Here & There

Für über 3 Millionen Franken umgebaut: Das Hotel Walther in Pontresina. Bild: HO

Auf Genuss-Reise durchs Engadin

Artur K. Vogel

Die «Route du bonheur» ist eine typisch französische, inzwischen 64 Jahre alte Erfindung. Sie funktioniert aber auch in der Schweiz – mit Stopps bei Relais & Châteaux.

Der Engadiner Bergsommer hielt Anfang Juli nicht, was er versprach: Es war kalt, windig und neblig, und zeitweise ging ein fieser Nieselregen nieder, den man eher im November erwartet hätte. Doch einmal in Samnaun angekommen, spielte die Meteorologie keine Rolle mehr. Denn im Gegensatz zum Wetter kann das Chasa Montana Hotel & Spa, ein Viersterne-superior-Hotel, das der Vereinigung Relais & Châteaux angehört, auch hochgesteckte Erwartungen erfüllen. Im vergangenen Jahr wurde es zum freundlichsten Schweizer Hotel in der Kategorie «Ferienhotel gross» erkoren.

«Wir sehen die Gäste als Freunde», sagt Daniel Eisner, der das Haus zusammen mit seiner Frau Carina Gruber führt. Spätestens bei einem Gespräch während des Apéros im gut bestückten Weinkeller stellt man fest, dass dies keine leere Floskel ist. Carina Gruber führt den Erfolg unter anderem auf die sorgfältige Auswahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück. Vielleicht trägt auch ein anderer Umstand zur guten Stimmung im Chasa Montana bei, eine Besonderheit, die in anderen Betrieben nicht üblich ist, wie Daniel Eisner versichert. Denn neben ihnen sind auch weitere Paare im Hotel tätig: Christina, die Frau des Küchenchefs Bernd Fabian, zum Beispiel arbeitet als Kinderbetreuerin hier – neben jenen der Gäste kümmert sie sich auf um die drei Kinder von Daniel und Carina.

Leiten das Chasa Montana Hotel & Spa: Daniel Eisner und Carina Gruber mit ihren drei Kindern. Bild: HO

80 Prozent sind Stammgäste. Sie finden im Chasa Montana Massage- und Therapie-Angebote, Pools und Saunen auf rund 1500 Quadratmetern. Aber sie bekommen hier, getreu den Prinzipien von Relais & Château, auch die exzellente, kreative bis gewagte Küche von Bernd Fabian vorgesetzt, der sich einen Michelin-Stern und 15 Gault-Millau-Punkte erkocht hat.

Vor 64 Jahren erfunden: die «Route du bonheur»

Das Chasa Montana Samnaun liegt am Ende einer «Route du Bonheur» (Geniesser-Route) von Relais & Châteaux, die in der Krone im mittelalterlichen Städtchen Regensberg bei Zürich beginnt und über den Bodensee, Vaduz und Arosa ins Engadin führt. Wir haben die Engadiner Etappe sozusagen von hinten aufgerollt.

Um das Konzept zu erklären, blendet Benjamin Dietsche, der Direktor der Schweizer Delegation von Relais & Châteaux (R&C), mehr als 60 Jahre zurück: Anfang der 1950er-Jahre setzte in Europa die Massenmotorisierung ein; die Franzosen strebten auf der Route Nationale 7 en masse Richtung Provence und Côte d’Azur, wobei die Betuchteren unter ihnen auf die übliche Grande Cuisine nicht verzichten wollten.

Nelly und Marcel Tilloy, Besitzer des Hotels Cardinale in Baix in der Ardèche, hatten deshalb 1954 eine brillante Idee: Sie und sieben weitere Gastgeber zwischen Paris und dem Süden wollten für ihre gehobene Küche gemeinsam Werbung machen. Die Vereinigung nannte man «Relais de Campagne» (ab 1975 «»Relais & Châteaux«». Für den Weg zwischen diesen Etablissements erfand man den Slogan «La Route du Bonheur».

Die Idee der Tilloys hat eingeschlagen: R&C umfasst heute rund 550 Hotels und Spitzenrestaurants in gut fünf Dutzend Ländern. Und statt einer «Route du Bonheur» gibt es etwa 120, davon ein halbes Dutzend in der Schweiz, wie Dietsche erläutert. Die Tourenvorschläge kombinieren eine Auswahl an Gourmet- und Hotel-Adressen mit landschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Gegend.

Tausendjähriges Schloss, fünfhundertjähriger Gasthof

Ein ganz besonderer Ort ist auch unsere zweite Etappe: Tarasp, das seit 1. Januar 2015 zur Gemeinde Scuol gehört. Das Schloss Tarasp mit seiner rund tausendjährigen Geschichte thront hoch über dem Unterengadin, dessen Wahrzeichen es ist. Seit gut zwei Jahren gehört es dem international tätigen Künstler Not Vital aus dem Nachbarort Sent, der hier eigene Werke und seine Sammlung von Arbeiten anderer Künstler ausstellt und Räume so belassen hat, wie sie seit der Renovierung vor rund 100 Jahren aussahen. Das Schloss ist öffentlich zugänglich.

