Here & There

Mitten in der mediterranen Buschlandschaft Korsikas – es ist die Immortelle, die diesen lieblichen Duft versprüht. Bilder: Silvia Schaub

Eine Insel mit betörendem Duft

Silvia Schaub

Schön ist es an Korsikas Stränden. Doch richtig ab gehts unterwegs auf dieser Insel: sportlich zu Fuss und mit dem Bike, gemächlich per Boot, im Mietwagen oder im Train de Plages.

Es gibt Orte auf dieser Welt, die erkennt man an ihrem Duft. Lieblich, mit einer leichten Süsse und doch würzig, fast wie Curry – so riecht Korsika. Es ist die Immortelle, die diesen betörenden Duft versprüht. Aber nicht nur sie. In der immergrünen Macchie, dieser mediterranen Buschlandschaft, die sich über die Hügel der ganzen Insel zieht, wachsen noch andere feinriechende Pflanzen wie Salbei, Eukalyptus oder Myrte. Schliesslich meinte schon der berühmteste Einwohner der Insel Napoleon Bonaparte: «Meine Heimat würde ich blind erkennen, nur an ihren Gerüchen.»

Uns geht es bald ebenso. Auf der Autofahrt von Calvi Richtung L’Ile Rousse hängt er schon in der Luft, dieser liebliche Duft. Entlang der Küste brausen wir auf das kleine Städtchen zu, das seinen Namen den rotgefärbten Porphyrfelsen vor der Hafeneinfahrt verdankt. Wir bekommen einen ersten Eindruck von der traumhaften Landschaft – einsame Strände, das Meerwasser türkisfarben, die Dörfchen malerisch und als Kulisse dahinter die eindrückliche Bergwelt. Über 120 Zweitausender bietet die Insel und wird deshalb auch als Insel zwischen Meer und Bergen bezeichnet – tra mare e monte. Der höchste Berg ist mit 2700 Metern der Monte Cinto, den wir mit seiner noch Schnee bedeckten Spitze von weitem sehen.

Noch ist Vorsaison und in L’Ile Rousse sind die Einheimischen weitgehend unter sich. Sie frönen auf dem von Platanen beschatteten Place Pasquale Paoli ihrem Hobby: Autorennfahren. Motoren heulen auf und quietschen um die Kurven. Doch: Es sind keine Formel 1-Boliden, sondern ferngesteuerte Spielzeug-Autos. Ein Spektakel für die Piloten – und fürs Publikum.

Das Städtchen hat man schnell gesehen, also geht es zurück nach Calvi – mit dem TGV. Diese Abkürzung steht hier nicht für den Highspeed-Zug, sondern für «Train à grande vibration». Fürwahr der Train des Plages ist ein Schüttelbecher, noch dazu ein Stehzug (ohne Sitzplätze!), dafür bringt er die Benutzer auch an abgelegene Strände, wo man selbst in der Hochsaison noch Platz findet.

Unsere Basisstation befindet sich etwas ausserhalb von Calvi: im Feriendorf «Zum störrischen Esel» in einer 7 Hektaren grossen Anlage mit vielen schattenspendenden Bäumen. Es bietet einfache, aber saubere Unterkünfte in verschiedenen Kategorien – von Wohnzelten bis Chalets. Wanderführer Wolfgang nimmt uns am nächsten Tag mit zum Aussichtspunkt Notre-Dame de la Serra, wo man einen herrlichen Ausblick auf die Bucht von Calvi geniesst. Denn, so heisst es: Die wahre Schönheit der Ile de beauté erfahre man zu Fuss. Also wandern wir auf verschlungenen Pfaden zum Leuchtturm auf der Halbinsel Revellata, unter uns die Italienerbucht mit dem In-Restaurant Mar a Beach. Und da ist er wieder, dieser Korsika-Duft. Kakteen aller Art säumen den Weg, Zistrosen in Gelb und Lila, Federgras, Schopflavendel, Euphorbien und natürlich Immortelle, an der wir uns kaum satt riechen können.

Unten am Hafen wartet bereits Mickaël Villain mit seinem motorisierten Gummiboot. Wir tuckern der Küste entlang; geschickt steuert er das Boot zwischen den Felsen hindurch. Eigentlich ist hier keine Durchfahrt erlaubt, aber weil sein Vater hier das Fischrecht hat, macht Mickaël für uns eine Ausnahme. Eindrücklich die Insel auch mal vom Meer aus zu betrachten – vor allem als wir Richtung Calvi zusteuern und vorbei an der imposanten Zitadelle in den Hafen einlaufen. Hier reiht sich ein Restaurant ans andere. Unser knurrender Bauch wird alsbald mit einem frischen Fischgericht zur Ruhe gebracht.

