On The Move

«Das neue Personal bleibt jetzt länger auf den kleineren Flugzeugen»
Reto SuterHerr Knuchel, Sie sind seit über 20 Jahren bei der Swiss. Vorher arbeiteten Sie bereits für die Swissair. Dort sind Sie 1995 als Flugbegleiter eingestiegen. Weshalb haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?
Dass ich mich damals bei der Swissair beworben habe, war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich arbeitete in den 1990er-Jahren als Jurist für eine japanische Bank in Zürich und reiste beruflich regelmässig nach Tokio und New York. Die Fliegerei begeisterte mich schon damals. Deshalb entschied ich mich im Alter von 29 Jahren, eine Bewerbung als Flight Attendant abzuschicken – quasi im letztmöglichen Moment. Denn zu jener Zeit wurde niemand eingestellt, der 30 oder älter war. Drei Monate vor meinen 30. Geburtstag begann ich mit der Ausbildung.
Sie gaben ihren angesehenen Job als Jurist für den Beruf des Flugbegleiters auf. Wie reagierte Ihr Umfeld auf diese Entscheidung?
(Lacht) Sie können es sich wahrscheinlich vorstellen. Im ersten Moment dachten Familie und Freunde, ich hätte den Verstand verloren. Ich kann aber bis heute sagen, dass ich meinen damaligen Entscheid keinen einzigen Tag bereut habe.
Das manifestiert sich darin, dass Sie auch in Ihrer jetzigen Funktion noch regelmässig als Maître de Cabine in der Luft sind – in der Regel zweimal im Monat. Wie verhalten sich die Crews, wenn sie ihren Chef mit an Bord haben?
Ich denke nicht, dass sich die Flight Attendants anders verhalten, als wenn ich nicht dabei wäre. Mir ist es wichtig, Themen offen und direkt anzusprechen, und das auf Augenhöhe. Die Wertschätzung und das Vertrauen sind gegenseitig gross. Das spüre ich im Austausch mit den Crews. Hierzu eine kleine Anekdote: Als ich letzthin einen Einsatz kurzfristig verschieben musste, teilte mir die Besatzung dieses Flugs anschliessend mit, sie sei enttäuscht gewesen, dass ich nicht ihr Maître de Cabine war. Solche Feedbacks freuen mich enorm.
«Wir haben neue Arbeitszeitmodelle eingeführt, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären»
Die Swiss hat vergangenes Jahr 1000 neue Flight Attendants eingestellt. Dieses Jahr sollen es nochmals so viele sein. Wie schaffen Sie das?
Es ist zweifellos eine Herausforderung. Weil wir derart viele zusätzliche Flight Attendants benötigen, mussten wir den Einstellungsprozess optimieren. Das ist uns gelungen. Sonst wäre es gar nicht möglich, in diesem Ausmass und in diesem Tempo Kabinenpersonal zu rekrutieren und auszubilden. Was uns dabei ebenfalls hilft, ist der neue Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Seit dieser am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, hat die Zahl der qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber spürbar zugenommen – Tendenz weiter steigend.
Ich nehme an, hier spielen die höheren Löhne eine entscheidende Rolle.
Auch, aber nicht nur. Das Gesamtpaket ist besser geworden. Es ist uns gelungen, den Beruf des Flight Attendants noch attraktiver zu machen. Natürlich ist die Bezahlung ein Aspekt. Gleichzeitig legen wir aber auch ein grosses Augenmerk auf die Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir haben neue Arbeitszeitmodelle eingeführt, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären. Das war meiner Meinung nach klar nötig, um den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen.
Wie sieht das Anforderungsprofil für Flight Attendants bei der Swiss aus?
Ganz einfach: Wir wollen einfach die Besten (lacht). Im Ernst: Das Alter ist für mich sekundär. Inzwischen ist bei uns auch die Altersgrenze abgeschafft worden. Natürlich gibt es bestimmte Vorgaben betreffend Sprachkenntnisse, Gesundheitszustand und äussere Erscheinung. In erster Linie suchen wir aber Menschen, die diesen Beruf mit Leidenschaft ausüben und durch ihre Persönlichkeit eine Bereicherung für unsere Teams und Passagiere sind.

Die Rekrutierung ist das eine, der Einsatz an der Front unmittelbar nach der Ausbildung das andere. Wie schwierig ist es, die neuen Mitarbeitenden in den Flugbetrieb zu integrieren?
Sie sprechen ein wichtiges Thema an. Gerade, weil wir wohl auch im kommenden Jahr nochmals 1000 neue Kolleginnen und Kollegen rekrutieren werden. Hier stösst das System zuweilen an seine Grenzen. Nach sechs Wochen Ausbildung sind die Flight Attendants erstmals auf einem Flug mit dabei – in einer für sie komplett neuen Welt. Sie müssen aber von Anfang an ihre Aufgaben erledigen können. Dass da gerade am Anfang nicht immer alles reibungslos läuft, liegt auf der Hand. Wir arbeiten aber intensiv daran, das neue Personal schnell auf das geforderte Niveau zu bringen. Wir prüfen aktuell, ob wir den Grundkurs deshalb etwas verlängern.
Wurden Anpassungen vorgenommen, damit sich die Abläufe an Bord schneller einspielen und das System weniger überhitzt?
