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Über den Wolken - Ausblick vom Vulkan Fuego in Guatemala. Alle Bilder: Nina Wild

Weg mit den Vorurteilen über Guatemala

Nina Wild

Warum meine Vorfreude auf die geplante Reise nach Guatemala zunächst getrübt wurde – und wieso ich mich dennoch komplett in das Land verliebte.

Als ich meiner Familie und meinen Freunden offenbarte, dass ich alleine eine vierwöchige Reise durch Guatemala plane, hielt sich deren Begeisterung in Grenzen, sie sagten: «Das ist doch viel zu gefährlich so alleine als Frau». Zudem realisierte ich: das zentralamerikanische Land gehört bei den Reiseveranstaltern nicht gerade zu den Top-Sellern und die Medien berichten nur selten Positives. Obwohl ich zunehmend verunsichert wurde, sagte ich mir, egal, ich stürze mich trotzdem ins Abenteuer.

Was ich in den nächsten vier Wochen erleben sollte, war dann aber ein traumhaftes Reiseland. Guatemala bietet die perfekte Mischung aus atemberaubenden Vulkanlandschaften, endlos wirkenden Seen, tobenden Flüssen und undurchdringlichen Urwäldern. Aber auch Maya-Ruinen, herzhaft gefüllte Maistortillas, die traditionelle, farbenfrohe Kleidung und herzige Kolonialstädtchen gehören dazu. Und nicht zu vergessen: die beispiellose Gastfreundlichkeit, Hilfsbereitschaft und das herzliche Lächeln der Guatemalteken. In brenzlige Situationen geriet ich kein einziges Mal. Auf dieser Reise habe ich mich zu keinem Zeitpunkt unwohl gefühlt.

Wo der Boden bebt und das Feuer spuckt

Ein erster Höhepunkt meiner Reise erfolgte unweit von Antigua, hier befindet sich der Vulkan Acatenango, welcher einem vom Basecamp bei gutem Wetter eine perfekte Aussicht auf den aktiven Vulkan Fuego beschert.

Blick vom Basecamp des Acatenangos hinüber zum Vulkan Fuego.

Natürlich wollte ich mir dieses Naturschauspiel nicht entgehen lassen, denn ein Vulkan zu sehen stand schon lange auf meiner «Bucket-List». Circa sechs Stunden lang mussten wir erst steil den Acatenango hinauf, bevor sich im Basecamp auf 3700 Metern Höhe der atemberaubende Blick zum Fuego eröffnete.

Zugegeben, die Wanderung hat es wirklich in sich. Wer noch nicht genug hat, kann noch eine weitere 5-stündige Wanderung auf den aktiven Vulkan selbst machen, um die Eruptionen und dadurch verursachten Vibrationen des Bodens aus nächster Nähe zu erleben. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Dort oben peitschte mir der Wind ins Gesicht und nach wenigen Minuten war das Gefühl in meinen Fingern aufgrund der Kälte verschwunden – aber es wurde mir auch bewusst, wie klein und bedeutungslos ich bin, im Gegensatz zu diesen atemberaubenden Naturwundern. Von diesen Eindrücken bin ich auch zwei Monate später noch beeindruckt. Ein absolut unvergessliches must-do in Guatemala.

Zurück in Antigua musste ich mich erst einmal von diesen abenteuerlichen Tagen erholen – ich nutzte die Gelegenheit, um den «Mercado» in der Nähe vom Busterminal zu besuchen. Der Markt ist so gross, dass man sich garantiert verläuft in den unzähligen verwinkelten Gassen. Aber dafür lässt sich von DVDs über Kleider bis zu Hundefutter und Konfetti alles finden. Der grösste Teil des Marktes befindet sich unterirdisch und die Gänge sind unglaublich eng.

Die Einheimischen machten einen gestressten Eindruck. Als mich diese in einer dichten Einerreihe überholten, fiel mir zum ersten Mal auf, wie klein die Guatemalteken sind. Mit meinen 1,63 Metern gehöre ich hier in der Schweiz nicht unbedingt zu den Grossen – aber in Guatemala war die Mehrheit einen Kopf kleiner als ich. Ich musste ein wenig schmunzeln nach dieser Erkenntnis.

