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«Immer noch grössere Schiffe machen keinen Sinn»
Reto SuterEine Umfrage von Travelnews bei Schweizer Reiseveranstaltern hat kürzlich gezeigt: Immer mehr Kreuzfahrtpassagiere bevorzugen kleinere Schiffe. Bei Hotelplan Suisse beispielsweise ist die entsprechende Nachfrage gegenüber 2019 um rund zehn Prozent gestiegen. Unterdessen wird in der finnischen Stadt Turku am grössten Kreuzfahrtschiff der Welt gebaut. Es trägt den Namen Icon of the Seas und bietet Platz für 7600 Passagiere. Auftraggeberin ist die US-amerikanische Reederei Royal Caribbean International.
Zum Angebot an Bord gehören unter anderem 20 Decks, neun Whirlpools, sieben Swimmingpools, die grösste schwimmende Bar der Welt und ein Hochseilgarten. Die Icon of the Seas hat ihre ersten Probefahrten auf der Ostsee schon hinter sich. Anfang des kommenden Jahres wird sie erstmals mit Passagieren an Bord in See stechen – im Rahmen von einwöchigen Rundreisen ab Miami.
«Grosse Schiffe sind profitabler als kleine»
Anhand der aktuellen Trends und Vorlieben der Passagiere stellt sich die Frage, ob grosse Schiffe überhaupt noch zeitgemäss sind. Der Wirtschaftsberater, Schifffahrtsanalyst und Hochschuldozent Thomas P. Illes hat eine klare Meinung: «Absolut. Denn ihre Betriebskosten lassen sich im Rahmen ökonomischer Skaleneffekte auf eine viel höhere Gästezahl verteilen», sagt er auf Anfrage. «Die Tickets sind dadurch günstiger als bei kleineren Luxus- oder Expeditionsschiffen.» Das wiederum vergrössere das Potenzial im Markt.
Hinzu kommt: Auf grossen Kreuzfahrtschiffen lässt sich mehr Bordinfrastruktur in Bereichen wie Gastronomie, Sport, Unterhaltung, Wellness oder Shopping unterbringen, was laut Illes unter anderem Familien mit Kindern sehr schätzen. «Das zusätzliche Bordangebot führt entsprechend auch zu höheren Einnahmen an Bord», so Illes. «Grössere Schiffe sind also schlicht profitabler als kleine und können auch bei tieferer Auslastung bereits Gewinn und respektable Umsatzrenditen erzielen.»
Dass das Wettrüsten in der Kreuzfahrtbranche bei der Grösse der Schiffe endlos weitergeht, kann sich Illes indes nicht vorstellen. «Konstruktionstechnisch wären noch grössere Kreuzfahrtschiffe zwar kein Problem», erklärt der Experte. Eine immer noch ausgeprägtere Gigantomanie, mit immer noch grösseren Schiffen, mache momentan aber in vielerlei Hinsicht keinen Sinn. Illes verweist dabei auf Themen wie Nachhaltigkeit, Overtourism oder Hafenlogistik. «Auch die Bevölkerung würde immer noch grössere Schiffe kritisch sehen.»
Laut dem Wirtschaftsexperten haben grössere Schiffe auch den Nachteil, dass sie etliche Häfen nicht anlaufen können, währenddessen kleinere Schiffe überall hinkommen. «Last but not least scheuen viele Reisende die Menschenmassen und die Anonymität grosser Schiffe», sagt Illes. Umso wichtiger sei es, unter der Fülle verschiedener Schiffstypen und Kreuzfahrtangebote die richtigen Leute aufs richtige Schiff zu bringen.
An die Adresse der Reederei der Icon of the Seas hat Illes, der auch zahlreiche internationale Firmen und politische Institutionen kommunikationstechnisch erfolgreich berät, eine klare Botschaft: «In den Werbebotschaften sollte nicht zu einseitig nur auf die Grösse und das Spassangebot an Bord fokussiert werden.»
Wichtig sei auch, auf die technischen Umweltinnovationen mit Signalwirkung für die restliche Schifffahrt hinzuweisen, mit denen der Neubau durchaus aufzuwarten vermöge. In Zeiten von Klimakrise und angesagter Dekarbonisierung könne einem das sonst, so Illes, «leicht um die Ohren fliegen und die Reputation der ganzen Branche in Mitleidenschaft ziehen».