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Im Cuyabeno Wildlife Reservat sind 560 Vogelarten, 60 Orchideenarten und 350 Fischarten zu Hause. Bilder: Fotolia

Vulkane, Götter und der grosse Regen

Jutta Lemcke

Wer durch den Cuyabeno-Regenwald in Ecuador streift, der braucht Mut und knöchelhohe Schuhe – wegen Piranhas, Kaimanen und Taranteln.

Der Regen kommt plötzlich. Erst ist da dieses Rauschen in den bis zu 45 Metern hohen Kapokbäumen. Das Zirpen, Summen und Pfeifen des Urwalds verstummt. Dann schüttet es auch schon wie aus Kübeln. «Kurt», klingt es kläglich aus der Gruppe, «können wir uns irgendwo unterstellen?» Reiseführer Kurt Beate ignoriert die Frage und erzählt weiter von Tapiren, Anakondas und Taranteln, die er liebevoll «Tarancitas» nennt. Er zeigt auf gigantische Wurzeln von lianenbedeckten Urwaldriesen, pflückt kleine purpurrote Achiote-Samen und sammelt stachelige «Affenkämme» vom Boden auf.

«Wir sind ja schliesslich im Regenwald», erklärt ein Reiseteilnehmer und zieht die Jacke aus, die der prasselnden Dschungeldusche sowieso nicht standhält. Die anderen machen es ihm nach und nutzen ihre Capes zum Schutz der Rucksäcke. Im warmen Regen geht es durch den Dschungel, vorbei an tropfenden Farnen und nass glänzenden Kakaobaumblättern, unter herabhängenden Papageienblumen, durch gurgelnde Bäche und schlammige Furten.

Rio Cuyabeno und Rio Aguarico: touristisch noch wenig berührt

«Hier im Cuyabeno Wildlife Reservat sind allein 560 Vogelarten, 60 Orchideenarten und 350 Fischarten zu Hause», doziert Kurt Beate. Das Naturschutzgebiet im Amazonas-Tiefland, dem «Oriente», mit den Hauptflüssen Rio Cuyabeno und Rio Aguarico ist touristisch noch wenig berührt und ein Paradies für Naturliebhaber. Brüllaffen turnen in den Bäumen, in den Flüssen tummeln sich weisse und schwarze Kaimane, Süsswasserdelfine und Schildkröten. Vor allem Vogelfreunde geraten in Verzückung, wenn Kolibris, Regenschirmvögel, Hoatzin-Hühner oder blauköpfigen Papageien zwischen den Wipfeln umherfliegen.

Der Naturpark lässt sich bequem auf dem Wasserweg erkunden. Gemächlich gleiten die Einbäume auf den stillen Flüssen dahin, die hier im Grenzland zu Kolumbien ein unergründliches Labyrinth bilden und irgendwann im grossen Strom des Amazonas enden. Das Reservat wurde 1979 auf Drängen von Naturschützern eingerichtet, um das Gebiet vor dem Zugriff der internationalen Ölfirmen zu bewahren, die im Oriente nach dem schwarzen Gold bohren.

Brüllaffen turnen in den Bäumen – und schreien.

«Wollt ihr baden?», fragt Kurt Beate und schaut in die Runde. Wilde Tiere? Gefährliche Fische? Eklige Insekten? Stumme Fragen hängen in der Luft. Kurt wiegelt ab: «Kaimane schlafen am Tag, Anakondas habe ich schon lange nicht mehr gesehen und die Piranhas sind sowieso faul.» Die ersten Teilnehmer schlüpfen aus den Kleidern und knöchelhohen Schuhen, die dem Schutz vor dem Biss fieser Kleintiere dienten. Sie hüpfen in die Fluten, die hier undurchdringlich dunkel sind. «Tanninhaltig», erklärt Kurt Beate. Tatsächlich ist das Bad im Cuyabeno-Fluss ein herrliches Vergnügen. Hoch oben wächst der Regenwald zu einem Blätterdach zusammen, Sonnenstrahlen glitzern auf dem Wasser, Vögel und Insekten liefern ein Dauerkonzert. Wenn dann noch ein blassblauer Morphofalter dicht über dem Wasser dahin schwebt, sind sich alle einig: Das ist jetzt wohl das Paradies.

