Here & There

Auf der Ostseite des Ang Mo Kio Stadtparks von Singapur liegt der Kebun Baru Bird Singing Club. Bilder: RAS

Die andere Seite Singapurs

Raphaël Surber

Marina Bay Sands, Gardens by the Bay, Sentosa Island, Chinatown – an Touristen-Hotspots, die man «gesehen haben muss», fehlt es in Singapur beileibe nicht. Unser Autor hat sich aufgemacht, ein etwas anderes Singapur zu entdecken.

Mark Twain soll das Bonmot geprägt haben: «Wann immer du dich auf der Seite des Mainstreams wiederfindest, ist es Zeit, inne zu halten und nachzudenken.» Das gilt sicher auch fürs Reisen. Und das Glück, zum wiederholten Male einen Ort zu besuchen, besteht auch darin, dass man für einmal die etwas unbekannteren Ecken entdecken kann.

Doch ist das in Singapur, das mit touristischen Highlights im Dutzend beeindruckt, überhaupt möglich? Gibt es ein Singapur abseits der «ausgetretenen Pfade»? Wir haben es ausprobiert und bei unserem kurzen Aufenthalt bewusst Orte ausgesucht, die nicht zuoberst auf der Liste für einen Städtetrip in die Millionenmetropole am Äquator stehen, die aber allemal ihren ganz eigenen Charme haben.

Little India – wo die halbe Welt zusammenkommt

Was wäre ein spannender Städtetrip ohne die perfekte Bleibe? Die sagenhaft teuren Riesenhotels rund ums Clark Quay oder in der Marina Bay Area sind da eher weniger was für Entdecker. Wir schlagen unser Nachtlager deshalb in einem hübsch renovierten chinesischen Shophouse auf, welches zu einem stilvollen Airbnb am Rande von Little India umgebaut wurde.

India meets China meets Ireland - der Schmelztigel Little India ist das schlagende Herz Singapurs.

Little India ist das pulsierende Herz von Singapur, welches niemals aufhört zu schlagen. Hier wimmelt es nicht nur von Menschen aus aller Welt (und vor allem aus Indien), hier finden sich auch Dutzende gute bis hervorragende Restaurants für fast jeden Geschmack, man gewinnt beim Vorbeigehen kleiner Läden spannende Einblicke in allerlei fremde Kulturen und kann sich der Farbenpracht hinduistischer Tempel hingeben. Hier spielt sich das Leben auf der Strasse ab, 24 Stunden am Tag – zwei Dinge, die in krassem Gegensatz zum Rest von Singapur stehen.

Pulau Ubin – dem Otter auf der Spur

20 Minuten von unserer Bleibe entfernt legt uns Singapur den Urwald Südostasiens vor die Füsse. Auf Pulau Ubin, einer von insgesamt 64 Inseln rund um Singapur, findet man ihn, zusammen mit einem Singapur aus einer längst vergangenen Epoche. Für die Überfahrt gilt: Das Boot fährt, wenn es voll ist. Und voll ist es mit 12 Personen. Nicht mit 11, nicht mit 13. Allerdings kann, wer alleine kommt und es eilig hat, auch 12 Tickets aufs Mal erstehen – dann fährt das «Bumboat» auch mit nur einem Passagier.

Wir kommen, als Passagier 11 und 12, also gerade rechtzeitig. Die Überfahrt dauert keine 5 Minuten und führt in eine komplett andere Welt. Dass diese in Sichtweite einer der modernsten, teuersten Städte der Welt liegt, vergisst man augenblicklich. Die kleine Insel ist ein idyllisches Paradies im Handtaschenformat, alles ist ein bisschen kleiner hier. Erkunden kann man Pulau Ubin zu Fuss oder mit einem Fahrrad von einer der gefühlt hundert Fahrradvermietungen gleich am Landesteg von Pulau Ubin.

«Tankstelle» mitten im Grün von Pulau Ubin, einer von insgesamt 63 Inseln rund um Singapur.

