Trips & Travellers

Der Ostschweizer Paul Wettstein ist seit fünf Jahren Hotelier in Kanada.

Der Kick der Freiheit

Bärbel Schwertfeger

Weil ihm die Schweiz zu eng wurde, kaufte der ehemalige Coop-Einkäufer Paul Wettstein 2011 das Hotel Aurora Inn in der einstigen Goldgräberstadt Dawson City im Norden des Yukon Territory. Bereut hat er es bis heute nicht.

Golden glänzt die gelbe Holzfassade des Aurora Inns in der Abendsonne. Paul Wettstein begrüsst die Gäste im Restaurant seines Hotels, die gerade ein Duo aus Elch- und Bison-Würsten zum Abendessen geniessen. 2011 kaufte der Ostschweizer aus Wallenwil das 20-Zimmer-Hotel in Dawson City im Norden des kanadischen Yukon Territory.

Die Stadt wurde 1896 zu Beginn des legendären Goldrauschs am Klondike River gegründet, bis 1898 wuchs die Zahl der Bewohner auf über 40'000. Heute wohnen hier im Sommer rund 2000 Menschen. Sie leben vor allem vom Tourismus, aber auch von den Goldsucher, die hier noch immer ihr Glück versuchen.

Dabei hat sich die schachbrettartig angelegte Stadt ihren alten Goldgräber-Charme erhalten. Noch immer ist nur die direkt am Fluss gelegene Strasse – die First Avenue – asphaltiert. Der Rest sind breite Staubpisten, an denen Originalgebäude wie Hotels, das Theater, die Post und verschiedene Läden liegen. Einige der Holzgebäude sind liebevoll renoviert, von anderen stehen nur noch die Fassaden, in deren Schaufenstern Schilder auf ihre Geschichte hinweisen. Dawson City ist so etwas wie ein lebendiges Museum mit sieben Hotels.

Menschenleere Weite

Paul Wettstein kam das erste Mal 2007 nach Dawson City. Er übernachtete im Aurora Inn, bevor er mit seiner Familie auf dem Dempster Highway 736 Kilometer Schotterpiste nach Inuvik in den Northern Territories zurücklegte. Das Hotel gehörte damals schon einem Schweizer und Wettstein erfuhr, dass er verkaufen wollte. "Ich habe gut verdient und konnte es mir leisten, sechs Wochen mit der Familie durch Kanada zu reisen", erinnert sich Wettstein, der als Einkäufer bei Coop für Spirituosen und Fruchtsäfte arbeitete. Immer wieder fuhr er in den Ferien nach Kanada und genoss die menschenleere Weite.

Irgendwann wurde es ihm dann zu eng in der Schweiz. 2011 kaufte er das Aurora Inn und zog mit seiner Frau und seinem Sohn nach Dawson City. "Der Kick war die enorme Freiheit und der viele Platz", resümiert er heute. "Hier habe ich ein Haus mit eineinhalb Hektar Land und wenn ich am Sonntag einen Baum fällen will, mache ich das einfach."

Sobald er allerdings mit den kanadischen Behörden zu tun habe, gebe es kaum einen Unterschied zur Schweiz. Das merkte Wettstein, als er eine Arbeitserlaubnis für seinen Koch brauchte. Gutes Personal zu finden, sei überhaupt sehr schwer. Aber er habe Glück und seine Mitarbeiter bleiben länger als eine Saison. Im Sommer beschäftigt er 15, im Winter sind es acht Mitarbeiter. Als eines von nur drei Hotels hat er auch im Winter geöffnet, wenn die Temperaturen auf unter minus 30 Grad sinken, es fast durchgehend dunkel und die Stadt fast leer ist.

"Der erste Winter war die grösste Herausforderung", erinnert sich der 48-Jährige. Da sei er schon mal ins mehr als 500 Kilometer entfernte Whitehorse gefahren, nur um in der Hauptstadt des Yukon in den McDonalds zu gehen. "Man muss einfach aktiv bleiben, sonst dreht man durch", sagt Wettstein. Heute macht er Musik, geht mit Freunden zum Curling oder sie schauen sich gemeinsam "irgendeinen Blödsinn" im Internet an.

Es habe schon zwei bis drei Jahre gedauert, bis man richtig zum Ort gehört, erzählt er. Aber heute geniesse er die starke Gemeinschaft. Vor allem im Winter sei man aufeinander angewiesen. "Wenn da einer nach Whitehorse fährt, bekommt er immer eine lange Liste, was er alles mitbringen soll", sagt der Schweizer. "Das reicht von Lebensmitteln über Autoreifen bis zum Ofen." Auch seine Frau Priska, eine gelernte Dekorateurin hat sich längst eingelebt und hier ihre Liebe zur Fotografie entdeckt.

Mit Nordlicht-Paket

Das Hotel ist profitabel. Von Juni bis September liegt die Belegung bei 93 Prozent, übers Jahr sind es 52 Prozent. Rund die Hälfte der Gäste kommt aus Europa. Inzwischen ist sein Hotel auch bei den grossen Veranstaltern gelistet. Trotzdem versucht er, seine Gästegruppen möglichst breit zu fächern, um nicht von einem Markt abhängig zu sein. Dabei werde auch der Direktverkauf übers Internet immer wichtiger.

Um das Geschäft im Winter anzukurbeln, wenn vor allem Mitarbeiter aus der Regierung oder von den Goldminen im Hotel abstiegen, hat er letztes Jahr erstmals ein Nordlicht-Paket mit dem Northern Lights Resort & Spa in Whitehorse angeboten. "Das gehört Wolfgang und Renate Bublitz aus Lörrach", erzählt er. Vier Tage sind die Gäste in Whitehorse, dann fliegen sie für zwei oder drei Tage nach Dawson City zum Schneeschuh-Wandern oder Nordlicht beobachten.

Aufgaben einfach pragmatisch anpacken – diese für die kanadische Wildnis typische Devise hat sich auch Wettstein längst angeeignet. "Das Härteste war es, das Restaurant profitabel zu führen", erinnert er sich. Als er nach Dawson City kam, gab es dort "Fine Dining". Doch das passte einfach nicht. "Ich musste das Image komplett ändern", erklärt er und das ohne jegliche Restaurant-Erfahrung. "Um herauszufinden, wie ich kalkulieren muss, habe ich erst einmal eine Excell-Liste gemacht und eingetragen, was jedes Gericht kostet." Heute gibt es eine gute und solide Küche mit heimischen Spezialitäten und Schweizer Einschlag.

Bereut er seinen Schritt nach Kanada? "Ich bin nicht blauäugig hierher gekommen", sagt Wettstein. "Ich habe mir damals eine Pro- und Contra-Liste gemacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich allenfalls etwas Geld in den Sand setze, wenn ich scheitere." Aber Geld sei ihm nie so wichtig gewesen.

Will er in Dawson City bleiben? "Ich denke schon", sagt er. Es gebe noch viele Möglichkeiten und Pläne. Die will er aber nicht verraten.

Hotel Aurora Inn in Dawson City