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«Die Nachhaltigkeit wird beim Reiseentscheid immer wichtiger»
Gregor WaserHerr Niederberger, was halten Sie vom SVP-Vorstoss, von ausländischen Touristen eine Einreisegebühr von 25 Franken zu verlangen, um den Overtourismus einzudämmen?
Philipp Niederberger: Der Schweizer Tourismus-Verband setzt sich für eine offene Schweiz ein, die allen Gästen aufgeschlossen begegnet. Eine Einreisegebühr vermittelt ein dem diametral entgegengesetzten Bild. Die Gebühr wäre zudem mit den internationalen Abkommen wie der Personenfreizügigkeit sowie dem Schengen-Vertrag nicht kompatibel. Darüber hinaus gibt es effizientere Massnahmen, um auf zeitlich begrenzte, hochkonzentrierte Gästeansammlungen zu reagieren.
Welche? Die Touristen-Kontingentierung an gewissen Hotspots?
Dies kann im Einzelfall eine unter mehreren möglichen Massnahmen sein. Ein wichtiger Punkt ist jedoch die frühzeitige Gästelenkung. Mit Präzisionsmarketing lassen sich ausländische Gästegruppen gezielt ansprechen. Wir sehen auch viel Potenzial bei raumplanerischen Massnahmen, die beispielsweise eine Destination zusammen mit der Gemeinde ausarbeiten kann. Als sehr wichtig erachten wir auch den stetigen Dialog mit der Bevölkerung, die vor Ort lebt. Der Tourismus sollte im Einklang mit den Interessen der einheimischen Bevölkerung stattfinden, dies entspricht einem sehr wichtigen Teil der sozialen Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit wird beim STV immer wichtiger. Welche Rolle spielt hier der STV und welche Schritte sind geplant?
Unter dem Dach des STV wird seit rund zwei Jahren das Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit (KONA) als Gemeinschaftsprojekt aufgebaut. Zusammen mit den zwölf Vorstandsorganisationen verfolgen wir die Vision, ein nachhaltiges Tourismusland Schweiz zu gestalten. Operativ gestartet sind wir im Januar 2022. Wir sehen uns als Anlaufstelle für alle Anliegen im Bereich der Nachhaltigkeit im Schweizer Tourismus und wirken dabei auf nationaler Ebene. Unsere Aufgabe ist es, vor allem Wissen zu vermitteln und über verschiedene Projekte zu vernetzen sowie zu koordinieren. Wir haben hierzu unter anderem eine physische Plattform geschaffen: Am 16. und 17. Oktober 2023 kommt es im Kursaal Bern erstmals zu den Sustainable Tourism Days.
Welche Ziele verfolgen Sie da? Und wer sind die Teilnehmenden?
Wir möchten die Akteurinnen und Akteure aus dem Incoming Tourismus, Outgoing Tourismus und der internationalen Zusammenarbeit sowie Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten miteinander vernetzen. Der Anlass findet im Rahmen des Projekts Schweizer SDG Tourismus-Dialog auf Basis der Sustainable Development Goals statt. In verschiedenen Breakoutsessions, Workshops und Podiumsgesprächen geht es um branchenübergreifende Themenschwerpunkte und Beispiele gelebter Nachhaltigkeit. Von der Outgoing-Branche sind etwa Hotelplan-Chefin Laura Meyer vor Ort, sie nimmt an einem Podiumsgespräch teil, und SRV-Geschäftsführerin Andrea Beffa wird in einer Breakout-Session den einheitlichen Berechnungsstandard im Rahmen des Projekts KlimaLink vorstellen.
«Wenn unsere Gäste zwischen verschiedenen Angeboten auswählen können, dann entscheiden sie sich für das nachhaltige.»
Wie weit ist das Nachhaltigkeitsprogramm Swisstainable fortgeschritten?
Im Rahmen von Swisstainable sind wir seit dem Start des KONA für die Geschäftsstelle verantwortlich und erreichten diesen Sommer gemeinsam mit dem Tourismussektor den Meilenstein von 2000 angemeldeten Betrieben. Heute stehen wir bereits bei 2300. Vor vier Wochen konnten wir die ersten drei Swisstainable-Destinationen auszeichnen. Es sind dies Basel, Engadin Scuol Zernez Val Müstair sowie Surselva. Sie haben als erste Destinationen die nötigen Kriterien erfüllt.
Sowohl Incoming- wie Outgoing-Branche nehmen das Thema Nachhaltigkeit immer ernster. Gleichzeitig kommt der Eindruck auf, dass sich Reisende selbst noch wenig um das Thema kümmern. Teilen Sie diesen Eindruck?
Das Bewusstsein für nachhaltige touristische Angebote wird immer wie ausgeprägter. So zum Beispiel im MICE-Bereich, wo Veranstalter sowie Unternehmungen dies bereits heute von den touristischen Leistungsträgerinnen und -trägern im Auswahlprozess sehr stark fordern. Und mit Swisstainable haben wir ein Programm geschaffen, welches das Engagement aller touristischen Akteure und Akteurinnen abbildet und sichtbar macht. Auf Seite der Reisenden beziehen wir uns auf Studien, etwa von Booking, die zeigen, dass der Einfluss der Nachhaltigkeit beim Reiseentscheid immer wichtiger wird. Die Nachhaltigkeit ist zwar nicht der Hauptgrund eines Reiseentscheides, oft noch basiert dieser auf den Vorlieben und dem Budget. Aber gerade jüngere Generationen legen immer mehr Wert darauf. Entscheidend ist aber, wenn unsere Gäste zwischen verschiedenen Angeboten auswählen können, dass sie sich für das nachhaltige Angebot entscheiden. So wird die Nachhaltigkeit immer mehr zum Erfolgsfaktor gegenüber Mitbewerbenden.
