On The Move
«Der Lohn ist bei anderen Arbeitgebern bis zu 1000 Franken höher»
Reto SuterTravel Job Market feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag. Seit 28 Jahren ist Christina Renevey Inhaberin und Chefin des Unternehmens. Vor viereinhalb Jahren stiess ihre Tochter Sophie dazu und ist jetzt stellvertretende Geschäftsführerin. Berufsbegleitend absolviert die diplomierte HR-Fachfrau ein Nachdiplom-Studium zum Chief Digital Officer und unterrichtet an den Tourismus-Fachschulen in Zürich (IST), Luzern und Thun.
Bis zur Corona-Pandemie waren die Büros von Travel Job Market in Oerlikon. Jetzt ist das Unternehmen mit fünf Mitarbeitenden am Ufer der Sihl im Zürcher Kreis 2 eingemietet. Dort hat Travelnews Christina und Sophie Renevey zum Doppel-Interview getroffen.
Christina, Travel Job Market wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Du bist seit 1995 Inhaberin. Mit welchen Gefühlen blickst du auf die vergangenen 28 Jahre zurück?
Christina Renevey: Mit einem sehr guten. Manchmal denke ich: Unglaublich, dass es Travel Job Market schon seit 30 Jahren gibt. Ich durfte in den vielen Jahren sehr viele interessante Menschen kennenlernen, spannende Gespräche führen und habe unglaublich viel gelernt. Zudem hatte ich immer ein grossartiges Team, das mich in all den Jahren begleitet und zum Erfolg des Unternehmens beigetragen hat. Ich habe nach wir vor eine grosse Passion für meinen Job. Er bleibt abwechslungsreich und herausfordernd. Die Prozesse im Recruiting gestalten sich neu, die Ansprüche von Kundinnen und Kunden und Stellensuchenden verändern sich und die Digitalisierung hat auch bei uns Einzug gehalten.
Wie hat sich das Unternehmen über all die Jahre weiterentwickelt?
Christina Renevey: Ganz zu Beginn war ich noch alleine. Bis 2020 sind wir stetig gewachsen. Beim Ausbruch der Pandemie waren wir zu sechst.
«Ich hatte zwischendurch auch Existenzängste»
Wie ist es dir und deinem Unternehmen in der Corona-Krise ergangen?
Christina Renevey: Das war für mich – wie für viele andere auch – zweifellos die einschneidendste Zeit in meiner beruflichen Karriere. Man hat nie gewusst, ob und wie es weitergeht. Ich hatte mich bald entschieden, unsere Büros in Oerlikon aufzugeben und hatte zwischendurch auch Existenzängste. Es gab schlicht keine offenen Stellen mehr im Tourismus. Bewerberinnen und Bewerber gab es natürlich sehr viele. Aber wir konnten sie nirgends platzieren. Dank der finanziellen Unterstützung durch den Staat in Form von Härtefallgeldern und Kurzarbeit haben wir den Sturm schliesslich überstanden.
Sophie, du kamst vor viereinhalb Jahren ins Unternehmen. War für dich schon länger klar, dass du eines Tages in der Firma deiner Mutter arbeiten wirst?
Sophie Renevey: Ich zog es sicher in Betracht. Wir haben auch immer wieder über dieses Thema gesprochen. 2019 hat es sich dann aus der Situation heraus ergeben, da bei Travel Job Market eine Stelle frei wurde. Zuerst dachte ich, ich sei vielleicht noch etwas zu jung. Als ich dann aber zu arbeiten begonnen habe, hat es mir sehr schnell sehr gut gefallen (lacht). Seither ist meine Leidenschaft für den Job noch grösser geworden. Wahrscheinlich auch, weil ich mich persönlich und fachlich weiterentwickelt habe.
Inwiefern weiterentwickelt?
