On The Move

Simon Schnellmann, der Gründer von Travel Worldwide, äussert sich zu Branchenproblemen und der Zukunft seiner Firma. Bild: TN

«Ich würde meine Mitarbeiter an den Galgen liefern»

Gregor Waser

Travel Worldwide gehört zu den erfolgreichsten Reisebüros der Schweiz und verzeichnet aktuell ein Umsatzplus von 20 Prozent. Gründer Simon Schnellmann beantwortet im Interview Fragen zu Geschäftsgang, Homeoffice, SRV und einem möglichen Verkauf.

Herr Schnellmann, wie fällt das Jahr 2023 bisher bei Travel Worldwide aus?

Simon Schnellmann: Sehr gut. Die bisher umsatzstärksten Jahre 2018 und 2019 werden wir mit ca. 20 Prozent übertreffen, obwohl wir im Vergleich zu der Vor-Covid-Zeit mit rund 300 Stellenprozent bzw. 15 Prozent weniger Personal am Start sind und dabei erst noch eine Stunde pro Tag weniger arbeiten.

Was heisst das umsatzmässig?

Wir werden 2023 mit plus/minus 36 Millionen Franken Umsatz abschliessen.

Wieso strahlen Sie bei dieser Prognose nicht?

Weil ich der Situation nicht traue. Es gibt zu viele externe Faktoren, die ich nicht selber beeinflussen kann. Bleibt das Buchungsvolumen in den nächsten Jahren auf diesem Level oder schwächt es sich schon bald wieder auf das Level der Vor-Covid Zeit ab? Kann etwas Ähnliches wie die Pandemie erneut auftauchen? Und dann bereitet mir vor allem auch die Personalsituation bei einigen Partnern Sorgen.

Wie meinen Sie das?

In der Corona-Zeit ist sehr viel Know-how in der Reisebranche verloren gegangen. Unsere Partner sind der verlängerte Arm unserer Produktion. Wenn die nicht mehr liefern können oder das nötige Tempo fehlt, dann haben wir ein Problem. Insofern ist die Lage verzwickt. Einerseits sollten wir den Personalbestand aufstocken, gleichzeitig getraue ich mich nicht, weil ich es mir nicht leisten kann, plötzlich unverschuldet nicht mehr in gewohnter Qualität und Geschwindigkeit liefern zu können und dann auf einem aufgeblähten Personalbestand zu sitzen. Aber eigentlich befinden wir uns ja bereits jetzt mitten im Dilemma.

Inwiefern? Im Moment läuft es ja wie geschmiert?

Ja, das schon. Wir sind im Vergleich zu früher enorm effizienter geworden, haben aber auch überproportional mehr Anfragen als früher im Haus. Das bedeutet, dass wir bereits jetzt eine gewisse Selektion machen und einige Anfragen ablehnen müssen, denn ich will meine Leute auf keinen Fall verheizen, was anderswo in der Branche leider schon längst zur Realität geworden ist.

Können Sie sich das leisten, Aufträge abzulehnen?

Rosinen picken ist kurzfristig natürlich spannend und wir alle im Verkauf haben Spass daran, uns tagein tagaus fast nur noch um lukrative und auch sehr spannende Dossiers zu kümmern. Aber aus langfristiger Sicht ist das natürlich sehr gefährlich. Wenn wir die Anfrage eines jungen Pärchens mit einem tiefen Budget für eine zweiwöchige Reise nach Thailand jetzt ablehnen, muss uns bewusst sein, dass wir in fünf Jahren wohl eher nicht zum Handkuss der Hochzeitsreise mit mittlerem Budget und in zehn Jahren zur ersten Familienreise mit einem grossen Budget kommen werden.

«Gerade bei Afrika-Reisen erleben wir derzeit viele umfangreiche Dossier.»

Strom, Krankenkassen-Prämien, Mieten, Inflation… Überall höhere Preise und sie sagen, die Leute werfen mit dem Geld um sich?

Wir sind seit Längerem eher im Hochpreis-Segment tätig und im Kontakt mit Leuten, die nicht die ganze Nacht Zeit haben, sich durch Tripadvisor-Bewertungen zu klicken und die bereit sind, auch mal zehn Prozent mehr zu bezahlen. Ich bin manchmal selber erstaunt, über diese Bereitschaft. Aber es scheint tatsächlich noch genug Geld vorhanden zu sein, um teilweise auch zwei oder gar drei grössere Reisen im Jahr zu machen.

Wie sieht denn zum Beispiel ein 30’000-Franken-Dossier aus? Business-Class-Flug und Fünfsternhotel?

Nicht unbedingt. Das kann auch eine vier-, fünfwöchige Asienreise mit der Familie sein. Das hat damit zu tun, dass die Leute, die bei uns buchen, wohl weniger häufig, aber länger reisen. Gerade bei Afrika-Reisen erleben wir derzeit viele umfangreiche Dossier, vermehrt auch wieder für Ozeanien und Südsee – für die Malediven sowieso. Diese Buchungen gab es schon immer, sie kommen nun einfach gebündelter und häufiger zu uns, weil vielleicht einige Spezialisten dieses Know-how oder die Leute dafür nicht mehr haben.

