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Rajasthan wartet mit vielen Farben auf: Der Wüstenort Jaisalmer leuchtet golden. Bilder: Christian Bauer

Im Land der Märchen und Könige

Christian Bauer, Tasari Atelier

Rajasthan ist Indiens farbenfrohster Bundesstaat. Eine Reise in ein Land, so wundersam wie ein orientalisches Märchen. Zu luxuriösen Palästen, bunten Städten, drolligen Kamelen und heiligen Kühen. Und zu stolzen und herzensguten Menschen.

Indien ist bunt – knallbunt. Es scheint, als hätte die Farbpalette hier einige Schattierungen mehr im Sortiment. Häuser und Lastwagen, Kühe, Esel und Ziegen sind grell verziert. Die schönsten Farbtupfer im Alltag sind jedoch die Frauen in ihren knalligen Saris, die typischen Wickeltücher – manchmal erscheint das Leben hier wie ein Malkasten.

Unterwegs sind wir im Bundesstaat Rajasthan, der kunterbuntesten Region Indiens und das touristische Topziel des Subkontinents. Der Staat im Nordwesten (70 Millionen Einwohner, 9x mal grösser als die Schweiz) bietet dem Reisenden ein Indien im Miniaturformat: märchenhafte Palastanlagen, vibrierende Feste und eine Naturvielfalt vom Dschungel bis zu den Sanddünen der Wüste Thar.

Rajasthan begnügt sich aber nicht mit der Farbigkeit seiner Bewohner, hier leuchten selbst die Städte. Die Altstadt von Jaipur schimmert lachsfarben, der Wüstenort Jaisalmer golden und die Karawanenstadt Bikaner dunkelrot.

Das Pop-Art-Highlight allerdings ist die Stadt Jodhpur. Beim Blick vom Merangarh Fort meint man, das Meer brande an den Burgberg. Eine Unzahl blauer Häuser schwimmt im einheitlichen Rot der Landschaft. Rajasthan ist Hochleistungssport für die Sinne - vor allem für die Ohren. Hier ist die Hupe die Verlängerung des Gaspedals – und jeder macht nach Herzenslust davon Gebrauch.

Der Besuch eines Tempelfests ist ein Highlight

Ebenso laut geht es in Tempeln und bei den unzähligen religiösen Festen zu. Da scheppert Musik aus Karren, dahinter tanzt eine Menschenmenge durch die Strassen: Zürcher Street Parade im Kleinformat. Doch hier geht es nicht um Party, sondern um die Verehrung eines Gottes.

In Jodhpur erleben wir das Fest für den Heldengott Rama – einer von unglaublichen 33 Millionen Gottheiten des hinduistischen Kosmos. Zu seinen Ehren werden auf einem Feld riesige Pappfiguren verbrannt. Uns lotst man zu den wenigen Stühlen im VIP-Bereich, ein Bonus für die einzigen Touristen in einer bebenden Masse zehntausender Inder. Doch nicht für jeden der VIPs hat es einen Platz, schon bald drängen sich mehrere Menschen auf einem Stuhl. Da werden auch wir nicht ausgenommen. Kaum, dass wir uns versehen, setzt uns eine indische Mama ihr Baby auf den Schoss. «Where are you from?» Gefühlte 1000 Mal müssen wir die Frage beantworten – und ebenso oft für ein Handyfoto posieren.

Dann plötzlich macht das Chaos eine ehrerbietige Pause: Der Maharadscha von Jodhpur verlässt die Menge. Maharadschas sind Regionalfürsten, die bis in die 50er Jahre über ihre Territorien wie Märchenkönige herrschten. Nach der Gründung des indischen Staates 1949 verloren sie zusehends ihre Macht, werden vom Volk aber weiterhin innig verehrt. Ihre Burgen und Paläste sind Publikumsmagnete für ausländische und indische Besucher gleichermassen. Kein Wunder, heisst doch Rajasthan «Land der Könige». Hier sind die Zeiten von Luxus, Harems, festlichen Gelagen und unbeugsamen Stolz noch lebendig – und manchmal fühlt man sich als Tourist selbst wie ein Märchenkönig.

Schlafen wie ein Maharadscha

Bei der Ankunft regnet es Rosen, ein ganzer Hofstaat von Dienern, Kofferträgern und der Hotel Manager persönlich erwarten uns. «Namaste. Please feel like a Maharadscha», begrüsst man uns. Wir sollen uns fühlen wie Könige. Nichts leichter als das im Laxmi Niwas Palast in der Stadt Bikaner. Der Palast aus dem Jahr 1904 war einst das Zuhause des Maharadschas Ganga Singh und wurde mittlerweile in ein Luxushotel umgewandelt. Viele der ehemaligen Paläste in Rajasthan wurden nach der Machtenthebung der Lokalkönige zu Hotels und garantieren somit den Fortbestand der teuren Immobilien.

Wir fühlen uns zurückversetzt in eine vergangene Zeit. Und mit etwas Fantasie meint man, ein König zu sein. Unser Gemach war einst das Prinzessinnenzimmer. Ausgeschmückt ist der grosse Raum mit originalen Fresken, tausenden Spiegelelementen und goldverzierten Stuckaturen. Auf den Weg zum Abendessen fängt uns der Hotel Manager ab. «Der Maharadscha kann Sie heute leider nicht begrüssen, aber er lädt Sie zu einem kleinen Imbiss ein.»

Der kleine Imbiss entpuppt sich als romantisches Candle-Light-Dinner in einem Séparée. Der grün-goldene Saal wird von unzähligen Kerzen beleuchtet, der Tisch ist mit Rosenblüten gedeckt. Diener lesen uns jeden Wunsch von den Augen ab. Wunderlicherweise füllen sich Gläser und Teller wie von Geisterhand. In der Küche werden herrliche indische Gerichte gezaubert, als Hauptgericht wird ein Royal Rajasthan Thali serviert: ein Mix aus dem Besten der lokalen Küche.

Am Morgen weckt uns ein Flötenspieler, der im Innenhof, seine Weisen spielt. Wundersame Wesen haben über Nacht vor der Zimmertüre einen Blumenteppich ausgelegt. Geschmückt ist der Palast noch mit den Errungenschaften von einst. Im Billardzimmer hängen die Jagdtrophäen des Maharadschas: Löwen aus Afrika und Tiger aus Indien. Und im Fuhrpark rosten Oldtimer aus den 20er-Jahren vor sich hin.

Letztere kurven zum Glück heute nicht mehr über Indiens Strassen, ein Adrenalinkick ist Autofahren in Indien allemal. Eine Autobahn ist nur für Autos da? Wohl kaum: Ein Bauer trottet mit seiner Wasserbüffelherde seelenruhig auf der Überholspur, Ziegenherden, Kamelkarren, Frauen mit Wasserkrügen, Tuktuks – alle teilen sich den Platz.

Und wenn mal Stau ist? Dann fährt man als Geisterfahrer auf dem Standstreifen der Gegenfahrbahn. «Ist es nicht gefährlich?», will ich von Fahrer Rakesh wissen. «Weisst du», erklärt er in hinduistischer Gelassenheit. «In Indien braucht man drei Dinge beim Autofahren: eine gute Bremse, eine gute Hupe und Glück.»

Eine gehörige Portion Glück haben wir denn auch, als uns ein TukTuk-Fahrer durch Jaipurs Verkehrschaos chauffiert. Kaum geht es los, schaltet er die blinkende Partybeleuchtung ein und dreht die Musik auf. Wir rasen durch die Nacht und der amerikanische Rapper Macklemore dröhnt: «This is fucking awesome.»