Welches sind die Anknüpfungspunkte des STV mit der Outgoing-Reisebranche?
Wir pflegen mit der Outgoing-Reisebranche einen sehr guten Austausch, dabei ist der SRV unser Ansprechpartner. Gerade bei politischen Anliegen arbeiten wir punktuell sehr eng zusammen, ob dies bei den Volksabstimmungen zum Covid-Gesetz ist oder bei den Vorlagen, welche einen Wegfall des Schengen Visa zur Folge gehabt hätten. Auf parlamentarischem Wege haben wir uns gemeinsam erfolgreich dafür eingesetzt, dass inländische und ausländische Reisebüros bei der Mehrwertsteuer nicht benachteiligt werden. Und auch beim Thema Nachhaltigkeit sehen wir sehr viele Synergiepotenzial. Der SRV ist so auch Absender des Swisstainable-Programmes und unterstützt uns auf diesem Weg.
Ein weiteres STV-Projekt nennt sich Destination Lab? Was steckt dahinter?
Das Destination Lab vernetzt ca. 40 Schweizer Tourismusdestinationen aus der gesamten Schweiz punkto Innovationssteigerung. Mittels digitalen und physischen Erfahrungsaustausches will das D-Lab gemeinsam Pilotprojekte erarbeiten. Die Devise lautet: Wieso soll jede Destination für sich isoliert an Themen arbeiten, statt Synergien zu nützen und etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen?
«Je nach Thema schaffen wir in Bern mit unterschiedlichen Allianzen Mehrheiten.»
In gut zwei Wochen stehen die eidgenössischen Wahlen an. Wie wichtig erachten sie den Ausgang für den Schweizer Tourismus und den STV?
Für uns sind die eidgenössischen Wahlen jeweils sehr entscheidend. Es werden jene Personen gewählt, die in den nächsten vier Jahren über die Rahmenbedingungen innerhalb des Tourismussektors entscheiden werden. Je nach Thema schaffen wir in Bern mit unterschiedlichen Allianzen Mehrheiten. Aus diesem Grund geben wir für die eidgenössischen Wahlen im Herbst keine Wahlempfehlungen im eigentlichen Sinne ab, sondern stellen den Wählenden ein Wahlhilfetool zur Verfügung. Auf einer eigens eingerichteten Website kann ein Tourismusfragebogen ausgefüllt werden und man kann Kandidierende finden, die bei tourismusrelevanten Fragestellungen ähnlich eingestellt sind.
Weilen Sie oft im Bundeshaus?
Der direkte Kontakt zu den Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist sehr wichtig und deshalb bin ich persönlich öfters im Bundeshaus anzutreffen. Zudem organisieren wir mit der parlamentarischen Gruppe für Tourismus (PGT) viermal im Jahr einen Netzwerkanlass. Zusammen mit unseren Kernmitgliedern ist es die Aufgabe des STV, dem Parlament die hohe Relevanz der touristischen Wertschöpfungskette mit seinen in sich zusammenhängenden Gliedern zu veranschaulichen. Rückblickend auf die letzte Legislatur können wir sagen, dass wir in Bezug auf den Tourismussektor ein verständnisvolles und wohlwollendes Parlament hatten, das die touristischen Anliegen ernst genommen hat.
Sie beschäftigen sich mit der ganzen Bandbreite des Tourismus, vielen Interessensgruppen und sind mittlerweile zweieinhalb Jahr in diesem Job. Wie lange benötigten Sie um alle Mechanismen und alle Anspruchsgruppen kennenzulernen?
Mein Start beim STV fiel mitten in die laufende Pandemie mit dazugehörigen Massnahmen, welche direkte Auswirkungen auf den Tourismussektor hatten. Somit war unser Verband direkt gefordert und wir mussten schnell Zusammenhänge verstehen, um möglichst allen Interessen gerecht zu werden. So habe ich schnell gelernt, wie wichtig es ist, auf Partnerinnen und Partner zuzugehen, zuzuhören und rasch gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Gleichzeitig galt es ein Netzwerk aufzubauen, was eine gewisse Zeit benötigt. Mittlerweile fühle ich mich sehr angekommen, wobei es sich um einen nie abgeschlossenen Prozess handelt. Es kommen immer wieder neue Anspruchsgruppen hinzu, was auch das Schöne an diesem Job ist.
Haben Sie auch Kontakte zu ausländischen Tourismusverbänden?
Wir haben einen punktuellen Austausch mit dem Deutschen Tourismusverband sowie unserem Pendant in Österreich und pflegen einen sehr direkten Kontakt bei konkreten Anliegen. Diesen Sommer bekundeten zum Beispiel Delegationen aus Costa Rica sowie dem Sultanat Oman Interesse an unseren Arbeiten rund um die Nachhaltigkeit. Es ist schön zu sehen, dass unsere Bestrebungen im Bereich Nachhaltigkeit im Ausland wahrgenommen werden. Dies ist ein sehr schönes Zeichen.
Und welches sind die grössten Herausforderungen für den Schweizer Tourismus?
Dazu zählen aktuell die Auswirkungen des Klimawandels, die ganzheitliche Umsetzung der Nachhaltigkeit, die Digitalisierungstransformation sowie die demografische Entwicklung mit seinen Auswirkungen auf den Fachkräftemangel. Zudem kommen auch verändernde Gästebedürfnisse auf die Tourismusakteure und -akteurinnen zu und die Frage, wie sich diese im Angebot umsetzen lassen. Aber auch das Thema Energiesicherheit wird unseren Sektor weiterhin stark beschäftigen.