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Shpend Ibrahimi ist seit rund viereinhalb Jahren CEO von Chair Airlines. Bild: Chair

«Es ist nicht selbstverständlich, dass es uns als kleine Airline noch gibt»

Reto Suter

Shpend Ibrahimi ist Chef der Schweizer Fluggesellschaft Chair Airlines. Diese Woche feiert das Unternehmen seinen fünften Geburtstag. Im Gespräch mit Travelnews blickt Ibrahimi zurück auf die schwierigen Anfänge, und er verrät, was ihm für die Zukunft viel Zuversicht verleiht.

Die europäische Airline-Branche erlebt Anfang 2019 ein kleines Erbeben. 41 Jahre nach ihrer Gründung geht die Fluggesellschaft Germania pleite. Auch die Schweizer Tochter, Germania Flug AG, gerät ins Schlingern. Aber sie überlebt.

Die Albex Aviation Beteiligungsgesellschaft um die Geschäftsführerin von Air Prishtina, Leyla Ibrahimi-Salahi, übernimmt die marode Airline. Schon bald erwirbt die polnische Enter Air einen Anteil von 49,9 Prozent.

Kurz darauf entscheiden die neuen Eigentümer: Die Germania Flug AG braucht einen anderen Namen. Sie taufen sie in Chair Airlines um. Am 11. Juni 2019 ist erstmals ein Flugzeug mit dem neuen Logo zu sehen.

Viele Airline-Kenner zweifeln daran, dass Chair im hart umkämpften Markt bestehen kann. Zu Unrecht. Die Schweizer Fluggesellschaft feiert dieser Tage ihren fünften Geburtstag. Ganz zur Freude von Shpend Ibrahimi, der vor gut viereinhalb Jahren zum CEO von Chair aufgestiegen ist.

Herr Ibrahimi, fünf Jahre ist es her, seit Chair Airlines erstmals abgehoben hat. Wie gross ist Ihr Stolz, dass sich Ihre Fluggesellschaft in diesem schwierigen Markt erfolgreich behaupten konnte?

Shpend Ibrahimi: Ich bin als Quereinsteiger in die Airline-Branche gekommen. Das war gut so. Hätte ich gewusst, wie herausfordernd das Business ist, hätte ich die Finger davon gelassen (lacht). Für mich gilt: Wenn ich etwas mache, dann richtig. Nach diesem Motto haben wir in den vergangenen fünf Jahren gearbeitet. Dadurch konnten wir in diesem hart umkämpften Markt bestehen. Es ist nicht selbstverständlich, dass es uns als kleine Airline immer noch gibt. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass uns auch die Corona-Krise – wie alle in der Branche – empfindlich getroffen hat.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Gründungszeit im Jahr 2019?

Die Eindrücke von damals sind immer noch sehr präsent. Nicht zuletzt, weil es eine äusserst intensive Zeit war. Die Pleite von Germania Deutschland brachte natürlich auch die Germania Flug AG hier in der Schweiz in Schwierigkeiten. Einerseits wandten sich die Veranstalter von uns ab, andererseits ging auch die Zahl der Direktbuchungen deutlich zurück. Rückblickend haben sich unsere Anstrengungen gelohnt. Wir haben umstrukturiert und reorganisiert – und das trägt bis heute Früchte.

Wie schwierig war der Start mit dem Rebranding?

Für uns war sehr schnell klar, dass wir uns vom Namen Germania trennen mussten. Er war für den Schweizer Markt sehr unglücklich gewählt. Deshalb holten wir uns Hilfe von Marketing-Profis, um künftig mit einem neuen Namen abzuheben. Dabei fiel die Wahl auf Chair.

Für diese Wahl mussten Sie auf Social Media zunächst einiges an Kritik einstecken, weil «chair» auf Englisch Stuhl und auf Französisch Fleisch bedeutet. Hat sich der Name dennoch bewährt?

Absolut. Chair ist in der englischen Übersetzung eine Anspielung auf die Sitzplätze im Flugzeug. Zudem ist im Wort das Kürzel «CH» zu finden, das für die Schweiz steht. Damit sind wir frischer und frecher unterwegs als die Konkurrenz. Das gibt uns eine eigene DNA – und macht uns einzigartig.

«Ich erlebe kein Interview, ohne dass mir diese Frage gestellt wird»

Ihre Frau, Leyla Ibrahimi-Salahi, ist Chefin des Flugveranstalters Air Prishtina und arbeitet in dieser Funktion eng mit Ihnen und Chair zusammen. Wir gut können Sie Familie und Beruf trennen? Kommt es auch zu Hause dann und wann zu geschäftlichen Diskussionen?

In unserer Konstellation kann man Privates und Geschäftliches nur schwer trennen. Klar, hie und da besprechen wir die eine oder andere Angelegenheit zu Hause. Es ist aber keinesfalls so, dass Air Prishtina und Chair bei uns am Familientisch die dominierenden Themen sind.