Noch viel wäre vom Regenwald zu erzählen, von den Tukanen, den Kaimanen, deren Augen nachts rot funkeln, den Frauen, die im Rio Aguarico ihre Wäsche waschen, den Schamanen und den Nächten unter Palmenblätterdächern – doch die Reise geht weiter: zurück mit dem Einbaum zur «Brücke am Cuyabeno», mit dem klapprigen Bus zum Provinznest Lago Agrio und dem Flugzeug nach Quito, der unter Unesco-Denkmalschutz stehenden Hauptstadt des Landes.

Auf der Plaza de la Independencia

Ein geradezu dramatischer Blick auf die Stadt bietet sich vom Hausvulkan Pichincha. Umgeben von schneebedeckten Bergriesen liegt die Millionen-Metropole malerisch in den Tälern Valle de Tumbaco und Valle de los Chillos. Mit der Lage auf 2850 Metern Höhe ist Quito nach La Paz der zweithöchste Regierungssitz der Welt. Doch um den Charme der «Krone der Anden» zu erleben, muss man in das Gassengewirr der kolonialen Altstadt eintauchen, muss über die Plazas schlendern und die barocken Kirchen besuchen.

Schuhputzer, Losverkäufer, Limonadenhändler, Grossfamilien mit Kindern, Geschäftsmänner mit Handys, elegante Damen mit Einkaufstüten – alle tummeln sich am Nachmittag auf der Plaza de la Independencia, der blumengeschmückten Empfangshalle Quitos. Eine bunte Bühne vor prächtiger Kulisse: Rathaus, Regierungspalast und Grosse Kathedrale – all diese schmucken Denkmäler von symbolischem Wert säumen das «Herz der Stadt». Das gesamte alte Viertel Quitos ist ein koloniales Kleinod. Gerade hat man noch staunend vor dem mit sieben Tonnen Blattgold verzierten Hauptaltar der Jesuitenkirche La Compania gestanden, da locken schon die prächtigen Kirchen El Sagrario mit den wuchtigen barocken Säulen und La Catédral, in deren Katakomben die sterblichen Überreste des 1875 ermordeten Präsidenten Garcia Moreno begraben liegen.

Doch dann lockt wieder die Natur. Es geht gen Süden auf der Panamericana, der berühmten Strasse der Vulkane. Wie gewaltige Tempel erheben sich die Bergriesen mehr als 6000 Meter hoch in den Himmel. Auf den Gipfeln, so heisst es, hausen die Götter. Man glaubt es gerne. Meist verhüllen tropische Wolken die Berggiganten, die sich wie ein Rückgrat durch das kleine Ecuador ziehen. Mal schüttet vom Himmel ein so heftiger Regen, dass die Andenerde von den Hängen in die Täler rauscht, dann wieder nieselt es sanft und ein leuchtender Regenbogen spannt sich vor den schneebedeckten Kordilleren.

Zu Füssen des Vulkans

Nur wenige Autostunden von Quito entfernt thront der Cotopaxi, mit 5897 Metern der höchste aktive Vulkan der Erde. Über eine staubige Piste geht es auf die 4000 Meter hohe Ebene unterhalb des «sanften Nacken des Mondes». Dort, zu Füssen des Vulkans, liegt der See Laguna de Limpiopungo. Das Gebirgspanorama ist überwältigend. Wenn die Wildpferde über das Feld preschen, Stiere am Horizont vorbeiziehen und oben in den Lüften ein Bussard kreist, ist das Naturerlebnis perfekt.

An der Strasse der Vulkane, die ihren Namen dem Entdecker Alexander von Humboldt verdankt, reihen sich rund 20 rauchende Riesen aneinander. Zu ihren Füssen liegen die wichtigsten Andenstädtchen des Landes. Da gilt es, die Märkte in Latacunga oder Guamote zu besuchen, in den Restaurants und Garküchen am Strassenrand das traditionelle Essen zu kosten oder mit dem Zug über eine abenteuerlich steile Strecke mit dem Namen «Teufelsnase» zu ruckeln. Wer dann noch Zeit hat, den reizt vielleicht ein Abstecher nach Guayaquil, in die größte Stadt des Landes, die für ihr ausschweifendes Nachtleben bekannt ist. Oder die Reise geht an die Pazifikküste mit den Bananenplantagen, Fischerdörfern und Palmenstränden. Vielleicht lockt sogar ein Trip auf die zu Ecuador gehörenden Galapagos-Inseln mit der urzeitlichen Tierwelt – doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte.