Here & There

Der Concepción bildet zusammen mit dem Nachbarvulkan Maderas die Isla de Ometepe im Nicaraguasee. Zuletzt brach er 2010 aus. Bilder: Fotolia

Auf der Route der Vulkane

Oliver Gerhard

Nicaragua zählt rund 50 Vulkane – hier kann man in qualmende Krater blicken, zu Vulkaninseln schippern und den Gruselgeschichten der Einheimischen lauschen.

Ein lautes Prusten durchbricht die Stille. Bayardo Betancourt taucht aus dem Nicaragua-See auf und hält ein Netz mit drei zappelnden bunten Fischen in die Höhe. Der kräftige Mann mit rasiertem Schädel befreit die Tiere aus den Maschen und wirft sie in das kleine, selbst gebaute Motorboot zu seinem Kollegen Ignacio Vidal.

Die beiden Männer arbeiten konzentriert, für ihre Umgebung haben sie kaum einen Blick: Die ersten Sonnenstrahlen färben den Lago Nicaragua rosa und bringen die Stämme der Kapokbäume am Ufer zum Glühen. Grüne Papageien flattern durch die Wipfel, im Schilf halten Silberreiher Ausschau nach ihrem Frühstück. Nur der breite Rücken des Vulkans Mombacho versteckt sich noch hinter einer Wolkenwand.

Bis zur Hüfte im Wasser stehend, müsste Betancourt eigentlich nervös sein, denn im grössten See Mittelamerikas leben Krokodile und Bullenhaie. Doch nach mehr als 20 Jahren als Fischer lässt er sich davon nicht mehr aus der Ruhe bringen. Mit knarrenden Rudern setzen die Männer ihre Fahrt fort. Die beiden Freunde fangen regelmässig Buntbarsche und Sägefische, Knochenhechte, Krebse und Schildkröten. «Die Konkurrenz ist kein Problem», sagt Bayardo. «Die schlafen zu Hause und träumen davon, dass die Fische vom Himmel fallen.»

Sieben sind noch aktiv

Der Nicaragua-See ist einer der Höhepunkte auf der «Route der Vulkane», einer Themenstrasse, deren Einrichtung von der EU gefördert wurde. Rund 50 Feuerberge reihen sich hier aneinander, sieben davon sind aktiv. Entlang der Strecke kann man zum Beispiel in der Kraterlagune von Apoyo baden, mit einem Sandboard vom Gipfel des Cerro Negro rasen, einen Gipfel besteigen oder einen Blick in einen Krater mit brodelnder Lava werfen.

Der Cerro Negro lässt sich mit einem Sandboard bezwingen.

Gegen neun Uhr ist es vorbei mit der Ruhe auf dem Nicaragua-See: Überdachte Boote chauffieren Touristen von der prächtigen Kolonialstadt Granada aus durch das Labyrinth der Isletas, einer Gruppe aus 360 kleinen Inseln. Es sind «Töchter» des Mombacho, die der Vulkan einst bei einer seiner Eruptionen in den See schleuderte. Seit dem Jahr 1570 liegt er im Tiefschlaf. Die Inseln dagegen strotzen vor Leben: Manche sind von Urwald bewachsen oder von einem Blütenmeer bedeckt. Auf einer liegt ein historisches Fort, auf einer anderen wohnen Affen, die aus einem privaten Zoo ausgerissen sind.

Der Mombacho ist nicht der einzige Feuerberg, der über den See wacht: Auf der Insel Ometepe, der grössten in dem Gewässer, lebt die Bevölkerung sogar im Schatten von zwei Vulkanen: auf der einen Seite der erloschene Maderas, an dessen Hängen Urwälder wachsen und Kaffee angebaut wird. Auf der anderen der ebenmässige Kegel des 1610 Meter hohen Concepción, der noch regelmässig Feuer spuckt.

«Ströme von Lava ergossen sich in die Tiefe»

«Der Berg war in Flammen gebadet, Ströme von Lava ergossen sich in die Tiefe», sagt Maria Guillermina. «Der Vulkan erschien mir in diesem Augenblick wunderschön. Aber die Älteren fürchteten sich sehr, es gab eine riesige Explosion und die Häuser wackelten.» Guillermina war noch ein Kind bei ihrem ersten Vulkanausbruch 1936, die Angst vor dem Berg lernte sie erst später kennen.

Die 85-Jährige, die auch als Mittsechzigerin durchgehen könnte, sitzt auf ihrer Veranda im Dörfchen Playa Santa Cruz. Eigentlich ist sie seit kurzem in Rente, doch nun versorgt sie ihre Mutter Maria Ignacio, 104 Jahre alt. Gepunktetes Kleid, Leinenschuhe, goldene Ohrringe: Die alte Dame hat sich schick gemacht.

Ihre Hand mit pergamentener Haut ruht auf den aufgeschlagenen Seiten der Bibel, während sie von ihrer Kindheit erzählt. «Alles war sehr rustikal», sagt sie. «Es gab keine Strassen, keine Ärzte, keine ausgebildeten Lehrer. Weil der Schulweg durch einen krokodilverseuchten Fluss führte, bezahlte mein Vater ein Mädchen aus dem Dorf, das uns Lesen und Schreiben beibrachte.»

Besuch in Granada, eines der Highlights einer Nicaragua-Reise.

Das soziale Leben fand am See statt, an dem die Familien gemeinsam fischen gingen. Sie mussten dabei auf der Hut vor Kaimanen sein: «Einmal hatte ein Krokodil einen Jungen am Fuss gepackt, um ihn ins Wasser ziehen», sagt Maria Ignacio, «und wir zogen an den Armen, bis uns ein Mann zu Hilfe kam und ihn rettete.»

Bei einer Rundfahrt um den Vulkan Concepción hat man den Eindruck einer Zeitreise: Eingeschossige bunte Häuser säumen die Hauptstrasse, knorrige Bäume und Buden, in denen das Nötigste für das tägliche Leben verkauft wird. Aus üppigen Gärten wuchern Blüten über die Zäune, Schweine tummeln sich in den Wiesen. Erst vor zehn Jahren hat man die erste Strasse asphaltiert, seit vergangenem Jahr gibt es Telefon und Strom über ein Unterwasserkabel.

Abends wartet am Fährhafen «Che Guevara». Klapprige Pick-ups und Laster voller Bananen rattern über hölzerne Bohlen in den Bauch der Fähre mit dem legendären Namen. Das Bild des Revolutionärs ziert das Führerhaus. Gemächlich stampft das Schiff in Richtung Festland, während die letzten Sonnenstrahlen den Vulkan Concepción in ihr Licht tauchen. Beinahe, als würde er wieder in Flammen stehen.