Chair-CEO Shpend Ibrahimi in den Büros der Airline in Glattbrugg. Bild: TN

Wie laufen die Geschäfte von Chair aktuell?

Wir sind sehr erfolgreich unterwegs. 2023 transportierten wird rund 700’000 Fluggäste Dieses Jahr läuft’s noch besser. Wir gehen davon aus, dass wir bei den Passagieren erstmals die Millionen-Grenze knacken werden.

Welche Destinationen laufen gut, wo ist die Nachfrage allenfalls geringer als erwartet?

Inzwischen haben wir keine Sorgenkinder mehr. Aufgrund der geopolitischen Lage entwickelte sich Ägypten im ersten Quartal nicht wie erhofft. Mittlerweile sind wir dort aber bereits wieder auf Vorjahres-Niveau. Auch das Geschäft mit Flügen nach Kreta und Mallorca läuft sehr erfreulich. Stand heute liegen wir bei den Buchungen – über alle Destinationen gesehen – rund zehn Prozent über Vorjahr.

Wie wichtig ist für Chair das Balkan-Geschäft?

(Atmet tief durch) Dieses Thema scheint die Schweizer Journalisten ganz besonders zu beschäftigen. Ich erlebe kein Interview, ohne dass mir diese Frage gestellt wird. Klar ist das Balkan-Geschäft wichtig für uns, es macht bei Chair momentan rund 50 Prozent aus. Das ist aber nicht in Stein gemeisselt. Die aktuellen Kapazitäten im Balkan sind auch unserer derzeitigen Flottengrösse geschuldet. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich die Anteile künftig verschieben: etwas weg vom Balkan, hin zu anderen Reisezielen.

«Hier hat sich das Bild definitiv gewandelt»

Aktuell fliegt Chair mit seinen vier Flugzeugen zehn Destinationen an. Ist ein Ausbau des Angebots geplant, sind neue Reiseziele in der Pipeline?

Unser Commercial Department fasst laufend neue Reiseziele ins Auge, die interessant für uns sein könnten. Aktuell ist aber kein Ausbau des Angebots geplant. Das wird möglicherweise im kommenden Jahr ein Thema.

Seit Anfang dieses Jahres benötigen kosovarische Staatsbürger für den Schengenraum, zu dem auch die Schweiz gehört, kein Visum mehr. Inwiefern hat diese Reisefreiheit Ihr Geschäft zusätzlich angekurbelt?

Ich erwartete im Vorfeld kaum spürbare Auswirkungen durch die Visafreiheit. Jetzt zeigt sich: Ich lag falsch. In einem Radio-Interview prophezeite ich einen Zuwachs von drei bis fünf Prozent bei Flugbuchungen im Kosovo. Nun liegen wir bei einem Wachstum von mindestens zehn Prozent.

Ihre Airline sieht sich immer wieder der Kritik ausgesetzt, sie kommuniziere bei Verspätungen und Flugausfällen schlecht – und lasse die Passagiere im Stich. Hat sich Chair in diesem Bereich verbessert?

Hier hat sich das Bild definitiv gewandelt. Wir haben einerseits den Kundensupport verbessert und andererseits unser Personal in internen Kursen noch besser geschult. Was die Kommunikation und den Umgang mit Verspätungen betrifft, sind wir massiv besser unterwegs als im vergangenen Jahr.

Die Flotte von Chair Airlines umfasst aktuell vier Flugzeuge. Bild: Facebook / Chair

Um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, hat Chair im Frühling 2023  ein Workation-Projekt auf Mallorca für die Mitarbeitenden lanciert. Wie wurde dieses Angebot angenommen?

Im ersten Monat nach der Einführung hat sich absolut nichts getan (lacht). Die Mitarbeitenden wollten sich zuerst informieren, was es damit genau auf sich hat. Dann nahm das Interesse plötzlich markant zu, und das Projekt kam richtig ins Rollen. Unsere Mitarbeitenden haben die Wahl: Sie können auf Mallorca entweder nur Ferien machen, ausschliesslich arbeiten oder eine Kombination aus beidem praktizieren.

Gibt es das Workation-Angebot auch dieses Jahr wieder?

Ja, wir bieten es erneut an – mit dem klitzekleinen Unterschied, dass es dieses Jahr von Anfang äusserst gut gebucht war (schmunzelt). Das zeigt: Dieses Angebot wird geschätzt. Es ist für unsere Mitarbeitenden definitiv ein Benefit. Und nicht nur das: Auch wir als Unternehmen profitieren davon. Es hat sich gezeigt, dass die Mitarbeitenden in der Workation-Umgebung sehr effizient arbeiten.

Wie feiert Chair das Jubiläum?

Wir feiern am 20. Juni im Runway 34 in Glattbrugg eine grosse Party, zu der wir unsere Partner eingeladen haben. Mit dem Fest wollen wir uns bei ihnen für die Zusammenarbeit und das Vertrauen bedanken – und auf eine erfolgreiche Zukunft anstossen. Wir erwarten an die 100 Leute.