Trips & Travellers

Im 19. Jahrhundert wurde das Hafenstädtchen Honfleur in der Normandie an der Mündung der Seine in den Ärmelkanal zu einer Geburtsstätte des Impressionismus. Alle Bilder: zVg

Erst die Künstler, dann die Touristen

Artur K. Vogel

Wenn sich Künstler und Künstlerinnen in grösserer Zahl an einem Ort einfinden, spricht man von einer «Künstlerkolonie». Oft handelt es sich dabei um Orte, die auch touristisch attraktiv sind – wie diese acht europäischen Beispiele, darunter eines aus der Schweiz.

Ahrenshoop, Deutschland

Auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern liegt das Dorf Ahrenshoop. Heute ist es ein schicker Ostsee-Badeort mit edlen Hotels und unerschwinglichen Immobilienpreisen. Nach dem Dasein als winzigem Fischerdorf lebten in Ahrenshoop ab 1892 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Landschaftsmalerinnen und -malern. Gegründet hatte die Kolonie Paul Müller-Kaempff (1861-1941), der 1892 ein Künstlerhaus mit Pension baute und später eine Malschule eröffnete. Im modernen Kunstmuseum kann man Werke von Müller-Kaempff und anderen Künstlern aus Ahrenshoop bestaunen. www.ostseebad-ahrenshoop.de

Nach dem Dasein als winzigem Fischerdorf lebten in Ahrenshoop ab 1892 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Landschaftsmalerinnen und -malern.

Barbizon, Frankreich

Im Wald von Fontainebleau südlich von Paris entstand ab 1830 die erste Kolonie von Künstlern, die ein einfaches, naturnahes Leben suchten. Naturalisten, etwa Théodore Rousseau und Constant Troyon, zogen ebenso hierher wie Realisten, z.B. Jean-François Millet, Gustave Courbet und Camille Corot. Sie waren Vorläufer des Impressionismus, arbeiteten in der Natur und fanden im riesigen Waldgebiet und in den Dörfern ihre Motive. Die Idee dieser Gemeinschaft verbreitete sich in ganz Europa und zog zahllose Künstler an. Auch der bedeutende Zürcher Grafiker, Radierer, Lithograf, Zeichner, Maler und Illustrator Karl Bodmer (1809-1893) lebte eine Zeitlang hier.

Naturalisten, etwa Théodore Rousseau und Constant Troyon, zogen ebenso nach Barbizon wie Realisten, etwa Jean-François Millet, Gustave Courbet und Camille Corot.

Capri, Italien

Seit dem 18. Jahrhundert war die Felseninsel Capri im Golf von Neapel Ziel von Touristen und Künstlern. 1818 öffnete der Notar Giuseppe Pagano sein Haus für Fremde. Die Gästeliste, ab 1825 geführt, dokumentiert mehrere hundert Künstlerinnen und Künstler, die dort logierten. Viele prägten nach ihrem Capri-Aufenthalt andere Kolonien mit, etwa in Worpswede und Ahrenshoop. Der Dichter und Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann erhielt in Capri wichtige Impulse und war später ein Initiator der Künstlerkolonie auf Hiddensee bei Rügen, die «Capri des Nordens» genannt wurde. Ab den 1960er-Jahren war Capri, das schon der römische Kaiser Augustus zu schätzen gewusst hatte, ein Refugium der Schönen und Berühmten, etwa Sophia Loren, Audrey Hepburn, Grace Kelly, Ernest Hemingway oder Giorgio Armani. http://www.capritourism.com

Seit dem 18. Jahrhundert war die Felseninsel Capri im Golf von Neapel Ziel von Touristen und Künstlern.

Honfleur, Frankreich

Im 19. Jahrhundert wurde die Hafenstadt Honfleur in der Normandie an der Mündung der Seine in den Ärmelkanal zu einer Geburtsstätte des Impressionismus. Der Freilichtmaler Eugène Boudin, ein Vorläufer der Impressionisten, wurde 1824 hier geboren. Ihm ist ein Museum gewidmet. Auch der Komponist Erik Satie (1866-1925) kam in Honfleur zur Welt. Berühmte Maler wie Gustave Courbet, Alfred Sisley, Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir oder Paul Cézanne trafen sich in Honfleur, oft in der Ferme St-Siméon, einem Bauernhof, der heute ein Fünfsterne-Hotel ist. Auch heute stehen Maler am Quai von Honfleur, und die Greniers à Sel, Lagerhäuser aus dem 17. Jahrhundert, stellen zeitgenössische Werke aus. www.ville-honfleur.com

Berühmte Maler wie Gustave Courbet, Alfred Sisley, Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir oder Paul Cézanne trafen sich in Honfleur, oft in der Ferme St-Siméon, einem Bauernhof, der heute ein Fünfsterne-Hotel ist.