Da wir gehört haben, dass man im Sumpfland von Pulau Ubin sogar Otter finden kann, machen wir uns auf den Weg zu den Chek Jawa Wetlands. Und tatsächlich sichten wir eine Vielzahl exotischer Tiere: Warane in 2-Meter-Ausführung und ihre kleineren Artgenossen, freche Javaneraffen, die sich am Müll der Insulaner zu schaffen machen, schüchterne Wildschweinherden, trällernde Paradies- und schüchterne Nashornvögel. Sogar den Mud Lobster lernen wir kennen – oder zumindest das, was er so den ganzen Tag erschafft: riesige Schlammburgen, Termitenhügeln ähnlich, türmen sich da zwischen stachligen Palmen und Mangroven auf. Andere Krebse gibt es, in feiner Sauce gebraten, im chinesischen Seafood-Restaurant beim Jetty. Der Otter lässt sich an diesem heissen Tag leider nicht blicken.

Bird Singing Club – jeder braucht ein Hobby

Am nächsten Morgen lassen wir uns auf der Ostseite des Ang Mo Kio Stadtparks im gleichnamigen Viertel absetzen, um eine von riesigen Palmen gesäumte Treppe den Parkhügel hinauf zu wandern. Auf der anderen Seite des Parks liegt der Kebun Baru Bird Singing Club, ein Ort, den wir erst für den Treffpunkt einiger verrückter Singapur-Chinesen halten. Doch weit gefehlt: Singvögel sind hier ein beliebtes Hobby. Weit über 350 gekrümmte Eisenstangen ragen aus dem sorgfältig gepflegten Rasen auf. An ihnen werden die Käfige mit den Singvögeln befestigt.

Im Kebun Baru Bird Singing Club sind an unzähligen gekrümmten Eisenstangen Käfige mit Singvögeln befestigt.

An diesem Tag sind ein paar Dutzend davon belegt, vorwiegend mit Zebratauben, die rhythmisch vor sich hingurren, sowie ein paar Kardinälen und anderen Singvögeln kleineren Wachstums. Etwas argwöhnisch betrachtet man uns, wir sind die einzigen Touristen hier – vielleicht hält man uns auch für Spione. Man hört chinesisches Radio und gibt sich langsam der schier unerträglichen Mittagshitze hin, die sich erbarmungslos über die Rasenfläche legt. Die Wand des «Vereinslokals» verkündet stolz die unzähligen Siege und Podestplätze, die der Club in den letzten Jahrzehnten schon eingefahren, pardon: eingesungen hat.

Etwas skurril ist, dass auf dem Rasen selber Dutzende freilebende Zebratauben herumstolzieren und vor sich hingurren, während wenige Meter über ihnen Artgenossen in Käfigen gehalten werden. Natürlich fängt man allmählich an, sich um die Vögel in den engen Käfigen zu sorgen. Doch der Tierschutz hat dem Verein offiziell ein Zertifikat ausgestellt. Und gleich um die Ecke ermahnen Schilder (die vor allem für die wachsende Zahl an Hundehaltern im Quartier aufgestellt wurden), man solle ein «good pet owner» sein, sich also um die eigenen Haustiere kümmern. Immerhin. In Singapur nimmt man so etwas ernst.

Mustafas – Tante Emma goes Shopping Arcade

Da auch alternatives Sightseeing nicht ganz ohne Shopping auskommt, nehmen wir uns zum Abschluss unseres Städtetrips der Ikone von Little India an: Mustafas. Das Shopping Center, rund um die Uhr geöffnet und auch rund um die Uhr voller Leute, ist im Grunde ein Tante-Emma-Laden in der Dimension eines Glattzentrums.

Eines der ausgefallensten Shoppingcentres: das Mustafas.

Hier gibt es alles für den täglichen Bedarf und mehr, dicht aufgereiht in engen Regalen auf fünf Stockwerken, die bis unter die Decke gefüllt sind. Von der Waschmaschine über die Golduhr bis zur Mango ist hier einfach alles zu kriegen. Wie viele verschiedene Arten Shampoo es auf der Welt gibt, weiss man erst, wenn man mal bei Mustafas war. Und wer hier nicht findet, was er sucht, hatte einfach nur zu wenig Zeit, um zu suchen.

Fazit: Singapur ist ein touristischer Traum und voller spannender, faszinierender Sehenswürdigkeiten von Weltruhm. Und doch gibt es jenseits von Clarke Quay und Marina Bay Sands Vieles zu entdecken, was im Grunde typisch Singapur ist, aber in den Spalten der üblichen Reiseführer nur wenig Raum findet. Lohnenswert ist auf jeden Fall beides.