Auch auf zwei Rädern lässt sich die Insel bestens erkunden. Allerdings muss man damit rechnen, zumindest teilweise auf der Küstenstrasse fahren zu müssen. Man kann an vielen Orten Bikes und E-Bikes mieten und individuell oder mit Guides auf Touren gehen. Unsere Gruppe schlägt den Weg Richtung Norden ein, der zum Weingut Clos Culombu führt. Schliesslich braucht man nach der Anstrengung auch eine Belohnung.

Am nächste Tag wollen wir es bequemer und fahren mit dem Mietauto ins Landesinnere ins Fangotal. Unser Guide Wolfgang hält plötzlich an – inmitten eines gigantischen Immortelle-Feldes. Was für ein Gefühl! Hier werden die Pflanzen für das Kosmetikunternehmen L’Occitane angebaut, erklärt er uns. Ganz hinten im Tal in Tuarelli, wo kaum eine Seele hinkommt, besuchen wir Anaïs Ohl, die hier mit ihrem Mann Guillaume einen Hof mit 200 Ziegen führt. Die Ziegen mit ihrem langen Fell und den bunt gemischten Farben bekommen wir leider nicht zu Gesicht. «Sie sind irgendwo in den Bergen und werden wohl erst wieder am Abend auftauchen», meint die studierte Agronomin lachend. Sie steht in ihrer Métairie und zeigt uns, wie sie den typischen korsischen Käse Brocciu herstellt. Während wir sie mit Fragen löchern, formt sie gekonnt Käsebällchen und füllt sie in kleine Gitterkörbe, damit die restliche Flüssigkeit abfliessen kann. Natürlich dürfen wir den köstlichen Brocchiu auch degustieren.

Apropos korsische Spezialitäten: Die Insel ist ein wahres Paradies für Freunde der einfachen, authentischen Küche. Ein Ragout Corse mit Macchie-Kräutern gewürzt muss man unbedingt kosten, dazu ein Pietra, das lokale Kastanienbier. Aber auch hauchdünn geschnittenes Fleisch der einheimischen halbwilden Schweine gehört zu einem traditionellen Essen, und dann natürlich der Brocchiu, den man auch gesüsst und überbacken als Dessert geniessen kann. Zur Verdauung greifen die Korsen gerne zu einem Schnaps oder Likör aus Myrte.

Wir fahren nun weiter durch das Réserve de Biosphère de la Valléee du Fango. Kurvenreich schlängelt sich die Strasse hinauf. Wie verblüfft sind wir, als auf dem Col de Palmarella die Tafel gerade mal 405 Meter angibt. Aber das wird uns noch einige Male so gehen auf dem Weg nach Ajaccio. Immer wieder geht die Strasse bergan, gibt wunderbare Aussichten aufs Meer frei – und dann muss man wieder ganz runter bis ans Meer. In der Schweiz hätte man diese Strecken wohl überall mit Tunnels oder Brücken verkürzt.

Dann, südlich von Porto, erwartet uns ein absolutes Highlight: die Calanche. Diese bizarre Felsenlandschaft aus rötlichem Granit wurde zusammen mit der Girolata-Bucht, der Bucht von Porto und dem Naturpark La Scandola 1983 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Kein Wunder stehen wir in dieser Wildnis plötzlich im Stau. Nicht nur weil die Strasse durch die Felsenformation schmal ist, sondern vor allem, weil die Auto- und Motorradfahrer mitten auf der Strasse anhalten, um Fotos zu knipsen.

Perfekte Fotosujets gibt es noch einige Male. Etwa im Dörfchen Cargèse mit den zwei Kirchen und natürlich in der Hauptstadt Ajaccio. Man sollte sich unbedingt Zeit nehmen, um durch die Innenstadt zu flanieren. Lädelen kann man hier perfekt auf der Rue du Cardinal Fesch und findet nicht nur die international bekannten Labels, sondern auch viele kleine Boutiquen. Besonders charmant ist der Markt auf der Place Foch. Und natürlich kommt man auch hier in seiner Geburtsstadt nicht um Napoléon I. herum.

Noch viel stolzer sind die Korsen aber auf Pasquale Paoli, den korsischen Revolutionär und Widerstandskämpfer, der hier ebenfalls omnipräsent ist. Er hat Korsika eine demokratische Verfassung gegeben, die einzige Universität in Corte gegründet und 1762 die Flagge der Insel mit dem «Mohr» mit Stirnband eingeführt. Noch heute fühlen sich die Korsinnen und Korsen Paoli verbunden. Wie etwa die Taxifahrerin Marie, die uns verrät, wie die Korsen ticken. Auf die Frage, was sie bei den Präsidentschaftswahlen abgestimmt habe, meint sie vehement: «Ich habe gar nicht gewählt. Ach, diese Politiker auf dem Festland, die machen ohnehin, was sie wollen – aber wir auch.»

(Die Reise wurde unterstützt von Rhomberg Reisen)