Kaufen Sie nach wie vor wie ein klassischer Retailer ein? Alles bei den Veranstaltern?

Dort wo es noch geht, kaufen wir nach wie vor im Retailing ein. Aber es gibt einige Destinationen wie zum Beispiel im südlichen Afrika, wo wir mittlerweile mehrheitlich selber produzieren und die Reisen über lokale DMCs abwickeln.

Was wohl auch einige Nachteilen bringt…

Ja richtig, wir müssen dann das Reiseprogramm selber gestalten, das Notfall-Telefon aufrechterhalten. Und wenn mal etwas in die Hose geht, können wir nicht einfach nur den Veranstalter anrufen. Wir haben zwar höhere Margen, aber eben auch mehr Aufwand, was unter dem Strich nicht in meinem Sinn ist.

Wie verfolgen Sie die Entwicklung einzelner Destinationen?

In die Karibik und nach Südamerika läuft nicht viel, wobei wir pushen das auch nicht gross, weil wir da personell gewisse Lücken haben. Nordamerika ist ein Dauerbrenner und Afrika, Asien, Indischer Ozean und Ozeanien laufen überdurchschnittlich gut. Ebenso Skandinavien, wobei diese Buchungen auch zeitraubend und nervenaufreibend sein können, weil den Veranstaltern wie gesagt die Spezialisten fehlen – und die, die sie haben, laufen am Anschlag.

«Ich muss mich mittlerweile fast schon bei den Bewerbern vorstellen und nicht umgekehrt.»

Fehlende Leute, fehlendes Know-how und Tempo bei den Reiseveranstaltern... Die haben nun doch auch viele Rückkehrer und Quereinsteiger wieder einstellen können?

Wenn im Reisebüro der Stift mal mit eine Städtereise abwickelt, ok, aber beim Spezialisten sollte schon ein grosses Know-how da sein, das sind hochkomplexe Produkte. Wenn dann die Leute, die eh schon am Anschlag sind, noch neue Produkte verkaufen sollen, sind alle nur noch überlastet und hässig, was eins zu eins Auswirkungen auf die Qualität und das Tempo hat.

Edelweiss fliegt im November erstmals nach Kolumbien. Schlägt die Destination ein Ihrer Meinung nach?

Da habe ich gewisse Zweifel, ob diese Rotation aufrechterhalten werden kann. So schön Kolumbien ist, ein Mainstream-Ziel ist es nicht. Es braucht zumindest eine Anlaufzeit, «Kokshölle Kolumbien» steckt noch in vielen Köpfen. Es fehlen die Leute im privaten Umfeld, die schon da waren und einem das Ziel empfehlen. Ich werde nun nicht extra eine Kolumbien-Expertin, so es sie denn überhaupt gäbe, einstellen. Generell ist Südamerika ein sehr komplexer Reisekontinent und im Vergleich zu Afrika weniger lukrativ aus Reisebüro-Sicht.

Wie handhaben Sie bei Travel Worldwide Homeoffice?

Wir haben von zwei auf einen Tag runtergeschraubt. Wenn es brennt, müssen die Leute aber hier sein oder wenn wir in den einzelnen Teams Ferienabwesenheiten haben, erwarte ich den Rest des entsprechenden Teams hier.

Und wie denken Sie über das Thema?

Na ja, man muss es ja fast anbieten als Arbeitgeber. Die Ansprüche und Forderungen sind schon gestiegen. Ich muss mich mittlerweile fast schon bei den Bewerbern vorstellen und nicht umgekehrt. Am Schluss macht der Kandidat dann den Daumen hoch oder runter. Vanessa Bay hat mit ihrem Einwurf neulich auf Travelnews den Nagel auf den Kopf getroffen.

Travel Worldwide ist SRV-Mitglied. Welche Bedeutung hat der Verband für Sie?

Nachdem ich den Verband anfangs der Corona-Pandemie heftig kritisiert habe, haben sie am Schluss einen guten Job gemacht. Aber für ein GV-Reisli, gegenseitiges Zuprosten und Schulterklopfen benötige ich den Verband nicht.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Bezüglich Ausbildung finde ich den Ansatz «Travel Adivisor», den der SRV zusammen mit Knecht Reisen gewählt hat, am Ziel vorbeigeschossen. Wenn ich Pech habe, kommt das Modul 3 ‘GDS’ erst nach drei oder fünf Monaten dran. Dann kann man es gerade so gut sein lassen, denn ohne GDS-Kenntnisse wird niemand in einem Reisebüro arbeiten können. Also muss ich es dem neuen Mitarbeiter selber beibringen, wofür mir aber die Zeit fehlt… Also stelle ich den Kandidaten erst gar nicht an, was sicher nicht im Sinne des Erfinders ist. Ehrlich gesagt wünschte ich mir den Grundkurs Reisebranche zurück, unter dem Strich war dieser Kurs viel effizienter und verhinderte Leerläufe, wie wir sie mit dem neuen Konzept mittlerweile haben. Weiter würde ich eine Juristenabteilung begrüssen, bei der die Mitglieder anrufen können und Hilfe kriegen bei diesem oder jenem Problem, das auftaucht.

