On The Move
Auf Expedition ins Glück
Markus FässlerEs ist 1:15 Uhr nachts am Expeditionstag 3. Der Drei-Mast-Schoner SV Rembrandt van Rijn des niederländischen Expeditionsreisen-Anbieters Oceanwide Expeditions liegt seit einigen Stunden in einer Bucht mit Namen Jøkelfjorden. Schon am frühen Abend entdeckte eine der Mitreisenden einen milchigen Streifen am Abendhimmel. Da das menschliche Auge die vielen bunten Farben der Nordlichter meist nur als weiss wahrnimmt, muss der Fotocheck her. Und tatsächlich: Der Blick auf die Kamera bringt Gewissheit. Der Streifen erscheint auf dem Display grün, es sind Nordlichter.
Es folgt eine Geduldsprobe draussen auf dem verschneiten Deck. Die sinkenden Minustemperaturen machen sich langsam aber sicher durch verloren gegangene Körperwärme bemerkbar. Dazwischen immer wieder kurz rein in die «warme Stube». Kaffee, Tee, Bouillon und das Hoffen helfen. Lange Zeit bleibt der Himmel unverändert, einzig die funkelnden Sterne leisten uns Gesellschaft. Das Schiff liegt ruhig im Wasser. Spiegelglatt und ohne Bewegung fühlt es sich an, als ob der rund hundert Jahre alte Segler im ewigen Eis gefangen ist. Mittlerweile hat sich die Anzahl Personen an Deck stark reduziert, die Kälte und die Müdigkeit haben gesiegt. Nur eine kleine Gruppe will sich in dieser klaren Nacht nicht geschlagen geben. Denn der Wetterbericht der nächsten Tage mindert eine weitere solche Chance deutlich.
Ob dann Thor – in der nordischen Mythologie Gott der Seefahrer und des Wetters – seine Finger im Spiel hatte, bleibt bis heute ungeklärt. Doch urplötzlich kommt Bewegung in den Himmel. Zuerst bildet sich eine zweite milchige Spur, die an einen Regenbogen über dem Schiff erinnert. Die Freude ist von kurzer Dauer, denn der vermeintliche Regenbogen löst sich auf. Eine Fehlinterpretation, viel mehr beginnen sich die beiden Streifen zu bewegen und los geht der Tanz der Aurora Borealis, den Nordlichtern.
Der Himmel spielt verrückt
Hektisches Treiben, positionieren der Kamera und abdrücken. Aber nur zu Beginn des Schauspiels, danach heisst es für die meisten zurücklehnen und geniessen. Mittlerweile bedecken die Nordlichter den ganzen Himmel, gepaart mit den Sternen, der Reflektion des Wassers und der Stille des Winters ein Komplettprogramm an Glückseligkeit.
«Alle anziehen, der Himmel spielt verrückt», so die Durchsage des Expeditionsleiters, der die Schlafenden auf das Spektakel hinweisen will. Doch selbst wer dem Aufruf folgt, kommt leider zu spät. Denn die Show ist nach wenigen Minuten vorbei, vor dem geistigen Auge läuft sie aber noch heute.
Intime Momente auf dem Zodiac
Die Nordlichter-Erfahrung ist einer von vielen Höhepunkten auf einer Expeditionsreise, die denkbar schlecht begann. Versammelt im einfachen Ess- und Aufenthaltsraum der SV Rembrandt van Rijn – draussen pfeift der kalte Wind über das zugeschneite und zugefrorene Tromsø – warten die Gäste auf den Start der Reise. Doch ein technisches Problem verhindert die Abfahrt des Traditionsseglers. Nun gut, besser hier, als während einer Anlandung in einem der verlassenen Fischerdörfer in den Fjorden Nordnorwegens.
Die anfängliche Verzögerung ist aber schnell vergessen. Ohnehin setzen Expeditionsreisen ein gewisses Mass an Flexibilität voraus. Das hat seinen Grund. Zwar verfügt der Reisende im Voraus über ein mehr oder weniger detailliertes Programm, aber dieses kann sich von der einen auf die andere Minute ändern. So sind die Passagiere und die Crew der Rembrandt van Rijn in der Region um Skjervøy, einer Kommune nordöstlich von Tromsø gelegen, unterwegs um Wale zu beobachten und nicht wie vorab angekündigt südlich rund um Senja. Denn die Tiere sind neuerdings mehrheitlich in der Zielregion anzutreffen.
Ein guter Hinweis auf Orkas und Buckelwale sind die Fischerboote. Halbschräg im Wasser liegen diese, wenn sie die prall mit Hering gefüllten Netze einholen. Da fällt auch für die schlauen Wale der eine oder andere Snack ab. Aber auch weitaus intimere Momente werden auf dieser Reise ermöglicht. Ein günstiges Wetterfenster erlaubt es, die Zodiacs zu Wasser zu lassen und einen Buckelwal aus nächster Nähe zu beobachten. Gänsehaut am ganzen Körper, als das majestätische Wesen beim Ausatmen eine Nebelfontäne in die Luft schiesst, um kurze Zeit später elegant abzutauchen und als Abschied die riesige Schwanzflosse präsentiert.
Glück gehört dazu
Nach sieben Tagen ist die Reise vorbei. Gesehen haben die Teilnehmenden alles, was sie erwartet haben. Natürlich gehört dazu auch ein wenig Glück, schliesslich orientieren sich die Nordlichter oder die Wale nicht an den Touristen. Aber auch sonst ist man um einige Erfahrungen reicher. Das wenige Tageslicht, im Januar gerade einmal vier Stunden täglich, bringt einem dazu, die Natur in dieser Zeit noch intensiver wahrzunehmen.
Und auch an einem stockdunklen Nachmittag draussen auf dem Deck zu stehen, umgeben von absoluter Stille, hat seinen Reiz. Als ob all dies noch nicht genug wäre, ermöglicht ein seit mehreren Stunden herrschender Sturm auf der Rückfahrt Skjervøy nach Tromsø alle Segel zu hissen und mit Hilfe des Windes zurück in Richtung Realität zu ziehen.