Am Fuss des Schlosshügels liegt der Weiler Sparsels mit einem grossen Haus, das sich seit einem halben Jahrtausend im Besitz der Familie Pazeller befindet. 1912 wurde dort eine kleine Beiz eingerichtet; in den letzten Jahrzehnten wurde es in vielen Teilschritten zum Schlosshotel und Restaurant Chastè mit heute elf Zimmern und sieben Suiten aus- und umgebaut, wie Rudolf Pazeller beim Mittagessen erzählt.

Der Speisesaal des Schlosshotels Chastè in Tarasp. Bild: HO

Dass es nicht ganz einfach ist, Mitglied bei R&C zu werden, erfährt man vom Seniorchef so nebenbei: «1985 haben wir den Wunsch bei Relais & Châteaux zum erstenmal angemeldet»; erst elf Jahre später war es so weit.

Heute leitet sein Sohn Gian-Andrea Pazeller das Unternehmen, und natürlich wirkt auch hier ein begabter Küchenchef, der Bayer Andreas Heidenreich.

Alles aus Holz bei Familie Cadonau

Die nächste Station ist ein Haus mit kurzer Geschichte und umso grösserem Renommee: das In Lain Hotel Cadonau in Brail auf halbem Weg zwischen Scuol und St. Moritz. Tamara und Dario Cadonau haben das 450-jährige Haus vor wenigen Jahren in ein luxuriöses Hotel mit drei kulinarisch hochstehenden Restaurants verwandelt.

Übernachten kann man im In Lain Hotel Cadonau in drei traditionellen Familienzimmern im Haus selber oder in den elf Suiten in einem geschwungenen Neubau. Bild: Marco Cadonau

Wieso das Hotel «In Lain» heisst, zu Deutsch «aus Holz», wird einem bewusst, sobald sich die Tür aus geschnitztem Massivholz öffnet und einem der würzige Duft nach Arvenholz entgegenströmt: Wie die Hausherrin Tamara Cadonau erzählt, befindet sich eine Schreinerei im Besitz der Familie Cadonau. Fast die gesamte, ebenso moderne wie gediegen-gemütliche Einrichtung stammt aus der familieneigenen Manufaktur in S-Chanf.

Übernachten kann man in drei traditionellen Familienzimmern im Haus selber oder in den elf Suiten in einem geschwungenen Neubau, der sich diskret in die Landschaft einbettet und freie Sicht auf den gegenüberliegenden Nationalpark bietet.

Nicht nur das Arvenholz ist lokal; lokal ist auch fast alles, was in der Küche verarbeitet wird. Käse wird direkt im Haus hergestellt, in einer eigenen Käserei; während man dort ein Fondue verspeist, kann man dem Käser bei der Arbeit zuschauen. Berühmt ist das In Lain Cadonau allerdings für sein Gourmet-Restaurant Vivanda, für welches der erst 38 Jahre alte Dario Cadonau inzwischen mit einem Michelin-Stern und 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet worden ist. Etwas einfacher, aber immer noch köstlich ist das Angebot im Restaurant Stüvetta.

Im Hotel Walther harmonieren Alt und Neu aufs schönste

Am letzten Abend kommen wir in Pontresina und hier wieder in einem traditionellen Haus an: Das Hotel Walther, das sich früher «Palace» nannte, wurde 1907 eröffnet; seit 60 Jahren ist es im Familienbesitz; seit 20 Jahren wird es in dritter Generation von Thomas Walther und seiner Frau Anne-Rose geleitet.

Prägen das Hotel Walther seit 20 Jahren: Thomas und Anne-Rose Walther. Bild: HO

Zum 110-jährigen Bestehen haben sie sich für 3,3 Millionen Franken ein komplett neues Erdgeschoss geleistet und dafür die in Zürich tätige, aus Graubünden stammende Innenraum-Gestalterin Virginia Maissen engagiert.

Bei einem Rundgang durch Lounge, Lobby, Bar, Fumoir und Restaurant schildert Virignia Maissen ihre Vorgehensweise: Das Alte dort bewahren, wo man es bewahren konnte, dort hervorholen, wo es im Lauf der Zeit verborgen worden war; das Bestehende ergänzen, teils mit Elementen, die wie aus der Belle Epoque wirken, Wandmosaike im Gang zwischen Rezeption und Restaurant etwa, teils mit ganz modernen Ergänzungen, etwa drei massiven Marmorblöcken, welche die Rezeption umgeben. In der Bar hängt eine auffällige Beleuchtungsinstallation des Künstlers Rolf Sachs.

Es habe es einige Diskussionen gegeben, sagt Virginia Maissen, doch «ich halte 99 Prozent der Renovation für gelungen», freut sich Thomas Walther. Auch die Reaktion der Stammgäste sei überwiegend positiv gewesen.

Am letzten Morgen klart das Wetter auf. Mit Anne-Rose Walther machen sich einige zum Nordic Walking auf, andere zum Biken mit Thomas Walther. Danach trifft man sich bei der Alp-Schaukäserei Morteratsch auf ein spätes Frühstück. Von Juni bis Mitte September wird hier täglich ein imposantes Brunch-Büffet aufgebaut, und man kann den Käsern beim Rühren im grossen Chessi über dem Holzfeuer zuschauen.

Imposantes Brunch-Büffet auf der Alp-Schaukäserei Morteratsch – von Juni bis Mitte September. Bild: HO