On The Move
«Wir bekommen die Chance auf ein gutes Reisejahr»
Gregor WaserHerr Zümpel, einige Reisebüros beklagen sich über sehr lange Antwortzeiten bei den Reiseveranstaltern. Gehen denn so viele Buchungen ein?
Dieter Zümpel: Ja, aktuell verspüren wir sehr starken Rückenwind – und haben sehr viel Arbeit. Unsere Teams arbeiten mit Hochdruck daran, alle Buchungen abzuarbeiten. Wir kommen aus drei Jahren mit erheblichem Umsatzverlust, sind in dieser Zeit in die Homeoffices geströmt. Jetzt gehen sogar mehr Buchungen als im Januar 2019 ein. Das ist für jedes Reisebüro und jeden Veranstalter eine Herausforderung.
Welche Ziele und Reisemonate sind gefragt?
Die aktuellen Buchungen betreffen oft kurzfristige Abreisen von Januar bis März. Der Buchungsvorlauf ging im letzten Jahr im Durchschnitt von 115 auf 75 Tage zurück, das ist markant. Dieser Trend setzt sich nun zumindest für den Winter fort. Bei den Zielen sticht aktuell Ägypten heraus, das ist wohl auch ein Preisthema. Auch die Emirate und der Indische Ozean laufen weiterhin gut, in Asien ist Thailand im Kurzfristbereich sehr gefragt. Als Trendziel für dieses Jahr zeichnet sich Japan ab, da wird unser Spezialist asia365 regelrecht mit Anfragen überrollt.
Wie siehts mit langfristigen Buchungen aus?
Was mich freut: Viele sichern jetzt schon ihre Ferien für den Juli, August und teilweise schon für den Dezember ab. Ich führe das zurück auf eine gewisse grundsätzliche Entspannung. Dazu kommen unsere Flextarife bei den Pauschalferien von Kuoni und Helvetic Tours. Bis 8 Tage vor Abflug lassen sich die Arrangements stornieren, der Aufpreis bewegt sich im Rahmen von 80 bis 120 Franken. Dieses Thema verlässt uns nicht mehr.
«Bei den Mittelmeer-Badeferien sind wir preislich gut aufgestellt.»
Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach Asien entwickeln? Und wie siehts mit Nord- und Südamerika aus?
Der Nachholeffekt für Asien ist sehr gross. Die Buchungsanfragen abzuarbeiten, braucht Zeit, sie liegen über dem Niveau von 2019. Auch das Interesse für Südamerika ist sehr gross. Doch auch hier fällt sehr viel Arbeit an für eine einzelne Buchung. Neben Peru sorgt auch Brasilien für Unsicherheiten nach den jüngsten Geschehnissen. Nordamerika zieht an, aber nicht in dem Masse wie Asien. In Kanada sind die Preise angestiegen und in den USA gibt es weiterhin Engpässe bei Motorhomes. Die USA gehören bei uns aktuell noch nicht zu den Boom-Zielen.
Höhere Flugpreise, Inflation, gestiegene Kosten bei den Hotels … Was bedeutet das für die Preise bei den Mittelmeer-Badeferien?
Auf der Flugseite sind die Preise sehr dynamisch, da zeichnen sich gewisse Preissteigerungen ab. Grundsätzlich sind wir bei den Mittelmeer-Badeferien aber preislich gut aufgestellt, da profitieren wir von der Einkaufsplattform im Gruppenverbund. Und dieser hat frühzeitig und gut eingekauft. Volumenverträge werden schon ein Jahr im Voraus abgeschlossen. Wir haben schliesslich einen starken Franken, davon profitieren Auslandsreisende. Helvetic Tours verfügt in diesem Sommer über attraktive Preise, auch im Premium-Bereich mit Kuoni sind wir preiswürdig.
Letzten Herbst fiel auf, dass die Reiseveranstalter so ziemlich jeden Preis verlangen konnten und es wurde trotzdem gebucht, die Zahlungsbereitschaft war verblüffend. Bleibt das so?
Die Durchschnittspreise pro Buchung steigen weiterhin. 2022 haben wir 80 Prozent des Umsatzes des Jahres 2019 erreicht, die Anzahl der Gäste liegt aber darunter. Das hatte damit zu tun, dass sich Schweizerinnen und Schweizer längere Ferien und höhere Hotelkategorien gönnten. Und diese Entwicklung hält vorerst an.
