On The Move
Nachtzüge lösen Frust und Ärger aus
Nachtzüge erleben einen Boom. Klimabewusste Menschen reisen innerhalb von Europa zunehmend mit der Bahn statt mit dem Flugzeug. Das Problem: Angebot und Service können mit der stark steigenden Nachfrage nicht Schritt halten.
Bei der SRF-Sendung «Kassensturz» melden sich viele Reisende, die mit Nachtzügen schlechte Erfahrungen gemacht haben. Sie berichten von fehlenden Abteilen, komplett überfüllten Wagen und Zügen, die auf halber Strecke gestoppt werden und nicht mehr weiterfahren.
Noam Schaulin von der Interessenorganisation Pro Bahn Schweiz kritisiert, dass einige Linien von und nach Zürich besonders stark betroffen seien. «Dass wir immer noch fast wöchentlich Meldungen von ausfallenden Schlafwagen bekommen, von Leuten, die ein Downgrade auf Sitzwagen erhalten, das kann einfach nicht sein.»
Grosse Probleme auf der Strecke Amsterdam-Zürich
Robér Bormann, Projektleiter Nachtzüge bei der SBB, bedauert die Probleme, besonders bei den Schlafwagen: «Es gibt keine anderen Fahrzeuge dieser Bauart im Betrieb. Das heisst, wenn ein Wagen ausfällt, haben wir ein massives Problem», sagt er. Weil die SBB die Nachtzüge nicht selbst betreibt, sondern Partner wie etwa die ÖBB, seien ihnen oft die Hände gebunden: «Weil wir kein eigenes Rollmaterial besitzen, haben wir nicht die Möglichkeit, eigene Fahrzeuge reinzustellen, um fehlende Wagen zu ersetzen.»
Timo Grossenbacher ist Data-Journalist und betreibt die Vergleichsplattform night-ride.ch. Er hat seit Anfang Jahr sämtliche App-Meldungen der SBB an die Kundschaft für den «Kassensturz» ausgewertet. Die tägliche Nightjet-Linie Amsterdam-Zürich ist demnach die problematischste: 91 Schlafwagen sind in dieser Zeit ausgefallen oder erfuhren ein Downgrade. An 100 von 150 Tagen hat Grossenbacher auf der Strecke Probleme registriert.
«Wenn an zwei Dritteln der Tage ein Schlafwagen ausfällt oder durch einen Liegewagen ersetzt wird, oder ein Liegewagen ausfällt, dann ist das eigentlich aus Kundensicht absolut inakzeptabel, und dann frage ich mich als Kunde, wieso dafür überhaupt noch Tickets verkauft werden», so Grossenbacher.
Die SBB gibt keine genauen Zahlen bekannt. Sie hält fest: «Die Häufigkeit von Störungsmeldungen sagt nichts über die Anzahl betroffener Passagiere aus.» Laut Robér Bormann von der SBB ist das Problem aber erkannt und das Buchungssystem Ende letzten Jahres geändert worden. Doch seien noch Tickets im Umlauf, wo Probleme auftauchen könnten.
Kurt Bauer, Leiter Fernverkehr bei den ÖBB, gibt im Interview mit dem «Kassensturz» zu: «Wir haben momentan eine erhöhte Anzahl an Wagenausfällen und Downgrades. Das liegt daran, dass wir alles, was Räder hat, in Dienst setzen, um die grosse Nachfrage zu bewältigen. Rund ein Prozent der Wagen, die eingeplant sind, fallen laut Bauer derzeit aus.
«Die ÖBB investieren viel Geld, um die Situation zu verbessern – auch kurzfristig», sagt er. «Wir bitten alle Reisenden, uns treu zu bleiben.» In einem Jahr sehe die Situation schon ganz anders aus, verspricht Bauer.