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Cinque Terre in der Nachsaison

Brigitte von Imhof

Im Sommer ächzen die Fischerdörfer an der Ligurischen Küste unter Massen von Touristen. Da empfiehlt sich ein Besuch ab Ende September.

Riomaggiore, Manarola, Corniglia, Vernazza und Monterosso heissen die fünf zauberhaften Fischerdörfer, die sich entlang eines zwölf Kilometer langen, steil abfallenden Küstenstreifens wie Perlen auf der Kette aufreihen. Jedes Dorf hat eine malerische Altstadt und einen Bilderbuchhafen. Aus manchen Perspektiven wirkt es, als würden die bunten Häuschen auf den Felsen balancieren. Die Region ist als Nationalpark geschützt, nichts darf gebaut oder verändert werden.

Spätestens als 1997 die Cinque Terre ("Fünf Erden") in die Unesco-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen wurden, war es mit dem Dornröschenschlaf der Dörfer vorbei. Die rund 7000 Bewohner dieser Gegend müssen sich seither mit jährlich wachsenden Massen von Besuchern arrangieren, die von Ostern bis Ende September die Gassen der fünf Dörfer überfluten. 2,5 Millionen Gäste aus aller Welt waren es im Jahr 2015, allen voran Kreuzfahrtpassagiere, die im Hafen von La Spezia zu Tausenden aus den Ozeanriesen strömen. Besonders gross ist der Trubel an den Wochenenden, wenn zu all den Amerikanern, Schweizern, Skandinaviern, Deutschen auch noch italienische Ausflügler stossen.

Für die Einwohner ist das Fass längst übergelaufen. Sie haben die Initiative "Rettet die Cinque Terre vor dem Massentourismus" ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Zahl der Besucher ab dem kommenden Sommer auf 1,5 Millionen zu beschränken. An der Umsetzung wird noch gefeilt.

Horrende Parkplatzgebühren

Die Cinque Terre sind am besten mit der Bahn zu erreichen. Rund 50 mal pro Tag verkehren die Züge zwischen La Spezia und Genua, die meisten halten in den Dörfern. Da die Ausflügler von den Kreuzfahrtschiffen erst gegen Mittag eintreffen, ist es ratsam, so früh wie möglich zu starten. Zu fortgeschrittener Stunde wird das Gedränge und Geschubse in den Waggons so gross, dass man sich unweigerlich an die Tokyoter U-Bahn zur Hauptverkehrszeit erinnert fühlt.

Es wird dringend davon abgeraten, die Cinque Terre mit dem Auto anzufahren. Die kostenpflichtigen Parkmöglichkeiten liegen weit oberhalb der Ortschaften. Rund 20 Euro beträgt die Tagesgebühr. Pro Stunde zahlt man in der Hauptsaison mindestens zwei Euro. Will man mehrere Orte besuchen, läppert sich da schnell etwas zusammen, mal ganz abgesehen von der stressigen Kurverei auf steilen, engen Strassen. Man kann die Küstenorte auch mit dem Boot erreichen, doch ab einer bestimmten Wind- und Wellenstärke ist das Anlegen nicht möglich.

Wer in den Cinque Terre wandern möchte, kauft am besten die Cinque Terre Card, in der die Zugfahrt und die Benutzung der Wanderwege enthalten ist. Zu den schönsten und beliebtesten Streckenabschnitten zählt der Weg zwischen Corniglia und Vernazza, für den man knapp zwei Gehstunden einplanen soll. Serpentinen führen die Terrassenfelder hoch, auf denen seit der Römerzeit Wein angebaut wird. Weiter schlängelt sich der Weg in sanftem Auf und Ab durch Olivenhaine und vorbei an blühenden Rosenbüschen und Kakteen, an Landhäuschen mit Gemüse- und Obstgärten.

Der Zauber kehrt zurück

Bis sich der Blick auf Vernazza öffnet. Vernazza mit seinem Castello ist das optische Aushängeschild der Cinque Terre und ihrer faszinierenden Schönheit. Wanderer sind gut beraten, ihre Mittagspause in einem Restaurant oberhalb von Vernazza einzulegen, nicht nur wegen des grandiosen Ausblicks auf den Ort, die Küste und das Ligurische Meer. Denn in den schmalen Gassen und am Hafen herrscht ein unbeschreibliches Gewimmel. Menschenschlangen, wohin das Auge blickt – am Bahnhof, vor den Restaurants, vor den Eisständen, vor den Toiletten. Schwer zu sagen, ob die Menschen irgendwo anstehen oder einfach nur feststecken. Nicht nur ausgemachte Klaustrophobiker bekommen hier Beklemmungen.

Also, nichts wie weg, weiter nach Monterosso. Nach dem ersten Steilstück lohnt ein Blick zurück auf Vernazza, in das man sich nach dem eben verdauten Wimmel-Schock sogleich neu verliebt.  Unterwegs machen die Wasser- und Orangensaftverkäufer gute Geschäfte. Viele Wanderer haben nicht mit so schweisstreibender Anstrengung in der Tageshitze gerechnet.

Nach rund zwei Stunden erreicht man Monterosso, über dem das Kapuzinerkloster mit der Kirche San Francesco aus dem 17. Jahrhundert thront. Mit 1700 Einwohnern ist Monterosso der grösste Ort der Cinque Terre – mit den meisten Hotels, Restaurants und Geschäften – und mit einem breitesten Badestrand. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie schön es hier wohl mit ein paar tausend Menschen weniger sein könnte. Ende September verlegen die Kreuzfahrtschiffe ihr Einsatzgebiet vom Mittelmeer in Richtung Karibik und Südamerika. Dann kehrt der Zauber in die Cinque Terre zurück.