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Der Schleusen-Stopp und die Tango-Klänge auf der Fahrt der Excellence Coral versprechen Dramatik, Emotionen und Leidenschaft. Bilder: SC

Beim Schleusen-Tango auf der Elbe

Silvia Schaub

Neben attraktiven Landgängen bieten Flusskreuzfahrten auch kulturelle Events. An Bord der «Excellence Coral» des Reisebüros Mittelthurgau werden das Schiff und die Schleuse sogar zum Konzertsaal – ein bleibendes Erlebnis.

Dunkle Wolken jagen sich am Himmel, die Trikolore Deutschlands flattert heftig im Wind. Von Parey herkommend pflügt sich die «Excellence Coral» auf dem Elbe-Havel-Kanal Richtung Rothensee. Immer wieder gehen die Blicke der Passagiere skeptisch nach oben. Ob das Wetter wohl bis zum Abend hält?

Zuvor wandelten die Gäste des Reisebüros Mittelthurgau, das zur Aargauer Twerenbold Reisen-Gruppe gehört, im Regen durch den Park des Schlosses Sans Souci in Potsdam und liessen sich hernach vom Prunk der Räumlichkeiten beeindrucken. Sie standen verwundert am Grab Friedrichs des Grossen, das mit Kartoffeln bedeckt war. «In Erinnerung an seine berühmten Kartoffelbefehle legen Besucher noch heute oft solche darauf», erklärt Reiseleiterin Christine Jeep die witzige Dekoration. Sie weiss noch weitere Details über Sans Souci, das auch «deutsches Versailles» genannt wird, seine Bewohner und Potsdam. Die Hauptstadt des Bundeslandes Brandenburg südwestlich von Berlin hat eine Fülle von Schlössern und Parks sowie hübsche Quartiere wie das Holländische Viertel zu bieten. Man müsste sich definitiv mehr Zeit für den Ort nehmen.

Aber die rund 80 Passagiere aus der Schweiz sind auf ihrer Flussfahrt von Berlin nach Prag in Gedanken bereits woanders. Langsam reissen die Wolken auf, blauer Himmel kommt zum Vorschein. Sie sitzen auf dem Oberdeck, geniessen die vorbeiziehende Landschaft – und warten auf den Höhepunkt der Flussfahrt: das Schleusenkonzert. Rosmarie aus St. Gallen wird bereits zum zweiten Mal eine solche Aufführung erleben und ist voller Vorfreude. Auch die in Spanien lebende Zürcherin Ursula ist gespannt. Zwar habe sie die Route auch wegen den angefahrenen Städten ausgewählt, «aber dieses Konzert ist das Tüpfchen auf dem i».

Inzwischen hat die «Excellence Coral» Rothensee schon fast erreicht. Vorsichtig zirkelt der ungarische Kapitän Viktor das 82 Meter lange Schiff in die Schleuse von Hohenwarthe bei Magdeburg. Am Ufer steht bereits die Crew von Burkhard von Puttkamer mit ihren Gerätschaften. Der Opernsänger aus Berlin ist mit seinem Zwischentakt-Team Initiant dieser Schleusenkonzerte, die er vor rund 15 Jahren ins Leben gerufen hat und als Weltexklusivität auf den «Excellence»-Schiffen durchführt. Die verrückte Idee sei ihm zufällig gekommen, wird er später erzählen. Er war mit einem Schiff unterwegs und schmetterte spasseshalber bei einer Schleuse eine Arie. «Das klang so gut, dass ich fand, das könnte man doch mal ausprobieren.»

Der Saal verschwindet wieder in den Fluten

Mittlerweile sind die Passagiere im Bauch des Schiffs verschwunden und stärken sich bei einem köstlichen 4-Gänger. Die frische Brise macht schliesslich hungrig. Oben auf Deck poltert und rumpelt es. Reiseleiterin Rösli Dönni erklärt den Gästen in ihrem charmanten Glarner Dialekt ein letztes Mal den genauen Ablauf des Konzertabends. Als alle an Deck gehen, befinden sie sich mitten in einem Konzertsaal mit über 500 Stühlen. Oben am Kanalufer fahren noch immer Busse vor und spucken weitere Konzertbesucher aus.

Es kann endlich losgehen. Nur ein paar Minuten dauert das Absinken in die dunkle Schleuse. 18 Meter tief schwimmt nun das Schiff, das mit Seilwinden direkt vor dem Schleusentor in Konzertposition gebracht und dort festgezurrt wird. Dann stellt Viktor den Motor ab. Es ist absolut still. Alle Blicke sind nach oben gerichtet: Ein Kran hievt effektvoll den Steinway-Flügel an Bord. Als hätte Petrus ein Einsehen, strahlt der abendliche Himmel nun absolut wolkenlos.

An diesem Abend steht das Programm unter dem Motto «Schleusen-Tango» und verspricht Dramatik, Emotionen und Leidenschaft. Das Quinteto Ángel hebt an und zaubert mit Klavier, Violine, Cello, Contrabass und Bandoneon südamerikanisches Ambiente in die 190 Meter lange Raumkammer, die ein Volumen dreimal so gross wie die Semperoper in Dresden bietet. Dazwischen gibt der Bariton von Puttkamer Chansons von Maurice Ravel zum Besten, dann wieder wirbeln die Tango-Tänzer Judith Preuss und Constantin Rüger über die Bühne, oder Sopranistin Anna Hofmann singt Edvard Grieg so hingebungsvoll zu den Klängen von Alina Pronina, dass niemand mehr die aufziehende Kälte spürt.

«Grandios!». «Wunderbar!». «Einmalig!». «Und diese Akustik!». Das Publikum ist hell begeistert. Nach diesen Eindrücken nehmen es die Passagiere auch gelassen, dass wegen des niederen Wasserpegelstandes der Elbe für die nächsten Tage eine Routenänderung bevorsteht. Statt Meissen und die Sächsische Schweiz werden die VW-Stadt Wolfsburg und Tangermünde angefahren. Aber der Höhepunkt war ja ohnehin das Konzert, dessen Saal anschliessend wieder in den Fluten verschwand.