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Der renommierte Tourismusexperte Harald Pechlaner glaubt trotz aller Bemühungen der Reisebranche nicht an den ganz grossen Workation-Hype. Bild: Katrin Wycik

«Es reicht nicht, einfach einen grösseren Tisch ins Hotelzimmer zu stellen»

Reto Suter

Die Reisebranche sieht Workation als spannenden Geschäftszweig mit Wachstumspotenzial. Der renommierte Tourismusexperte Harald Pechlaner erklärt im Interview mit Travelnews, wo Hotels und Destinationen ansetzen müssen, um Erfolg zu haben.

Was viele Arbeitsmediziner und Psychologen sehr kritisch beobachten, sieht die Tourismusbranche zunehmend als neue, attraktive Einnahmequelle: die Verschmelzung von Job, Freizeit und Ferien.

Die Erfahrungen mit Corona haben gezeigt, dass die Arbeit in vielen Berufen nicht nur in den Büros des Arbeitgebers erbracht werden kann, sondern auch im Homeoffice oder weit weg in einem anderen Land. So hat sich der Begriff «Workation» etabliert. Und genau hier setzt die Reisebranche an. Sie will die Aufenthaltsdauer ihrer Kundinnen und Kunden verlängern und so höhere Umsätze erwirtschaften – auch ausserhalb der klassischen Feriensaison.

Tourismusexperte Harald Pechlaner beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Thema Workation und kennt die Chancen und Risiken in diesem Bereich wie kaum ein zweiter.

Herr Pechlaner, Hand auf Herz: Wie gross ist das Potenzial von Workation wirklich?

Harald Pechlaner: Das Potenzial ist zweifellos da, aber wahrscheinlich nicht so gross, wie es sich manch einer erhofft. Auch wenn die Entwicklung grundsätzlich positiv ist: Ich sehe Workation nicht als neuen Tourismus. Hierfür sind die Hürden wohl zu hoch.

Welche Schwierigkeiten stellen sich konkret?

Die ganz grosse Herausforderung für die Branche ist es, massgeschneiderte Angebote für die Reisenden zu finden. Die Kundinnen und Kunden sind in diesem Segment sehr heterogen. Im Kern machen sie zwar dasselbe: Sie verknüpfen Arbeit und Ferien. Rundherum können deren Wünsche und Bedürfnisse aber weit auseinandergehen. Ich würde deshalb keinem Anbieter raten, ausschliesslich auf Workation zu setzen.

«Workation wird immer ein Nischenprodukt bleiben»

Wollen die Leute Job und Ferien denn überhaupt miteinander verknüpfen?

Ob sie das wirklich wollen, weiss ich nicht. Fakt ist aber: Spätestens seit der Corona-Krise sind Arbeit und Freizeit eng miteinander verknüpft. Viele Menschen haben gemerkt, dass sie nicht zwingend im Büro sein müssen, um ihren Job zu erledigen. Für Leute mit Fernweh haben sich deshalb völlig neue Möglichkeiten ergeben. Sie haben jetzt die Chance, dem Alltag vorübergehend zu entfliehen, ohne jedes Mal ihr Ferienkonto zu belasten. Das ist für Menschen, die gerne reisen, ein grosser Mehrwert. Dennoch steht für mich fest: Workation wird nie ein riesiger Hype werden, sondern immer ein Nischenprodukt bleiben, allerdings ein sehr wichtiges.

Sehen Sie Workation auch als hilfreiches Mittel im Kampf gegen Fachkräftemangel?

Absolut! Gerade jüngere Arbeitnehmende wollen Flexibilität im Job und nicht durchgehend an einen Arbeitsplatz gebunden sein. In diesen Fällen kann Workation sicherlich helfen, talentierte Leute für ein Unternehmen zu gewinnen und sie dann auch längerfristig in der Firma zu halten. Gleichzeitig sehen sich die Arbeitgeber mit vielen komplexen – und teilweise auch noch ungelösten – Fragen konfrontiert. Diese drehen sich um Themen wie Sozialversicherung, und Steuern.

Wie weit sind die Destinationen, wenn es um Workation-Angebote geht?

Ganze Destinationen, die sich dem Thema seriös angenommen haben, sehe ich aktuell nicht. Momentan sind es eher einzelne Betriebe, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Workation steckt aus touristischer Sicht noch in den Kinderschuhen. Wenn nur ein einziges Hotel in einer Gegend darauf setzt, wird der Erfolg ausbleiben. Es braucht zwingend Verknüpfungspunkte.

Was heisst das konkret?

Die eigentliche Arbeit im Hotel oder der Ferienwohnung ist das eine. Mindestens so wichtig ist aber, was den Reisenden sonst noch geboten wird. Menschen mit Bewegungsdrang sehnen sich nach einem breiten Sportangebot. Und das nicht nur in der Hotelanlage, sondern auch ausserhalb. Leute, die kulturinteressiert sind, wollen Museen besuchen können. Hier müssen Hotels und Destinationen genau definieren, wie ihre Zielgruppe aussieht und ihr Angebot entsprechend auf sie ausrichten.

«Vieles ist noch sehr unausgereift»

Kommen wir zurück zu den einzelnen Hotels. Wie weit sind die Betriebe, die sich auf Workation spezialisieren wollen?

Wir stehen hier noch sehr am Anfang. Zahlreichen Hoteliers ist nicht bewusst, dass Workation ein hohes Mass an Qualität erfordert. Vieles ist noch sehr unausgereift. Es reicht nicht, den Gästen einfach einen grösseren Tisch und eine bessere Internetverbindung zur Verfügung zu stellen. So bleibt der Erfolg aus. Die Hoteliers werden nicht umhin kommen, die Nachfrage zu analysieren, um dann ein attraktives Paket für potenzielle Kundinnen und Kunden zu schnüren.

Gibt es Regionen, die punkto Workation einen Standortvorteil haben?

Gewisse Gebiete eignen sich sicherlich besser als andere. Bei den Kanarischen Inseln sehe ich beispielsweise viel Potenzial. Oder bei Rückzugsorten in den Alpen. Sie bieten eine gute Atmosphäre für den Mix zwischen Arbeit und Freizeit. Aber nochmals: Grundsätzlich besteht für alle Destinationen die Möglichkeit, mit Workation-Angeboten erfolgreich zu sein. Sie brauchen dafür einfach einen klaren Plan.