Sophie Renevey: Je besser man den Job beherrscht, desto selbstbewusster wird man. Das trägt dazu bei, dass auch die Freude an der Arbeit wächst. Und, ganz wichtig: Man kennt die Partner in der Tourismusbranche. Dieses Netzwerk aufzubauen, ist herausfordernd. Und es hilft enorm, um Kunden und Stellensuchende perfekt zu beraten.
Wie war es umgekehrt für dich, hast du dir gewünscht, dass du früher oder später mit deiner Tochter zusammenarbeiten kannst?
Christina Renevey: Für mich hatte das nie oberste Priorität. Ich habe auch in keiner Weise darauf hingearbeitet. Aber jetzt freue ich mich sehr, dass es dazu gekommen ist.
Sophie Renevey: Als ich bei Travel Job Market begonnen habe, wussten wir noch nicht, ob mir die Arbeit gefallen und wie die Zusammenarbeit funktionieren würde. Wir wollten anschliessend entscheiden, wie es weitergeht. Ich hatte wie alle anderen auch eine Probezeit. Und mir ist es auch jetzt noch wichtig, dass ich genau gleich wie die übrigen Mitarbeitenden ein Jahresgespräch habe.
«Meiner Mutter gegenüber werde ich vielleicht etwas schneller laut»
Wenn Mutter und Tochter in der gleichen Firma arbeiten, ist es ja durchaus denkbar, dass hin und wieder die Fetzen fliegen. Wie sieht das bei euch aus?
Sophie Renevey: Das musst du die Mitarbeitenden fragen (lacht). Nein, absolut nicht. Wir sind beide sehr unkompliziert und pflegen einen respektvollen Umgang miteinander. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass wir uns mal richtig gezofft haben. Vielleicht werde ich bei Diskussionen mit meiner Mutter etwas schneller laut als bei jemand anderem. Das richtet sich dann aber nicht gegen sie, sondern hat mehr damit zu tun, dass ich ihr gegenüber besonders stark für mein Anliegen einstehe.
Seit Monaten hört und liest man vom Fachkräftemangel. Wie präsentiert sich die Situation aktuell in der Tourismusbranche?
Christina Renevey: Die Situation ist nach wie vor herausfordernd. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich einige Reisebüros inzwischen betrieblich neu organisiert haben. Viele Reiseveranstalter haben aber immer noch einen Nachholbedarf. Was man nicht vergessen sollte: Wir haben während der Pandemie sehr viele Talente an andere Branchen verloren.
Gibt’s auch Rückkehrer?
Christina Renevey: Wir haben einige erfahrene Touristikerinnen und Touristiker, die in die Tourismusbranche zurückkehren möchten. Oft sind jedoch die Löhne der Hinderungsgrund. Der Lohn ist bei anderen Arbeitgebern – beispielsweise bei einer Versicherung oder beim Kanton – bis zu 1000 Franken höher pro Monat. Bei einem jungen Reiseberater spielt es nun mal eine Rolle, ob er 4500 oder 5500 Franken im Monat verdient.
Sophie Renevey: Ein weiteres Problem ist, dass kaum mehr jemand an der Front arbeiten möchte. Direkter Kundenkontakt ist nicht mehr so oft erwünscht. Zudem wollen Bewerberinnen und Bewerber, die eine Höhere Fachschule absolviert oder einen Uni-Abschluss in der Tasche haben, mehr bewegen können – im Hintergrund die Fäden ziehen und strategische Entscheide fällen. Das sind teilweise natürlich zu ehrgeizige Ziele, wenn jemand noch keine entsprechende Berufserfahrung gesammelt hat.
Gibt es auch positive Aspekte durch den Fachkräftemangel?
Sophie Renevey: Was mich positiv stimmt: Inzwischen sind auch viele Reiseunternehmen offen für Quereinsteiger. Das war bis zur Pandemie komplett anders. Damals waren die Hürden für die Mitarbeitenden aus anderen Branchen viel höher.
«Gestiegene Ansprüche sind keine Frage der Generation, sondern entsprechen dem Zeitgeist»
Was könnte zusätzlich dazu beitragen, dass sich Talente für einen Job in der Reisebranche begeistern könnten?
