Here & There

Mit sonnigen Grüssen aus Sizilien

Zum Revival der Postkarte: Die Typologie des Postkarten-Schreibers.

Der nackte David, ein Flugzeug über den Wolken oder zartrosa Blümchen: Postkarten aus den Ferien erleben trotz WhatsApp und Instagram geradezu eine Renaissance. Drei von vier Touristen verschicken auf diese nostalgische Art farbige Bild-Botschaften an die lieben Daheimgebliebenen, damit sie auch ja vor Neid erblassen. Das hat gerade das Marktforschungsinstitut Media Control ermittelt. Psychologisch interessanter als die meist standardisierten "Mir geht es gut, wie geht es Dir"-Texte ist die Ansicht, die der Verfasser ausgewählt hat. Hier eine kleine Typologie:

Der Unentschlossene

Er hat den Ständer mit den Postkarten ein Dutzend mal gedreht und sich dann doch nicht entscheiden können. So wurde es schliesslich die Sammelkarte des Ferienorts mit Stadtpark, Autobahnbrücke, Rathaus, Fluss und Folkloreszene. In der Mitte auf pinkfarbenem Grund der Hinweis: "Grüsse aus Dingsda". Damit wir wissen, wo sich der Unentschlossene diesmal langweilt.

Die graue Maus

Ein Kätzchen blickt uns an, ein Stilleben mit Röschen, ein Kind mit grossen Augen. Ob sie auf Mallorca ist oder in Norwegen – stets schickt die graue Maus die gleichen Motive: Tiere, Pflanzen, schwärmerischen Kitsch, gern gesäumt von Herzchen und romantischen Schriftstilen. Wenn wir ihre Karte gut sichtbar bei uns aufstellen, freut sich die graue Maus – ganz still, so wie sie eben ist.

Der Streber

Er wählt den wertvollen Barockaltar, die bedeutende Skulptur oder zumindest eine edle Kunstpostkarte aus dem berühmten Museum. Oft ist er Lehrer – zumindest im Geiste. In jedem Fall will er für seine Bildung bewundert werden. Wer ihm den Gefallen tut, der kann seiner Dankbarkeit sicher sein.

Der Geizhals

Er schickt Innenaufnahmen von Hotels und Flugzeuge über den Wolken, weil es sie kostenlos an der Rezeption oder im Flughafen gab. Wir wundern uns nicht, weil wir ihn ja kennen und freuen uns, dass wenigstens kein Nachporto fällig ist.

Der Ästhet

Design geht ihm über alles. Er wählt Venedig im Novembernebel, drei Querstreben des Eiffelturms im Gegenlicht oder toskanische Zypressen im Morgentau. Natürlich bewegt er sich abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Und wehe, wenn wir seine Karte einfach achtlos auf den Fenstersims gestellt haben, statt sie wenigstens bei seinem Besuch harmonisch zu arrangieren!

Der Chauvinist

Er steht auf Motive mit blanken Busen und anderen unverhüllten weiblichen Rundungen. Wahrscheinlich fährt er daheim ein Auto mit Breitreifen und Doppelauspuff, in der Kneipe erzählt er gern Blondinenwitze. Aber abgesehen davon, dass er ein bisschen schüchtern ist, ist er eigentlich ein netter Kerl. 

Der Spassvogel

Er schickt den Alm-Öhi mit dem verkniffenen Gesicht, die Multiple-Choice-Karte zum Ankreuzen ("Sonne scheint/Essen schmeckt") oder die schwarze Karte "Portobello bei Nacht". Unser einziges Glück: Kaum hat er die Karte eingeworfen, weiss er schon nicht mehr, was auf ihr stand.

Der Angeber

Er wählt eine Ansichtskarte mit Goldprägung, dazu als Motiv das Luxushotel (in dem er vermutlich nur zum Kaffeetrinken war) und neuerdings gern eine dieser Postkarten-Apps: Damit lassen sich selbst geschossene Fotos als echte Postkarte ausgedruckt über einen Dienstleister verschicken. Als Motiv wählt der Angeber natürlich ein Selfie.

(SRT)