Eine Massnahme haben wir im Frühling umgesetzt, als wir sahen, dass alles etwas zu schnell geht. Das neue Personal bleibt jetzt länger auf den kleineren Flugzeugen, bevor es auf die Langstrecke wechselt. Dies dauert nun acht statt wie vorher maximal vier Wochen. Wir mussten abwägen zwischen dem Ziel, die neuen Cabin Crew Members möglichst schnell auf allen Flugzeugtypen einzusetzen und dem Anspruch, dass diese ihre Arbeit kompetent und ohne Unsicherheiten erledigen können.
Gibt es technische Mittel, die helfen könnten, das Personal noch besser auf die Einsätze an Bord vorzubereiten?
Wir arbeiten in der Ausbildung teils mit Lernprogrammen am Computer, so genanntem Web Based Training (WBT). Zudem prüfen wir aktuell den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen. Auch das ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss für eine perfekte Vorbereitung auf den Flugbetrieb. Selbst die junge Generation will sich nicht ausschliesslich im virtuellen Raum bewegen, sondern sehnt sich nach praktischer Übung. Das beweisen unsere freiwilligen Kurse für den Service an Bord, die wir im vergangenen Jahr angeboten haben. Sie waren komplett ausgebucht.
«Jemand hat uns vorgeworfen, dass wir jedem Trend nachrennen würden»
Im vergangenen Herbst forderten Sie die Flight Attendants in einem internen Video dazu auf, der Sicherheit eine höhere Priorität einzuräumen. Hat sich die Situation seither gebessert?
Ich möchte betonen: Es gab keinen Zwischenfall, der zu dieser Ansage geführt hat. Mein Appell war einzig und allein auf persönliche Beobachtungen und Rückmeldungen aus dem Flugalltag zurückzuführen. Ich wollte uns allen in Erinnerung rufen, dass wir auch kleine Unsicherheiten im Alltag ernst nehmen und diese angehen. Und ja: Dieser Appell hat gewirkt. Gleichzeitig sind wir pausenlos daran, unsere entsprechenden Trainings weiter zu verbessern, um unsere Flight Attendants bestmöglich zu schulen. Zudem haben wir unsere Briefings vor den Flügen angepasst. Neu muss das Thema Sicherheit immer an erster Stelle besprochen werden. Mir bereitet es grosse Freude, wenn ich unangemeldet bei Briefings vorbeischaue und sehe, wie seriös und detailliert die Crews mögliche Fragen zur Sicherheit behandeln.
Andernorts wurden die Regeln gelockert: Seit einigen Monaten ist der rote Lippenstift nicht mehr Pflicht, und die Flight Attendants dürfen auch mit Piercings und dezenten Tattoos die Passagiere bedienen. Was hat zu diesem Sinneswandel geführt?
Mir war es ein grosses Anliegen, diese Lockerung gemeinsam mit der Gewerkschaft voranzutreiben. Wir gingen am Ende sogar noch etwas weiter als ursprünglich geplant. Ein moderner Arbeitgeber muss sich auch über solche Themen Gedanken machen. Wir mussten in der Vergangenheit teils bestens qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber ablehnen, weil sie nicht bereit waren, ihr Tattoo abzudecken. Auf solche Bewerbungen möchten wir nicht länger verzichten.
Wie fielen die Reaktionen aus?
Ich bekam sehr viele Mails – positive und negative. Jemand hat uns vorgeworfen, dass wir jedem Trend nachrennen würden. Aber das sehe ich anders. Tattoos zum Beispiel sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ausserdem hatten wir das neue Uniformreglement in enger Zusammenarbeit mit der Kabinengewerkschaft erarbeitet. Wir hatten zwei Möglichkeiten. Entweder wir schauen zum Fenster hinaus, und die Welt zieht an uns vorbei. Oder wir schauen hinaus, steigen ein und fahren mit. Ich denke, wir haben bei den Outfit-Regeln eine zeitgemässe Lösung gefunden.
Wie erklären Sie sich diese teilweise harschen Rückmeldungen?
Das dürfte vor allem mit der Angst vor Neuem, vor Ungewohntem zu tun haben – das kennen wir sicher alle aus eigener Erfahrung. Ich kann das durchaus verstehen. Aber völlig unabhängig davon, wer von der Crew Lippenstift trägt, ein Nasenpiercing hat, ein Tattoo oder nichts davon: Wir setzen auch bei unseren neuen Uniformregeln klar voraus, dass all unsere Mitarbeitenden weiterhin einwandfrei gepflegt und unseren Vorgaben entsprechend zur Arbeit kommen. Daran wird sich auch nichts ändern.
Fast 30 Jahre ist es her seit ihrem ersten Flug als Flight Attendant. Warum fasziniert Sie dieser Beruf bis heute?
(Schmunzelt) Ich lasse jetzt die gängigen Klischees wie das Kennenlernen fremder Kulturen und das Lernen neuer Sprachen bewusst weg. Das gehört natürlich auch dazu und ist etwas Einzigartiges und Schönes an diesem Beruf. Bei mir ist es in erster Linie aber der Umgang mit den Menschen, der mich begeistert – sowohl innerhalb der Crews als auch mit den Passagieren. Für mich ist Flugbegleiter bis heute ein Traumberuf.