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Über acht Kilometer führt der «sentiero degli dei» vom Bergstädtchen Bomerano hinab nach Positano. Bilder: SRT

Auf dem schönsten Wanderweg Italiens

Fabian von Poser

Der «Weg der Götter» hoch über der Amalfiküste ist zwar kein Geheimtipp mehr. Doch er ist und bleibt ein atemberaubendes Wandererlebnis.

Als Gott muss man seine helle Freude daran haben, jeden Morgen hier oben aufzuwachen. Morgentau perlt von den Feldblumen. Beinahe senkrecht stürzen sich die Monti Lattari, die Milchberge, ins Himmelblau des Tyrrhenischen Meeres. Handtuchgrosse Äcker klammern sich an die Felsen. Ein alter Mann mit Haut aus Schmirgelpapier, er muss mindestens 70 sein, treibt seine Ziegen auf dem steilen Pfad vor sich her. Seine Weidegründe orientieren sich himmelwärts.

Der Tag ist jung, als wir zu einer der schönsten Wanderungen Italiens aufbrechen. Gerade mal acht Kilometer führt der Sentiero degli dei, der «Weg der Götter», teils als formidabler Wanderweg, teils als kaum zwei Meter breiter Pfad vom Bergstädtchen Bomerano hinab nach Positano. Die Amalfiküste ist nicht als einsame Region bekannt. Im Sommer drängen sich auf den engen Strassen von Amalfi, Ravello, Praiano und Positano die Menschenmassen. Doch hier oben herrscht selbst in der Hochsaison himmlische Ruhe.

Götter suchten die Sirenen

Der Legende nach hat der Weg der Götter seinen Namen, weil die Götter, die zu den Sirenen wollten, einst diesen Weg zum Wasser wählten. Wer der Legende nicht traut, der kann sich selbst von der Einmaligkeit überzeugen, denn es sind unfassbare Ausblicke auf das Tyrrhenische Meer und den Golf von Salerno, die sich von hier oben bieten. Die Augen kreisen über dramatische Faltenwürfe, steile Klippen und ewiges Blau. Unvermittelt öffnen sich in der Tiefe kleine Strandbuchten, Villen kleben an den Felsen. Es duftet abwechselnd nach Zitrone, Rosmarin und Thymian.

Der Weg der Götter windet sich in stattlicher Höhe entlang der Steilküste von Amalfi. Und es sind Orte mit Geschichte, über deren Dächern man sich bewegt: Vor 1000 Jahren war das berühmte Städtchen Amalfi eine mächtige Seerepublik, gleichberechtigt mit Venedig. Seit mehr als 200 Jahren ist die Amalfiküste das Ziel von Komponisten und Künstlern. 1880 komponierte Richard Wagner in der Villa Rufulo in Ravello «Klingsors Zaubergarten» seiner Oper Parsifal. William Turner zeichnete dort einige seiner berühmten Seebilder. 

Doch man sollte schwindelfrei sein, um die irrwitzigen Ausblicke zu geniessen. Der Maler Paul Klee schrieb einst über die Amalfiküste: «Dieser Ort ist der einzige der Welt, der auf der Vertikalen angelegt ist statt auf der Horizontalen.» Und tatsächlich: Die Hänge am Weg der Götter sind so steil, dass hier kein Auto fahren kann. Jeder Ziegelstein, jede Dachschindel muss hier seit Jahrhunderten von Eseln hochgetragen werden. Jede Weinrebe, jede Zitrone auf Eselsrücken gen Tal.

1700 Stufen bis Positano

Wer von Bomerano aus startet und den Weg abwärts schreitet, der findet keinen Cappuccino, kein Peroni-Bier auf dem Weg. Bis zu Giulio Fusco. Nach drei Stunden Fussmarsch thront Fuscos «Kiosk of the path of the gods» am Rande von Nocelle wie ein Geschenk der Götter über dem Meer. In dem reich dekorierten Verschlag servieren Fusco und seine Frau Valentina selbstgemachte Zitronenlimonade und ein göttliches Jausenbrett mit geräuchertem Schinken, hausgemachter Salami, Schafskäse und frischen Kräutern. Steht es leuchtend auf dem Tisch, ist der Himmel nicht mehr fern.

Von Fuscos «Götterstube» in Nocelle sind es noch 1700 Stufen hinunter bis nach Positano. Der Blick ist trotz des mühevollen Abstiegs ein Gedicht. Hinter jeder Biegung eröffnen sich neue Ansichten der Küste. Irgendwo am Horizont liegen die Inseln Capri mit den Faraglioni-Felsen und Ischia im Meer. Dann wieder zeigt sich Positano in voller Pracht.

Wie Bienenwaben schmiegen sich die Häuser an den Fels, davor Dutzende Ausflugsboote im Himmelblau. Mit jedem Schritt wird die Farbe intensiver, bis man nach vier Stunden Fussmarsch an der sanft geschwungenen Bucht von Positano steht. Von wegen dolce far niente. An keinem anderen Ort der Amalfi-Küste ist es so süss, etwas zu tun, wie auf dem Weg der Götter.