Christina Renevey: Für Talente sind Fringe Benefits sehr attraktiv. Wie beispielsweise Reisevergünstigungen, Workation und flexible Arbeitsmodelle, bei denen Homeoffice möglich ist. Ich höre auch vermehrt, dass Arbeitnehmende nicht fix von 9 bis 18 Uhr Uhr arbeiten möchten, sondern ihre Zeit flexibler einteilen wollen. Das betrifft nicht nur junge Talente, sondern alle Altersgruppen. Gestiegene Ansprüche an die Arbeitshinhalte und den Arbeitgeber sind keine Frage der Generation, sondern entsprechen dem Zeitgeist.
Sophie Renevey: In Unternehmen, die gar kein Homeoffice anbieten, ist es sehr schwierig, Talente zu vermitteln. Je fortschrittlicher sich ein Arbeitgeber präsentiert, desto attraktiver ist er
Die Twerenbold Reisen Gruppe hat Mitte Oktober bekannt gegeben, dass sie sechs Wochen Ferien für alle einführt. Was haltet ihr davon?
Christina Renevey: Das ist äusserst attraktiv.
Sophie Renevey: Schlicht grossartig!
Christina Renevey: Das Thema Ferien kommt bei jedem Bewerbungsgespräch zur Sprache. Es ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt in der Tourismusbranche. Die Reiseunternehmen erwarten, dass ihre Mitarbeitenden die Destinationen kennen. Die Reiseerfahrungen fliessen dann wieder erfolgreich in die Beratung ein.
Sophie Renevey: Das Beispiel Twerenbold zeigt exemplarisch, dass sich die Arbeitgeber in die richtige Richtung bewegen, um für junge Talente attraktiv zu sein. Ich bin sicher: Die Mitarbeitenden sind am Ende des Tages produktiver, wenn sie mehr Freizeit haben.
«Viele Talente gehen verloren, weil sie Job und Familie nicht miteinander vereinbaren können»
Ein Thema sind auch immer wieder Mütter, die früher in der Branche gearbeitet haben und mit einem Teilzeitpensum wieder einsteigen möchten. Wie stark setzen die Unternehmen auf sie?
Christina Renevey: Durch den akuten Fachkräftemangel mussten sich die Unternehmen öffnen und auch vermehrt auf Mitarbeitende zurückgreifen, die nur Teilzeit arbeiten wollen. Man könnte aber sicher noch mehr tun.
Sophie Renevey: Teilzeit-Modelle bedingen eine ausgezeichnete Organisation, und das ist für die Unternehmen oft sehr herausfordernd. Ich verstehe, dass das nicht von einem Tag auf den anderen funktioniert. Gleichzeitig hoffe ich, dass sich das Teilzeitmodell auch in der Tourismusbranche durchsetzt. Denn es gehen sehr viele Talente verloren, weil sie Job und Familie nicht miteinander vereinbaren können. Das ist sehr schade.
Lasst uns zum Schluss noch vorausblicken auf die Zukunft von Travel Job Market: Ist die Nachfolgeregelung schon ein Thema für dich?
Christina Renevey: Absolut. Ich werde bald 60 Jahre alt und mache mir natürlich Gedanken, wie es weitergeht. Die Stabsübergabe wird irgendwann kommen. Sophie übernimmt bereits jetzt immer mehr Aufgaben im Unternehmen. Ich habe vollstes Vertrauen in sie und weiss, dass es läuft – auch wenn ich mal zwei Wochen in den Ferien bin. Ich könnte die Firma heute mit gutem Gewissen übergeben.
Wie sieht das bei dir aus? Kannst du dir vorstellen, das Unternehmen zu führen?
Sophie Renevey: Definitiv. Es liegt ja auch auf der Hand. (Schaut zu Christina) Solange du noch da bist, umso besser! Bis alle Kontakte übergeben sind und ich komplett startklar bin, geht es sicher noch einen Moment. Aber ich freue mich darauf.