Sie wollen in diesem Jahr 90 Prozent des 2019er-Umsatzes erreichen, verfügen aber nur noch über 80 Prozent des Personalbestandes. 2019 waren es 1100 Mitarbeitende, heute noch 900. Geht das auf? Oder stellen Sie bald schon deutlich mehr Leute ein?
Das hängt ganz von der Entwicklung ab. Im Moment haben wir sehr starken Rückenwind. Alle haben viel Arbeit, das gilt für Reisebüros genauso wie für Reiseveranstalter. Diese Entwicklung muss sich nun stabilisieren. Eine Rückkehr zur damaligen Unternehmensgrösse wäre aber nicht wirtschaftlich und stünde auch nicht im Einklang mit unseren Fortschritten bei der Prozessoptimierung und der Digitalisierung. Dass der Druck momentan wieder sehr hoch ist, dafür habe ich grosses Verständnis. Aber es ist auch ein Luxusproblem. Vor einem Jahr sassen wir hier, beklagten Omikron. Vor zwei Jahren sagten wir, hoffentlich schaffen wir 40 Prozent des Umsatzes. Vor drei Jahren waren wir einen Monat lang glücklich und sind dann im Corona-Stillstand verharrt.
Ist das nicht ein Risiko, wenn nun so viel Arbeit reinkommt, diese aber auf zu wenigen Schultern lastet, dass die Leute davonlaufen?
Darauf passen wir auf. Wir konnten 2022 rund 100 Neueintritte verzeichnen; davon, was mir sehr gefällt, einen Drittel Rückkehrer. Die Leistungsfähigkeit unserer neuen Kolleginnen und Kollegen nimmt täglich zu. Wir tun viel für unsere Mitarbeitenden, wir haben hochflexible Arbeitsmodelle, Remote Work, Homeoffice, wir zahlen überdurchschnittlich in die Pensionskasse ein, gewähren Erfolgssbeteiligungen. Im Mai und dann nochmals im Dezember bezahlten wir 1000 Franken zusätzlich. Und wir sind der grösste Ausbildner in der Touristik.
Wie schwierig ist es, neue Leute zu finden? Die Liste ausgeschriebener Stellen ist bei allen Reiseunternehmen lang.
Der Teufel liegt im Detail. Für 100 Neueinstellungen, wie wir sie 2022 verzeichneten, gingen 3000 Bewerbungen ein. In einzelnen Regionen, etwa im Tessin, ist es besonders schwierig Leute zu finden. In der Romandie arbeiten wir eng mit den Kollegen von TUI und Hotelplan zusammen, um Ausbildungsklassen zu gewährleisten. Aber es ist schon so, das Recruiting wird nicht leichter, etwa auch im Bereich von IT-Spezialisten.
«Es kommt vor, dass Mitarbeitende auch mal beschimpft werden. »
Spielt auch der rauere Ton der Kunden eine Rolle, dass es zu Fluktuationen kommt?
Es kommt vor, dass Mitarbeitende auch mal beschimpft werden. Gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen trifft das sehr. Der Ton ist teilweise rauer geworden, wenn etwas nicht sofort klappt.
Sie haben im Januar die Kuoni-Filiale im Einkaufszentrum Sihlcity geschlossen. Müssen Sie noch weitere Filialen schliessen?
Unser Filialnetz weist eine weitestgehend stabile Grösse aus und wir haben in der Krise unter dem Strich weniger als 10 Prozent der Standorte geschlossen – mittlerweile aber auch drei Standorte eröffnet. Das ist eine normale Entwicklung, dass man die Standorte prüft, etwa wenn die Mietverträge auslaufen. Zur Filiale Sihlcity kann ich sagen: das Thema Einkaufszentren sehen wir mittlerweile kritisch. Die Mietkosten sind hoch und die Personalkosten für uns ebenso, weil lange Öffnungszeiten vorgeschrieben sind. Aber wir sind insgesamt stabil bei den Filialen und sehr zufrieden mit ihnen, sie performen überaus gut. Was mich zusätzlich freut: der Neukundenanteil in den Filialen ist von 37 auf 50 Prozent gestiegen.
