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Kommentar So ist der Zug keine Alternative zum Flug
Reto SuterUm die Deutsche Bahn steht es schlecht. Das wusste man. Das Jahr 2023 hat nun aber das ganze Ausmass des Desasters ans Licht gebracht. Wir erleben chronisch verspätete Züge und eine Streikwelle, die nie mehr abzuebben scheint.
Die aktuellsten Zahlen sind erschreckend: Im November war fast jeder zweite Fernzug der Deutschen Bahn verspätet unterwegs (Travelnews berichtete). Und all die Züge, die ganz gestrichen wurden, sind in dieser Statistik noch nicht einmal enthalten.
Schuld am Zug-Chaos sind in erster Linie Baustellen. Sie sind nötig, um jahrzehntelange Versäumnisse bei der Bahn-Infrastruktur zu korrigieren. Kurz- und mittelfristig wird sich daran wenig bis nichts ändern. Bahn-Insider prophezeien, dass das deutsche Schienennetz erst in den 2030er-Jahren auf einem Niveau sein wird, das für alle zufriedenstellend ist.
Die Zugpassagiere in Deutschland scheinen sich derweil längst mit dieser Situation abgefunden zu haben. Auf dem Perron nehmen sie Verspätungen von 30 Minuten und mehr stoisch zur Kenntnis, während in der Schweiz bereits eine Verspätung von ein paar wenigen Minuten für einen Aufschrei unter den Fahrgästen sorgt.
SBB leidet, Flugbranche jubiliert
Jetzt könnte man argumentieren: Kann uns alles egal sein, was in Deutschland läuft, solange die SBB einen guten Job macht. Ist es aber nicht. Denn die SBB gehört zu den Hauptleidtragenden der Misere auf den deutschen Schienen. Sie will ihre Fernverbindungen weiter ausbauen, auch Richtung Norden. Wenn sie sich dabei nicht auf einen ihrer wichtigsten Partner verlassen kann, dürfte sich die SBB jede Streckenerweiterung zweimal überlegen – wenn sie Deutschland betrifft.
Zweimal überlegen dürften auch viele Reisende, wenn sie sich vor ihrem Deutschland-Trip für ein Verkehrsmittel entscheiden müssen. Das Auto und auch das Flugzeug sind bei soviel Bahnärger – selbst für umweltbewusste Menschen – wieder zu einer valablen Alternative geworden. Reisende nehmen den oftmals beschwerlichen Weg vom Wohnort zum Flughafen und auch etwas Flugverspätung gerne in Kauf, solange die Gefahr derart gross ist, dass die Zugreise zu einer üblen Nervenprobe oder gar einem kompletten Reinfall wird.
Das gilt auch rund um die Fussball-Europameisterschaft im kommenden Sommer. Vollmundig verspricht die Deutsche Bahn für jeden Tag des Grossevents 10'000 zusätzliche Sitzplätze in ICE- und Intercity-Zügen. Ob das nur ansatzweise klappt, steht in den Sternen. Derzeit würde ich nicht viel Geld darauf wetten.
Besser wäre eine defensivere Strategie und mehr Zurückhaltung bei der Kommunikation. Vermeintlich dichte Fahrpläne und Verbindungen in Hunderte Destinationen im In- und Ausland nützen niemandem etwas, wenn sie nicht eingehalten werden können. Wer geht schon gerne in ein Restaurant, in dem die Hälfte der Gerichte auf der reichhaltigen Menükarte ständig aus ist, wenn man voller Vorfreude bestellen will?