Monte Verità, Schweiz

Anfang des 20. Jahrhunderts siedelten sich auf dem Monte Verità oberhalb von Ascona Menschen an, die sich aus den starren gesellschaftlichen Konventionen loslösen wollten. Sie lebten unter einfachsten Bedingungen, ernährten sich vegetarisch und frönten dem Nudismus. Der Monte Verità zog Maler und Schriftsteller aus ganz Europa an: Hermann Hesse und Erich Maria Remarque zum Beispiel, Hans Arp und seine Frau Sophie Taeuber-Arp, Dadaist Hans Richter oder Maler Paul Klee. Das Experiment dauerte nur zwei Jahrzehnte. 1926 kaufte der deutsche Bankier Eduard von der Heydt den Hügel und machte ihn zum Ferienort. Das 1927 erbaute Hotel ist bis heute ein exquisites Beispiel klassisch-moderner Architektur. Von der Heydt schenkte den Berg später dem Kanton Tessin, der hier 1980 ein Seminarzentrum schuf. In der 1902 erbauten Casa Anatta kann eine vom Ausstellungsmacher Harald Szeemann inszenierte Dauerausstellung über die Geschichte des Hügels besucht werden. www.monteverita.org

Der Monte Verità zog Maler und Schriftsteller aus ganz Europa an.

Montmartre, Paris, Frankreich

Montmartre, einst ein Dorf, jetzt ein Stadtteil von Paris, ist seit 150 Jahren eine künstlerische Hochburg. Im Mittelpunkt stand ab der Wende zum 20. Jahrhundert das Bateau-Lavoir: In dem grossen, heruntergekommenes Gebäude kamen viele damals mittellose, später weltberühmte Künstler wie Juan Gris, Max Jacob oder Amedeo Modigliani unter. Pablo Picasso hatte hier ein Studio und schuf 1907 eines seiner berühmtesten Werke, Les Demoiselles d’Avignon, das den Kubismus begründete. Schriftstellerin Gertrude Stein, Dichter Guillaume Apollinaire, die Maler Georges Braque und Henri Matisse sowie der Maler, Schriftsteller und Filmregisseur Jean Cocteau verkehrten hier. Das Haus gehört seit 1965 zu den Monuments historiques von Paris. 1970 brannte es ab, wurde neu gebaut und beherbergt immer noch gut 20 Ateliers. https://de.parisinfo.com

Montmartre, einst ein Dorf, jetzt ein Stadtteil von Paris, ist seit 150 Jahren eine künstlerische Hochburg.

Saint-Paul de Vence, Frankreich

In südfranzösischen Städtchen Saint-Paul-de-Vence mit seiner mächtigen Ringmauer, auf einem Hügel gelegen, treffen mittelalterlicher Charme und das unvergleichliche Licht der Provence aufeinander. Kein Wunder, dass der Ort Künstler magisch anzog und immer noch anzieht. Vor allem das Hotel und Restaurant La Colombe d’Or beherbergte zahllose Prominenz wie Henri Matisse, Pablo Picasso, Amadeo Modigliani, Alexander Calder und die Leinwandstars Yves Montand und Simone Signoret, die sich hier kennenlernten und hier auch heirateten. Marc Chagall hatte von 1966 bis zu seinem Tod 1985 seinen Hauptwohnsitz in Saint-Paul, der Luzerner Maler und Grafiker Hans Erni, der 2015 mit 106 Jahren starb, ein Sommerhaus. www.provence-info.de

Das südfranzösische Städtchen Saint-Paul-de-Vence zog Künstler magisch an.

Worpswede, Deutschland

Die Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen in Niedersachsen entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Bedeutende Künstler des Jugendstils, Impressionismus und Expressionismus fanden sich hier ein, angezogen vom besonderen Licht, charaktervollen Landschaften und der Sehnsucht nach ländlicher Idylle. Fritz Mackensen, Otto Modersohn und seine Frau Paula Modersohn-Becker, die sich hier kennenlernten, Bernhard Hoetger, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler sind einige der bekanntesten Worpsweder Namen. Auch der Dichter Rainer Maria Rilke liess sich von Worpswede verführen – und von der Bildhauerin Clara Westhoff, die er später heiratete. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich die «Junge Worpsweder Gruppe»; gleichzeitig kam der Tourismus auf. Im Barkenhoff aus der Gründerzeit befindet sich ein Vogeler-Museum; drei weitere Museen sind über die Ortschaft mit 10'000 Einwohnern verteilt. https://worpswede.de

Bedeutende Künstler des Jugendstils, Impressionismus und Expressionismus fanden sich in Worpswede Ende des 19. Jahrhunderts ein.