On The Move
Fragezeichen um den chinesischen Markt
Marilin Leuthard«Der Tourismus befindet sich an einem Wendepunkt», stellt Martin Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus, an einem Medienfrühstück am Hauptsitz von Schweiz Tourismus in Zürich klar. Weltweit reisen immer mehr Leute, was sich auch im Schweizer Tourismus widerspiegelt. Mit knapp 42 Millionen Hotellogiernächten wurde im vergangenen Jahr 2023 eine Allzeitrekord aufgestellt. Der Tourismus soll laut Nydegger nicht nur weiter gefördert, sondern zunehmend auch gelenkt werden.
Content Creators mit grossem Einfluss
Die Massnahmen, die die Marketingorganisation ergreift, werden unter der Strategie «Travel better» zusammengefasst. «Wir bringen die richtigen Gäste zur richtigen Zeit an die richtigen Destinationen. Lenken und Fördern heisst die Zauberformel», sagt Nydegger. Damit soll eine langfristige Neuausrichtung des Schweizer Tourismus stattfinden. Die verschiedenen Inbound Märkte sollen konkreter gelenkt werden.
Ein Beispiel ist Südkorea: Schweiz Tourismus hat erkannt, dass Content Creators einen grossen Einfluss auf die vor allem jüngere Bevölkerung in Südkorea haben. Mit dem Ziel, die Touristinnen und Touristen etwas länger in der Schweiz zu haben, wurden einige ausgewählte Content Creators drei Wochen in die Schweiz eingeladen. Die Inhalte, welche diese auf ihren Social Media Kanälen teilten, führten tatsächlich zu einer Aufenthaltsverlängerung südkoreanischer Reisender.
Für jeden ausgewählten Herkunftsmarkt werden so gezielt Nischen und spannendsten Segmente angesteuert. Auf diese weise kann man nicht nur auf die Aufenthaltsdauer einen Einfluss nehmen, sondern auch auf den Zeitpunkt und den Ort des Aufenthaltes. Gästeströme zu lenken bedeutet für ST auch, dem Dichtestress entgegenzuwirken, den Tourismus nachhaltiger zu gestalten und die Hotspots zu entlasten.
Kaum chinesische Gäste
Es ist Wahljahr in den USA, was normalerweise ein Einbruch der Touristen aus den USA bedeutet. «Der Wahljahr-Dip ist jeweils deutlich zu spüren, die US-Amerikaner sind dann eher mit sich selbst beschäftigt», erklärt Nydegger. Doch anders in diesem Jahr: Während bereits im vergangene Jahr enorm viele Gäste aus den Staaten die Schweiz besuchten, tut auch die Präsidentschaftswahl dem Trend kein Abbruch.
Trotz starken zahlen aus den USA gibt der ST-Direktor zu bedenken: «Internationale und amerikanische Reisveranstalter mahnen uns, die pandemiebedingt gefüllten Geldbeutel für Übersee-Ferien seien langsam auch bei den US-Reisenden aufgebraucht.»
Nicht erholt bisher hat sich der chinesische Markt. Auch in diesem Jahr fehlen rund die Hälfte der Hotellogiernächte von 2019, die Branche meldet kaum chinesische Gäste für diesen Sommer. Martin Nydegger erwartet, dass der einst zweitwichtigste Herkunftsmarkt der Schweiz sein Spitzenniveau auch nicht mehr erreichen wird. «Der chinesische Markt befindet sich in einer Transformationsphase. Die Pandemie hat das Land stärker getroffen als erwartet», so der ST-Direktor.
Gründe seinen vor allem, dass China seinen Inlandtourismus erfolgreich angekurbelt hat, wodurch viele Chinesen die Ferien im eigenen Land verbringen. Zudem gäbe es seit der Pandemie weniger Flugverbindungen ab Zürich und auch einige Tour Operator würden sich zunehmen umorientieren, in Richtung Südostasien. Zudem reisen Chinesinnen und Chinesen nicht mehr in den gewohnten Grossgruppen, Kleingruppen und Individualreisen stehen im Vordergrund.
Verregneter Juni trifft vor allem Berggebiete
In Bezug auf die vergangenen Sommermonate in der Schweiz zieht Martin Nydegger eine durchzogene Bilanz. Das schlechte Wetter im Juni und teils auch Juli bescherte einigen Schweizer Feriendestinationen einen schweren Sommerstart. Das nasskalte Wetter sorgte allen voran im Tessin, aber auch in Graubünden und im Wallis für unzählige Stornierungen oder Umbuchungen. Auch fehlten die Spontanbuchungen.
Die Auswirkungen sind dort besonders stark, wo der Heimmarkt Schweiz sowie die Märkte in den Nachbarländern einen Grossteil der Gäste ausmachen. Zermatt, das auch viele Gäste aus ferneren Märkten hat, bekam den wetterbedingten Gästeeinbruch weniger zu spüren. Fernmarkt-Reisen finden so oder so statt, mit gutem oder schlechtem Wetter.
Vom schlechten Wetter nicht betroffen waren Städte wie Basel und Zürich. Städtetourismus sei wetterunabhängig, vor allen auch wegen den zahlreichen «wetterfesten» Attraktionen, hält Nydegger fest. Laut Letizia Elia, der Direktorin von Basel Tourismus, konnte sich die Stadt Basel in den letzten Jahren beim Schweizer Publikum als attraktive Freizeitdestination etablieren: «Wir konnten den stärksten Juni aller Zeiten verbuchen. Dank einer erfolgreichen Art Basel und auch dank vielen Schweizer Gästen.» In Zürich sorgten vor allem das Konzert von Taylor Swift und die Streetparade für eine hohe und auch diversifizierte Nachfrage.