Ich han s’Boot gno – unterwegs auf dem Lago Atitlan

Circa zwei Stunden Busfahrt von Antigua entfernt befindet sich der endlos erscheinende und zweitgrösste See von Guatemala: der Lago Atitlan. Er liegt in einem Krater, der durch die Explosion eines sehr grossen Vulkanes entstand. Rund um den See befinden sich Dörfer mit verschiedenen Charakteren, die bequem mit kleinen Booten – zu einem unschlagbaren Preis von 3 Franken pro Fahrt - erreicht werden können. San Pedros ist eines davon. Das Partydorf bietet unzählige Bars und Discos und eignet sich perfekt um als Solo-Traveler neue Freundschaften zu schliessen. Ausserdem befindet sich dort der beste Kayak-Hotspot am ganzen See.

Wer sich für Meditation, Mondkurse oder Yoga interessiert, sollte sich San Marcos nicht entgehen lassen. In dieser Ortschaft dreht sich alles darum, die innere Ruhe zu finden. Es gibt eine Vielzahl an vegetarischen und veganen Restaurants, die auf faire und lokale Produktion ihrer Produkte setzen – was im Rest des Landes eher unüblich ist.

Das Treiben am Markt von Chichicastenango.

San Juan La Laguna besteht zu drei Vierteln aus Kaffeeplantagen und zu einem Viertel aus Häusern. Der Ort ist winzig und eignet sich perfekt um einen guten Kaffee am Wasser mit Ausblick auf den See zu geniessen.

Das Städtchen Chichicastenango oder «Chichi», wie es die Guatemalteken liebevoll nennen, liegt ungefähr zwei Busstunden entfernt vom Lago Atitlan. Jeweils donnerstags und sonntags verwandeln sich die Strassen in bunte Marktgassen und es wird fleissig gehandelt. Es ist unglaublich laut und hektisch und alle Marktbetreiber wollen ihre besten Handarbeitsstücke verkaufen. Sonntags finden zusätzlich Zeremonien vor der Iglesia de Santo Thomas statt. Es wird musiziert und qualmt und es dauert nicht lange, bis die Sinne überreizt sind – Zeit zu flüchten.

Farbige Gräber auf dem Friedhof in Chichicastenango.

Lässt man sich in westliche Richtung treiben, erscheint auf einem Hügel der Friedhof der Stadt. Die Gräber sind kunterbunt - wie kann etwas so Trauriges gleichzeitig so schön sein?

Oh du kleines grosses Wunder

Die schlimmste Busfahrt meines Trips war jene von Panajachel – dem Hauptstädtchen am Lago Atitlan - ins zentral, östlich von Coban gelegene Lanquin – dreizehn Stunden dauerte die Strapaze. 390 Kilometer mussten im unbequemen Bus bezwungen werden – über Pässe mit schlechten Strassen, weshalb wir nur im Schneckentempo vorwärts kamen. Als ich am nächsten Morgen die saftig grünen Hügel, den Rio Lanquin und das kleine Dorf erblickte, war die anstrengende Anreise bereits vergessen.

Von der ersten Sekunde an habe ich mich in Lanquin wohl gefühlt. Die Tage verbrachte ich beim Tubing auf dem Fluss und der Erkundung des wohl surrealsten Naturwunders Guatemalas: dem Semuc Champey. Kalksteine formen eine natürliche Treppe mit Naturpools. Diese sind gefüllt mit dem klarsten und blausten Frischwasser, das ich je gesehen habe.

Echt oder gemalt? Die Naturpools Semuc Champey.

Während einer Erfrischung in einem der Schwimmbecken oder vom Aussichtspunkt «Mirador» konnte ich  die Naturschönheit bestaunen. Ganz in der Nähe befindet sich ein Wasserfall, der sich hervorragend zum Klippenspringen eignet. Abwechslung und ganz viele Bademöglichkeit in der Natur sind hier garantiert.

