Here & There

In der Altstadt von Gjirokastra. Bild: Albanisches Fremdenverkehsbüro

Ein Souvenir aus der Steinernen Stadt

Angela Böhm

Albanien öffnet sich immer mehr für westliche Besucher. Die können über die Geheimnisse der kommunistischen Welt nur staunen.

Sie hat es geschafft. Seit drei Jahren ist Jona Dhrami Unternehmerin. Die 28-Jährige hat einen eigenen, kleinen Laden. An dem müssen alle vorbei. Fünf steile, gepflasterte Gassen treffen sternförmig vor ihrem Geschäft zusammen. Qafe, den Nacken des Basars, nennen sie diesen Platz am Fusse der mächtigen Festung mit ihren gewaltigen Mauern hoch über dem riesigen Flusstal des Drinos.

Wie kleine Trutzburgen kleben am Fels Häuser, deren spitze Giebel unter schweren Steinplatten ächzen. Dort, wo Jona den ganzen Tag steht und Souvenirs verkauft, ist das Zentrum der "Steinernen Stadt". Seit die Unesco 2005 Gjirokastra zum Weltkulturerbe erklärt hat, kommen immer mehr Touristen in den südalbanischen Ort. Jonas Mutter fing vor fünf Jahren als erste damit an, gegenüber auf der anderen Strassenseite. Während der Diktatur der Kommunisten war sie Verkäuferin in dem Laden, der die Altstadt versorgte. Nach der Wende übernahm sie ihn. Nun haben Mutter und Tochter am Qafe ein Andenken-Monopol. 

"Es war dies eine seltsame Stadt, die anmutet, als sei sie in der Winternacht wie ein vorzeitliches Wesen plötzlich im Tal aufgetaucht und habe dann unter grossen Mühen emporklimmend, sich an den Abhang des Berges geschmiegt." So beschreibt der albanische Schriftsteller Ismail Kadare, der immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wird, seinen Geburtsort in seinem berühmtesten Roman "Chronik in Stein".

In einem solchen Haus am Hang des Mali i Gjerë-Berges erblickte auch Enver Hoxha das Licht der Welt. Inzwischen ist es ein Museum, das Einblicke in eine vergangene grossbürgerliche Welt gibt: die Zimmer verziert mit geschnitzten Holzdecken über mit weissem Batist und Häkelbordüre bezogenen Sofas. "Hoch lebe das Werk von Enver Hoxha", haben Unverbesserliche an die Steinwand neben dem Haus mit roter Farbe geschmiert. Die lässt sich nicht mehr wegschrubben.

Aus dem Knaben Enver mit dem albanischen Allerweltsnamen Hoxha war ein übermächtiger kommunistischer Diktator geworden, der das kleine Balkanland fast ein halbes Jahrhundert vom Rest der Welt isolierte. Selbst mit den kommunistischen Bruderländern brach er, fürchtete am Ende sogar von ihnen Gefahr. Paranoid plante er 700'000 Bunker. Jeder der knapp drei Millionen Albaner sollte darin sein Land verteidigen. Wie viele am Ende gebaut wurden, kann niemand sagen. Unverwüstlich stehen sie nun mit ihren Schiessscharten in der Landschaft.

"Sie sind die Nummer eins unter den Souvenirs", zeigt Jona Dhrami stolz ihr Sortiment an Bunkern in allen Grössen, die sich als versteckte Aschenbecher entpuppen. Die Relikte aus dem "Kalten Krieg" sollen Touristen aus aller Welt nach Albanien locken. Denn Millionen von Menschen zieht es in ihrem Urlaub an Orte des historischen Schreckens.

Der geheime Diktatoren-Bunker

"Wir setzen auf dunklen Tourismus", sagt Milva Ekonomi, die Ministerin für Wirtschaftsentwicklung, Tourismus, Handel und Unternehmen. In der Hauptstadt Tirana, rund 230 Kilometer nördlich von Gjirokastra, öffnete die Regierung 2014 die Türen zum geheimen Diktatoren-Bunker von Enver Hoxha. Fünf Etagen hatte er in den Berg graben lassen: 106 Zimmer, Sitzungsraum, Kino und Privatgemächer. In denen sollten seine Familie und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Schutz vor einem Atomangriff finden. "Bunk'Art" heisst das Projekt.

In der Stadtmitte, zwischen der alten Moschee und dem Innenministerium, wird derzeit ein weiterer Bunker restauriert: 1000 Quadratmeter gross, mit Bunkerbüros, Schlafsälen und einer holzvertäfelten Suite für den Innenminister. An der schnurgeraden Prachtstrasse, auf deren breiten Gehsteigen die Albaner abends auf und ab flanieren, erinnert ein Mahnmal an die dunkle Zeit des Kommunismus: Ein Mini-Bunker für zwei, eingerahmt von einem Stück Berliner Mauer und dem Eingangstor zu einem der schlimmsten politischen Gefängnisse Albaniens.

Gleich dahinter funkelt das "Blloku". "Der Block" nennen sie das Stadtviertel in dem einst die kommunistische Elite in Villen mit Pool wohnte. Nun reihen sich dort hippe Bars, Clubs und Restaurants aneinander, so wie in Berlin, Hamburg oder München. Luxuslimousinen drängen sich in den Strassen.

Albanien, das einstige Armenhaus Europas, steht auf der Schwelle zum Club der aufstrebenden Länder. Seit 2014 ist es offizieller Beitrittskandidat der EU. 2015 wurde es von Deutschland zum sicheren Herkunftsland erklärt. Dennoch will die Hälfte der Jugend noch immer weg, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Das macht Jona Dhrami wütend. Fuchtelnd steht sie mitten auf dem Qafe in Gjirokastra und zeigt mit beiden Armen auf ihren Kopf. "Hier, in der Mentalität der Jungen muss sich etwas ändern", fordert sie temperamentvoll. "Sie müssen endlich kapieren, dass man mit Touristen Geld verdienen kann und Arbeitsplätze geschaffen werden." An denen mangelt es. Mit dem Fall der Diktatur war die Schuhfabrik unten im Tal geschlossen worden.

Schon an den Schulen versucht Zmira Rami, die neue Bürgermeisterin der "Steinernen Stadt", Überzeugungsarbeit zu leisten, dass die Jugendlichen auch daheim ein gutes Leben haben können: "Wir laden die Schüler ein, dass sie mit den Touristen reden, um zu sehen, wie schön es ist mit ihnen zu arbeiten."

So wie Jona es tut. "Aber es ist wirklich hart", stöhnt die Jungunternehmerin. Im Winter, wenn die Saison vorbei ist, sitzt sie mit ihrer Mutter daheim und häkelt. Manchmal denkt sie dann an die Weltstadt Paris. Dorthin hat es ihre jüngere Schwester Antonila zum Studium gezogen. Nun will Antonila bleiben. Gerade hat sie einen Job bekommen – mit Touristen zwischen Burgen und Prachtbauten im Disneyland Paris.

Weitere Infos: Albanisches Fremdenverkehrsbüro, Gjirokastra