Here & There

Sansibar: Würzig, witzig, wunderbar

Fabian von Poser

Originelle Strandbars, verrückte Restaurants, kleine Boutique-Hotels – die Insel im Indischen Ozean erfindet sich gerade neu.

Und nun zum Hauptgang: Omar Bakar steht da, als habe ihn sein Ausbilder persönlich hier abgestellt. Schwarze Bügelfaltenhose, lilafarbenes Hemd, Perlweissgrinsen. "Oktopus-Salat mit grünem Pfeffer und Lime Juice. Dazu noch etwas Balsamessig und Olivenöl?" Der Kellner sieht aus wie auf eine Fototapete gemalt. Hinter ihm das Stahlblau des Himmels, darunter das Türkis des Indischen Ozeans. "Täglich frisch", sagt er, als er die Teller auf den Tisch balanciert. Doch sagen muss er das gar nicht, denn die Dhaus der Fischer sind am Horizont mit blossem Auge zu erkennen.

Wir sitzen auf einer nur 20 mal 20 Meter grossen Felsinsel mitten im Indischen Ozean. "The Rock" nennen die Betreiber das Restaurant vor der Südostküste Sansibars. Acht Meter hoch erhebt sich das Mini-Eiland aus dem Wasser. Darauf: eine winzige Küche, ein gemauerter Speisesaal, eine Handvoll Tische. Sonst nichts. "Mehr Platz ist nicht", sagt Bakar. Die 150 Meter zur Insel kann man bei Ebbe hinüberlaufen. Bei Flut bringt ein Shuttle-Boot die Gäste vom Land zum Essen. Es gibt nicht viele Restaurants, die so liegen wie The Rock.

The Rock ist eines von jenen jungen, originellen Restaurants, die auf Sansibar wie Pilze aus dem Boden schiessen. Der Boom des Massentourismus in den 1990er-Jahren brachte der autonomen, aber staatsrechtlich zu Tansania gehörenden Insel vor allem eines: Hotelbunker. Die politischen Unruhen nach den Wahlen von 2000 und 2005 verunsicherten viele Urlauber, die chaotischen Wahlen im Herbst 2015 brachten da kaum eine Änderung. Doch langsam erholt sich der Tourismus wieder. Immer mehr Investoren scheinen die Qualität der Quantität vorzuziehen.

Wer aus dem Norden der Insel um den dröhnenden Party-Ort Nungwi oder von den anonymen All-inclusive-Resorts bei Kiwengwa anreist, der empfindet die Südostküste Sansibars als einen Flecken heile Welt. Kleine Boutique-Hotels wie das "Dongwe Ocean View" ziehen sich auf der Michamvi-Halbinsel an der Küste entlang. Der Gast ist umgeben von Puderzuckersand, Palmen, Korallenriffen und türkisfarbenem Meer. Mit ihren noch weitgehend intakten Riffs zählen die Gewässer um Sansibar zu den besten Tauch- und Schnorchel-Spots im Indischen Ozean.

Am Morgen steht Herr Rajab vor der Tür unseres Hotels. "Ich bin ihr Mann für Stonetown", sagt er auf fliessendem Deutsch. Das habe er in der DDR gelernt, als sein Land noch gute Beziehungen zu den sozialistischen Glaubensbrüdern in Europa pflegte, erzählt Rajab. Ein bisschen Geschichte ist auch nicht schlecht, denken wir uns, und steigen in seinen klimatisierten Mahindra. Eine Stunde später stehen wir in der Inselmetropole Stonetown. Von der Anglikanischen Kathedrale, auf deren Grund einst der Sklavenmarkt abgehalten wurde, leitet uns Herr Rajab durch die wuseligen Gassen der Altstadt.

Jahrhundertelang gingen hier Völker aus aller Herren Länder ein und aus: Portugiesen, Engländer, Omanis, Inder. Sie bauten stolze Paläste und Kaufmannshäuser. Heute saugt die Feuchtigkeit alles auf. Geblieben sind ungezählte vergilbte Fassaden, die meisten davon akut vom Verfall bedroht. Selbst Besuchermagneten wie das Alte Fort, das Palastmuseum in der ehemaligen Residenz von Sansibars letztem Sultan und das Haus der Wunder, heute Sitz des Nationalmuseums, verwittern schneller, als man sie renovieren kann.
Die einzigen gepflegten Orte sind die kleinen Hotels und Restaurants, die es auch in der Altstadt in zunehmender Zahl gibt. So wie das "Swahili House" in einem 125 Jahre alten Kaufmannshaus. Nach mehrjähriger Renovierung wurde es 2008 wiedereröffnet. Heute ist es ein zauberhaftes Hotel mit einem Restaurant der Extraklasse.

Im Geburtshaus von Freddie Mercury

Doch zum Essen ist es heute noch zu früh. Deswegen führt uns Rajab zu einem ganz anderen Ort. In einem unscheinbaren weissen Gebäude in der Kenyatta Street soll 1946 Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury, Sänger der Rockgruppe Queen, das Licht der Welt erblickt haben. Jede europäische Grossstadt würde dieses Ereignis gross ausschlachten, ein Denkmal errichten, das Geburtshaus zu einem Pilgerziel machen. Doch nicht auf Sansibar. Nur zwei Schaukästen erinnern an den Sänger.

Als wir nach Mercury fragen, macht der Besitzer des Ladens keinen Hehl daraus, dass er nicht viel von dem einstigen Frontman der Gruppe "Queen" hält. Da geht man im angesagten "Mercurys Restaurant" am Hafen schon offener mit dem Star um. An der Wand hängen Bilder des exzentrischen Sängers, die Toiletten heissen "King" und "Queen". "Viele Leute auf der Insel tun sich schwer mit Homosexuellen", sagt Restaurantleiter Hitesh Gujjar. Kein Wunder, denn 97 Prozent der Bevölkerung Sansibars sind Muslime. Seit 2004 stehen gleichgeschlechtliche Partnerschaften auf der Insel unter Strafe. 


Dass es mit dem Massentourismus in den 1990er-Jahren nicht geklappt hat, sieht man nicht nur als streng gläubiger Muslim, sondern auch als argloser Gast eher als Segen denn als Fluch. Auf der obligaten Tour durch die Gewürzplantagen der Withtatata-Gewürzfarm bei Kizimbani am nächsten Morgen sind wir so gut wie unter uns. Kardamom, Kurkuma, Ingwer, Muskat und grüner Pfeffer umschmeicheln die Geruchsnerven. Guide Mr. Tall weiss nicht nur, wo der Pfeffer wächst, sondern erklärt uns auch, dass immer mehr Küchenchefs auf der Insel einheimische Zutaten verwenden. "Sie finden zurück zu ihren Wurzeln", sagt er. "Viele kommen zum Einkaufen zu uns."


Abends auf der Terrasse des Dongwe Ocean View Hotels können wir uns selbst davon überzeugen. Auf den Tischen flackern die Kerzen, die Sterne funkeln am Firmament. Im Hintergrund rauscht das Meer. Die Kellner tragen orientalisch gewürzte Fischcurrys heran, Huhn mit frischem Ingwer, dazu Kardamom-Reis. Nichts Spektakuläres, aber leicht und lecker. So leicht und lecker wie das neue Sansibar eben.