Auf was führen sie das zurück?
Mit ein Grund dürfte unsere Kulanz sein, die wir in der Krise gezeigt haben. Das spricht sich herum.
Wie entwickelt sich der Agentenvertrieb über unabhängige Reisebüros?
Mit rund 600 Agenten arbeiten wir zusammen, auch sie verzeichnen viele Anfragen und sind dadurch gefordert. Aber die Zusammenarbeit ist gut und wir honorieren unsere Partner über die bestehenden Provisionssysteme, an deren Einstufung wir seit der Pandemie nichts geändert haben.
Welche Situation zeichnet sich beim Online-Vertrieb ab?
Da kämpfen wir schon mit harter Konkurrenz. Hier geht’s rein um den Preis. Und die eigenen Produkte über grosse Portale zu vertreiben, ist nicht billig. Die Provisionen, die es zu berappen gilt, sind sehr hoch. Da stellt sich die Frage nach dem Deckungsbeitrag unter dem Strich. Nicht jedes Geschäft ist ein gutes Geschäft.
Was wir online vorhaben: wir werden kuoni.ch im Februar relaunchen und verstärkt für Kuoni und die Schwestermarken als Schaufenster benutzen, um mehr Leads zu generieren, die dann zu einer persönlichen Beratung – im Reisebüro oder virtuell – führen.
«Wir werden jetzt von Arbeit überrollt, aber angesichts der letzten drei Jahre ist das ein Luxusproblem.»
Kuoni hat letzte Woche erstmals eine Retailkampagne lanciert. Die gefällt uns gut, scheint aber auch ein bisschen harmlos zu sein, etwa der Clip mit dem liegengebliebenen Teddybär. Wollten Sie Ihre Expertise nicht mit härteren Beispielen unterstreichen?
Angst und Sorge ist kein gutes Argument. Es empfiehlt sich da nicht, Anschläge oder Unruhen in Ländern zu thematisieren, um zu sagen, wir holen euch da raus. Ich denke, mit dem Beinbruch-Beispiel bringen wir die Message gut rüber, dass man bei einem Kuoni-Reisebüro in guten Händen ist. Und Teddybären, Tiere und Kinder ziehen immer (lacht). Mich freut besonders, dass die Kampagne komplett intern im Team von André Plöger entstanden ist, von der Idee bis zur Umsetzung.
Wir kommen aus unruhigen Zeiten. Welche Sorgen umtreiben Sie beim Blick nach vorne?
Es sind drei Themen, die mich stark beschäftigen. Die Welt wird aktuell nicht friedlicher. Der furchtbare Krieg in der Ukraine nimmt kein Ende. Mögliche Konflikte in Taiwan oder Südamerika werden uns wohl weiterhin beschäftigen, während Corona nicht mehr so stark im Mittelpunkt steht.
Zweitens stellen der Klimawandel und die Nachhaltigkeit eine Herausforderung dar. Das ist eine Riesenaufgabe, da müssen wir vorankommen. Das schulden wir der Umwelt und es ist auch ein gesellschaftlicher Trend. Da möchten wir verstärkt mit nachhaltigen Produkten wirtschaftlich agieren. Mein Wunsch ist, dass wir bald eine Branchenlösung bei der Ausweisung nachhaltiger Leistungen erreichen. Ein drittes Thema, das uns verstärkt beschäftigt, ist die IT-Sicherheit. In die Minimierung entsprechender Risiken investieren wir viel.
Was gibt Hoffnung auf ein gutes Reisejahr?
Ich pendle ja zwischen Deutschland und der Schweiz, und dazwischen liegen in wirtschaftlicher Hinsicht aktuell Welten. Es ist schon enorm, wie tief die Arbeitslosigkeit und die Inflation in der Schweiz ist und gleichzeitig der Franken so stark. Das ist eine gute Ausgangslage. Dazu kommt weiterhin ein grosser Nachholeffekt, der uns Rückenwind beschert. Klar, wir werden jetzt von Arbeit überrollt, aber angesichts der letzten drei Jahre ist das ein Luxusproblem. Das kriegen wir in den Griff. Ich glaube, wir bekommen Ende 2023 endlich wieder mal die Chance zu sagen, ja, dieses Jahr ist gut gelaufen.