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Das übliche Bild am Gate: Die meisten Passagiere sind mit reichlich Handgepäck unterwegs. Bild: TN

Kommentar Der Handgepäck-Boom ist zum Alptraum geworden

Reto Suter

Airlines, Crew und Passagiere stören sich daran, dass das Boarding viel Zeit in Anspruch nimmt und an den Nerven zerrt. Hauptübel ist die Fülle von Handgepäck, die die Fluggäste an Bord schleppen.

Es ist immer das gleiche Bild: Vor dem Abflug irren Passagiere im Flugzeug umher und suchen nach ihrem Sitzplatz oder nach Stauraum für ihr Handgepäck. So blockieren sie den Gang für die nachfolgenden Fluggäste. Das Boarding zieht sich in die Länge. Im schlimmsten Fall geht der vorgesehene Start-Slot flöten, und das Flugzeug kann erst mit Verspätung abheben – ein Fluch für die Fluggesellschaften und die Passagiere. Und immer eine grosse Nervenprobe für die Cabin Crew. Deshalb tüfteln die Airlines an Möglichkeiten, um das Boarding zu beschleunigen (Travelnews berichtete).

Zeitersparnis ist kein Argument mehr

Dabei ist die Lösung für das Problem naheliegend: Der Handgepäck-Wahnsinn muss ein Ende haben. Denn die Regeln sind klar formuliert und dafür da, um eingehalten zu werden. Teilweise traut man am Gate seinen Augen nicht. Da tummeln sich Fluggäste mit sperrigen Koffern und nicht selten auch noch mit einem grossen Rucksack oder einer prall gefüllten Tasche. Das Ziel: Geld für die Gepäckaufgabe sparen und nach der Landung schnellstmöglich aus dem Flughafen rauskommen.

Wobei: Der zeitliche Aspekt ist – ganz im Gegensatz zur Sicherheitskontrolle vor dem Abflug – kein Faktor mehr. Die meisten Flughäfen sind inzwischen derart gut organisiert, dass Koffer, Taschen und Rucksäcke schon kurz nach der Landung auf dem Gepäckband auftauchen. Das veranschaulicht meine Bilanz beim letzten Städte-Trip: Elf Minuten Wartezeit am Band in Hamburg und sogar nur fünf Minuten nach dem Rückflug in Zürich. Zeitersparnis kann kein Grund mehr sein, ausschliesslich auf Handgepäck zu setzen.

Preisgestaltung der Airlines ist fragwürdig

Bleibt die Frage nach den Reisekosten. Hier ist die Rolle der Fluggesellschaften nicht zu unterschätzen. Sie tragen mit ihrer Preisgestaltung eine Mitschuld am Boarding-Desaster. Solange sich für ein Passagier auf einem Europa-Flug 70 Franken oder mehr einsparen lassen, wenn er kein Gepäck aufgibt, wird sich das Problem des überbordenden Handgepäcks nicht lösen lassen.

Gerade in Zeiten wie diesen, wo die Inflation manches Familienbudget durcheinander wirbelt, sind die Leute bei der Reiseplanung besonders preissensibel. Mit dem eingesparten Geld für die Gepäckaufgabe lassen sich am Ferienort schnell einmal zwei oder drei Mittagessen begleichen.

Zwingend ist auch, dass das Personal am Gate konsequenter gegen Passagiere mit zu grossem oder zu viel Handgepäck vorgeht. Es wäre auf längere Sicht eine erfolgreiche Erziehungsmassnahme, wenn Fluggäste, die sich um jegliche Regeln scheren, ihre Koffer und Taschen vor dem Einsteigen doch noch einchecken müssen – und am Ende deutlich mehr bezahlen, als wenn sie ihr Gepäck von Anfang an aufgegeben hätten.