«Ich glaube, wir sind eine durchaus attraktive Braut.»

Sie haben vor 15 Jahren Travel Worldwide gegründet und sind neulich 50 Jahre alt geworden. Grosse Geburtstage sind doch immer gut für einen Richtungswechsel. Ist ein Verkauf von Travel Worldwide ein Thema?

Eine Thema schon. Ich glaube, wir sind eine durchaus attraktive Braut. Seit Dezember haben wir jeden Monat ein Rekordergebnis abgeliefert, das wird auch im Markt registriert. Wir könnten wohl schon einen sehr guten Preis erhalten.

Es schwingt ein «aber» mit …

Wir haben hier ein ganz besonderes Team, 18 Leute sind seit 10 und mehr Jahren mit dabei. Die haben einen top Lohn, teilweise knapp fünfstellig. Diese Leute haben von Beginn weg an mein Konzept geglaubt und sind auch Risiken eingegangen. Bei einem Verkauf würde es vom Käufer wohl zunächst schon heissen, du hast die Garantie, dass alles so bleibt wie es ist. Aber die Befürchtung ist da, dass es in der Realität dann eben schnell anders aussehen würde, um den Profit zu optimieren. Ich würde meine Mitarbeiter damit an den Galgen liefern, viele sind im Alter von 45 bis 55. Diese wieder zurück ins Hamsterrad mit 30 Prozent weniger Lohn zu schicken, kommt für mich nicht in Frage. Einige müssten wohl ihre Eigentumswohnungen oder gar ihre Häuser verkaufen, weil sie die Tragbarkeitsrechnung für die Hypothek nicht mehr erfüllen könnten. Da ich ein sehr sozialer Mensch bin und den Gemeinschaftsgedanken über finanzielle Aspekte stelle, müsste mir ein Käufer schon enorme Garantien für die Belegschaft geben, dass ich es tun würde.

Aber grundsätzlich ist die Idee eines Verkaufs reizvoll?

Ja natürlich. Der Reiz ist da, saniert zu sein, nicht mehr jeden Tag so kämpfen zu müssen, nicht mehr diesen Struggle zu haben, wie bringe ich alles über die Runden etc. Jetzt, wo erste Unternehmen die Fühler ausstrecken, verdichten sich solche Gedanken natürlich. Aber in der Pandemie haben wir halt auch gesehen, was die Leute wert sind und wie schnell sie auf der Strasse stehen. Deshalb steht für mich an erster Stelle ganz klar das Wohlergehen meiner Leute. Und erst wenn ich das ohne Wenn und Aber sichern kann, kümmere ich mich vielleicht um einen möglichen Verkauf.

Es muss ja nicht heissen, dass sich ein Käufer gleich von all ihren Leuten trennen würde?

Nein, natürlich nicht. Aber ich mache Ihnen ein Beispiel: Ein 50-jähriger, der seit 15 Jahren bei mir ist, verdient mittlerweile um die 130'000 Franken pro Jahr. Er macht einen Umsatz von 2,5 Millionen Franken mit einer Netto-Marge von 375'000 Franken. Wenn sie diesen 50-jährigen durch einen 30-jährigen ersetzen könnten, welcher denselben Umsatz mit der gleichen Netto-Marge liefert, jedoch nur die Hälfte kostet, bleiben ihnen Ende Jahr 65'000 Franken mehr in der Kasse. Und wenn sie dieses Spiel mit 10 Leuten machen, dann wird es finanziell halt schon sehr spannend, zumindest auf dem Papier und mit kurzfristigem Denken. Ich gehe mit diesen Leuten seit 10 bis 15 Jahren einen gemeinsamen Weg und habe eine enorm emotionale Bindung zu ihnen, ebenso ist mein oberstes Credo seit eh und je, dass wir die Honigtöpfe, die wir uns zusammen holen, auch untereinander teilen. Ein neuer Owner wird nie im Leben eine solche emotionale Bindung zu meinem Team haben und deshalb vielleicht auch eher versucht sein, die finanziellen Aspekte höher als die sozialen Komponenten zu werten, was mir selber nie in den Sinn kommen würde.

Und wenn Sie einen Weg finden würden, um alles unter einem Hut vereinen zu können, dann würde man Sie wo antreffen in einigen Jahren?

Ich habe ein paar sehr spannende Projekte in der Pipeline, aber es ist noch zu früh, um dazu etwas zu sagen. Aber ganz klar wäre ich wieder häufiger selber auf Reisen und würde mich der Fotografie eingehender widmen.

Sie sind bekannt dafür, ihre Ansichten ungeschminkt und ungefiltert kundzutun und können auch sehr unangenehm werden, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Dieses Interview war jetzt aber doch ziemlich human, so kenne ich Sie gar nicht.

(Lacht) Ja, das ist schon so und im eins zu eins sage ich auch nach wie vor fadegrad meine Meinung. Aber eben, ich bin 50 geworden, da sollte man der Altersmilde vor allem in der Öffentlichkeit so langsam aber sicher den Vortritt lassen.