück in die Kabine. Jetzt fällt es mir schwer, nochmals Schlaf zu finden. Ich höre überall Schnarchen: unten, links und rechts. Als der Zug losgefahren ist, überkommt mich erneut die Müdigkeit, und ich döse nochmals ein. Irgendwann vor sechs Uhr erwache ich. Rund um mich herum werden die ersten Frühstücke serviert.
Alles in allem dürften bei mir etwa dreieinhalb Stunden Schlaf zusammengekommen sein. Ganz ehrlich: Ich hatte mit weniger gerechnet. Anderen ergeht es weniger gut: Ihre Smartwatches offenbaren eine Schlafdauer zwischen anderthalb und zwei Stunden.
Ich habe schlicht keinen Hunger und verzichte auf ein Frühstück. In der Waschkabine mache ich mich bereit für den Tag. Auf dem Weg dahin und wieder zurück blicke ich in viele müde Augen. Richtig erholt sieht niemand aus. Aber die Gruppe nimmt es mit Humor. Nicht zuletzt dank dem Support von Railtour-Verkaufschef Mike Jakob, der den hart geprüften Reiseprofis fast pausenlos mit Rat und Tat zur Seite steht.
Um 8.29 Uhr nimmt das Bahnabenteuer quer durch Österreich ein gutes Ende. Unser Zug fährt pünktlich in den Bahnhof von Bregenz ein. Die Stimmung in der Gruppe ist gelöst.
Mein Fazit fällt gemischt aus: Wer auf Reisen im Nachtzug nicht auf Komfort verzichten möchte, ist im teureren Schlafwagen besser aufgehoben. Dort sind die Chancen auf eine erholsame Nacht deutlich höher. Zudem bieten alle Schlafabteile der neuesten Nachtzug-Generation ein eigenes WC mit integrierter Dusche.
Dennoch haben auch die Mini Cabins ihren Reiz – besonders für unkomplizierte Alleinreisende mit kleinem Budget. Der Preis von rund 50 Franken pro Fahrt über Railtour ist äusserst attraktiv. Hervorzuheben ist ausserdem die durchdachte Ausstattung der Kabinen. Und meine Befürchtungen bezüglich der Temperatur haben sich nicht bestätigt: Die Luft in der Kabine ist zwar etwas trocken, doch ich musste weder schwitzen noch frieren.
Hätte ich klüger gepackt und im Vorfeld genauer gewusst, was mich erwartet, wäre alles ein wenig entspannter verlaufen. Sei’s drum: Vielleicht werde ich nie wieder in einer solchen Mini-Kabine übernachten, aber es bleibt für mich ein Zugerlebnis, das ich nicht missen möchte.