Auf den Spuren der Mayas

Mein nächster Halt war Flores, im Norden Guatemalas. Dieses farbenprächtige Städtchen befindet sich mitten auf dem Petén-Itzá-See auf der Insel San Andrés. Es ist überschaubar – die kleine Insel kann in zwanzig Minuten Fussmarsch umrundet werden. Obwohl ich mit der spanischen Sprache gut vertraut bin, fühlte ich mich hier beim Gang durch die Strassen fremd. Denn in diesem Teil Guatemalas werden noch immer indigene Maya-Sprachen gesprochen. Diese Tatsache ist vielleicht damit zu erklären, dass sich «Tikal», eine der bedeutendsten Maya-Stätten ganz in der Nähe befindet. Über dreitausend uralte Bauten schiessen wie Pilze aus dem Boden. Imposant, dass diese vor tausenden von Jahren mit blossen Händen erbaut wurden. Heute gehört dieser einzigartige Schatz zum Weltkulturerbe und das ganze Gebiet wurde zu einem Nationalpark erklärt.

Aber aufgepasst: in Flores ist es unglaublich heiss. Ich war Anfang März dort und hatte das Gefühl, wie Schokolade in der Sonne zu schmelzen – umso besser, dass der Ort von Wasser umgeben ist. Wer die Umgebung etwas erkunden mag, lässt sich von einem der unzähligen Boote zum Lieblingsbadeplatz chauffieren.

Sicht auf die Stadt Flores vom Boot aus.

Mein persönlicher Favorit war die «Playa Chechenal». Einheimische baden dort gemeinsam mit wenigen Touristen, es gibt einen wunderbaren Strand und genug Schatten für alle unter den Bäumen. Wenn die Sonne langsam untergeht, ist die Wahrscheinlichkeit gross, von einer Horde Brüllaffen überrascht zu werden – und diese machen ihrem Namen alle Ehre. Sie brüllen und klettern nur wenige Meter über den Köpfen der Badegäste auf den Bäumen herum. Eine wunderbare Erinnerung.

Ein kleines Afrika in der Karibik

Dann der finale Höhepunkt meiner Reise: Livingston! Der Ort an der Karibikküste ist ausschliesslich über den Wasserweg via Rio Dulce oder Puerto Barrios erreichbar. Aber wie heisst es so schön: «Difficult roads often lead to beautiful destinations» und genau deswegen wollte ich dorthin reisen – und wurde überrascht. Er ist ein unglaublicher Kontrast zum Rest des Landes.

Als sich das Boot auf dem Rio Dulce der Ortschaft näherte, fühlte ich mich wie im Film «Fluch der Karibik». Wir fuhren an gekenterten, verrosteten Schiffen vorbei und Palmen ragten in den Fluss hinein. Unzählige Pelikane wurden vom Motorengeräusch aufgescheucht und flogen dicht an uns vorbei. Und ich war mittendrin in diesem Abenteuer.

Nirgendwo sonst im Land gibt es die dunkelhäutige, afrokaribische Volksgruppe – Garifuna genannt. Sie haben lange Rastas, rauchige Stimmen, sind fröhlich und sprühen vor Gastfreundlichkeit. Und nirgendwo sonst in Guatemala gibt es so gutes Essen. Das wohl bekannteste Gericht heisst Tapado: Eine Kokosmilchsuppe mit Shrimps, Krebs, Fisch und Kochbananen, dazu eine Schale Reis – ich hätte mich reinlegen können. Eine weitere Spezialität ist der Guiffity, ein Rum, der mit unzähligen Kräutern angereichert wurde und der Legende nach eine heilende Wirkung haben soll. Auch die Musik unterscheidet sich hier – zu heissen Rhythmen und rassiger Trommelmusik wird hier getanzt.

Grün, grüner, die Ufer vom Rio Dulce.

Für mich war hier der perfekte Abschluss der Guatemala-Reise. Noch einmal Faulenzen am Strand und die Erinnerungen Revue passieren lassen. Und froh darüber zu sein, diese Reise ins Ungewisse gewagt zu haben.

Vielleicht hatte ich einfach Glück, dass mir nichts passiert ist. Und alle anderen Reisenden, die ich getroffen habe ihrerseits auch. Ich möchte nichts verharmlosen – denn es gibt bestimmt gefährliche Ecken, die nicht besucht werden sollten – so wie in jedem Land. Aber ich möchte daran appellieren, nicht alles blind zu glauben, was man über ein Land hört. Noch schlimmer finde ich, Meinungen darüber zu verbreiten, ohne je da gewesen zu sein. Denn unter Umständen verpasst jemand vielleicht deswegen das Abenteuer seines Lebens.

So schön war Guatemala.