On The Move

Mit der Postschifflinie entlang der norwegischen Küste. Bild: Jan Holthe / Hurtigruten

Von der Hurtigrute zu den Rentieren in Finnisch-Lappland

Franziska Hidber

Ein Nordentraum: Auf der legendären Postschifflinie Hurtigrute über ein einmaliges Naturkino staunen, durch Oslo und Bergen streifen und in Finnisch-Lappland das Herz der samischen Kultur entdecken.

Tschsch, tschsch, tschsch – gleichmässig schlägt das dunkle Wasser des Nordatlantiks am Schiffsrumpf der Kong Harald auf. Der Rhythmus trägt uns hinein in die Nacht. Es hat etwas Schwereloses, auf der Hurtigrute unterwegs zu sein, obwohl Kong Harald alles andere als ein Leichtgewicht ist. Mit gemütlichen 15 Knoten die Stunden pflügt er sich Richtung Norden. Wir stehen an der Reling, die meisten Gäste haben sich längst in ihre Kabinen verzogen, aber wir können dem Sog nicht widerstehen.

So wenig wie dem Wind, der die Töne des Pianisten an der Bar im Panoramadeck zu uns trägt. Am hellen Nachthimmel blinken die ersten Sterne, noch sind die Tage erstaunlich lang, doch «Ruska», der Indian Summer Lapplands, kündigt sich in diesen Septembertagen bereits an.

«Ruska», der Indian Summer Lapplands, kündigt sich im September an. Bild: Adobe Stock, insidenorway

Launische grüne Lady

Röbi, den ich zufällig im Zug nach Bergen getroffen habe, hat sein Stativ aufgestellt: «Heute Nacht stehen die Chancen auf Nordlichter gut», verkündet er und sucht den Schärfepunkt. «Könnten! Die grüne Lady ist launisch!», ruft jemand mit charmanten Akzent hinter uns und lacht. Der Kapitän gönnt sich eine kurze Pause: «Ihr macht es richtig», meint er in unsere Richtung, «Schlafen könnt ihr zuhause wieder. Kommt mal im Sommer, dann erlebt ihr unter der Mitternachtssonne 24 Stunden Naturkino an Bord!»

Dabei haben wir auch ohne Mitternachtssonne schon so viel erlebt, als wären wir nicht eine knappe Woche, sondern einen Monat unterwegs: Streifzüge durchs sonnige Oslo, Flanieren in der schicken Fussgängerzone und dem Skulpturenpark Vigneland, die Fahrt mit der Bergen-Bahn über die Hochebene Hardangervidda bis in die Hansestadt Bergen mit ihren bunten Holzhäusern und dem grandiosen Blick vom Berg Fløyen auf die Fjorde.

«Heute Nacht stehen die Chancen auf Nordlichter gut», verkündete der Mitreisende. Bild: Pyhä Luosto

Polarkreis-Taufe und urige Tänze

Die Einschiffung zu Musik und klirrenden Gläsern in Bergen, das Staunen im Jugendstilstädtchen Alesund mit seinem Aquarium, die Taufzeremonie mit Unterwassergott Neptun an Bord mit Eis und Schnaps, als wir den Polarkreis überquerten; das urige Wikingerfest auf den Lofoten, die Aussicht beim Wandern auf Tromsøs Hausberg Storsteinen, und die kulinarischen Höhepunkte Tag für Tag. Wie das Schiff ist auch der Speiseplan «typisch norwegisch»: auf den Teller kommt, was auf diesem Streckenabschnitt gefangen, gepflückt, geerntet, gelegt und produziert wird, vom Fisch zum Fleisch über den Ziegenkäse bis zur himmlischen Erdbeerconfitüre.

Schliesslich das erhabene Gefühl, als wir heute Mittag auf der Nordkap-Plattform standen, wo die Felsen sich steil ins Wasser stürzen und der Blick nichts freigibt als Wasser am Horizont: «Hier sind wir dem Nordpol näher als Oslo», sagte unsere Reiseleiterin. «Hier komme ich mir vor wie auf einer Expedition am Ende der Welt», sagt Röbi und packt das Stativ mit Blick auf die aufziehenden Wolken wieder ein.

Idylle im Indian Summer Lapplands. Bild: Franziska Hidber

Wohltuende Kargheit

«Ende der Welt» trifft es. Auf der insgesamt 2700 Kilometer langen Postschifflinie verändert sich die Landschaft mit jeder Seemeile Richtung Norden. Die Bäume sind weniger geworden. Städtchen und Dörfer haben einer wohltuenden Kargheit Platz gemacht. Vom Panoramadeck aus schauen wir auf Vogelfelsen, Inselchen, einsame Leuchttürme, Berge, die aus dem Wasser ragen wie Nilpferdrücken.

Nur zwei Tage später finden wir uns in einer komplett anderen Welt wieder, inmitten der Farbenpracht des Urho-Kekkonen-Nationalparks in Saariselkää, Finnisch-Lappland. Röbi kann es kaum fassen. Er hat den «Indian Summer» bereits in Kanada erlebt, aber «das hier ist verblüffend.» Die gelben Birkenblätter leuchten mit den Blaubeeren um die Wette, und wie wir über den weichen, rötlich gefärbten Floor auf den Berg Iisakkipää wandern, raschelt es plötzlich. Eine Rentiermutter trabt mit ihrem Kalb aus dem Unterholz, schaut uns einen Moment verblüfft aus samtbraunen Augen an und kehrt dann unvermittelt um, ihr Junges dicht an den Fersen.

Rentiere bilden bis heute die Lebensgrundlage für die die indigene Bevölkerung, die Sami. Bild: Visit Finland, Pentti Sormunen/Vastavalo

Rentiere als Lebensgrundlage

«Rentiere bilden bis heute die Lebensgrundlage für die die indigene Bevölkerung, die Sami», erfahren wir von unserem Wanderleiter. Und dass hier oben die Tiere in deutlicher Überzahl sind – es gibt weit mehr als Menschen. Als wir am Tag zuvor von Kirkenes, dem Wendepunkt der Hurtigrute, mit dem Bus dem Inari-See entlang fuhren, säumten ganze Herden mit mächtigen Geweihen den Waldrand.

Am letzten Abend sitzen wir in der Kota, dem nachgebauten Samizelt aus Holz, am prasselnden Feuer, lauschen den Geschichten aus Lappland, geniessen heissen Beerensaft und einen Rentierburger. Und dann passiert es: Die grüne Lady hat gute Laune! Über der Kota tänzelt ein zartes Licht, wächst zu einem eleganten Schweif, Anfang und Beginn scheinen die dunklen Tannenspitzen zu küssen, und während wir wie angewurzelt zum Himmel starren, klappt Röbi hektisch sein Stativ auf.

«Ein schöneres Abschiedsgeschenk hätte ich mir nicht wünschen können», sagt er am nächsten Tag im Bus, der uns nach Kittilä zum Kontiki-Direktflug bringt. Kaum vorstellbar, dass uns nur dreieinhalb Flugstunden von Zürich trennen. Als der Flieger über den farbigen Wäldern mit den tiefblauen Seen abhebt, checkt Röbi seine Agenda: «Das nächste Mal möchte ich diese Reise im Sommer erleben, wenn es nachts hell ist.» Denn die Mitternachtssonne, so mutmasst er, «ist weniger launisch als die grüne Lady.»

Zu den Kontiki-Sommerhits.


(Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Kontiki Reisen.)