Trips & Travellers

Beat Werthmüller könnte hier gut mitreden. Er spricht «Arabisch auf dem Niveau eines Kameltreibers.» Bild: Pixabay

Hast du das Zeug zum Reiseleiter?

Andreas Güntert

Reiseleiter – ein Traumberuf? Wenn Du richtig gut bist, vielleicht schon. Aber was bedeutet «richtig gut»? Der Internaut spricht mit Reiseleiter-Champion Beat Werthmüller.

Er war in Mali und auf dem Irrawaddifluss. Er bestieg den Mount Kinabalu, streifte durch die Wüsten dieser Welt, wanderte, pedalte und e-bikte eher durch ganz als durch halb Europa. Die Bucket List des Internauten jedenfalls hat Beat Werthmüller längst mehrmals komplett abgereist.

Seit 35 Jahren führt der kulturell und gastronomisch hervorragend beschlagene Schweizer (und gefühlt halbe Tuareg) Menschen in die Schönheiten und Eigenarten dieser Welt ein. Um 700 Reisen, davon 200 durch Wüsten, hat Werthmüller schon geleitet.

«Du musst Menschen mögen»: Beat Werthmüller, Gentleman der geführten Gruppenreise. Bild: Internaut

Seinen aktuellen Status kommentiert die Reiseleiter-Legende, 70, so: «PKZ. Pensioniert, keine Zeit.» Schliesslich stehen alleine dieses Jahr schon wieder zehn Trips auf seinem Programm.

«Ich bin eines der wohl ältesten Fossile der Reiseleiter-Welt», sagt Werthmüller von sich. Der Internaut sagt: Ich habe noch nie ein jüngeres Fossil gesehen.

Tatsache ist: Von diesem weltgewandten Menschen kann man jede Menge lernen. Zum Beispiel dies: Was macht einen richtig guten Reiseleiter aus? Und: Hast Du das Zeug zum Weltklasse-Reiseleiter?

Zusammen mit Beat finden wir es heraus: Hier kommt Dein Zehn-Punkte-Programm um ein Weltklasse-Reiseleiter zu werden. Wie viele dieser Fragen kannst Du mit «Ja» beantworten?

Hast Du Menschen gern?

Für Werthmüller ist es das wichtigste überhaupt: «In diesem Job musst Du Menschen mögen, anders geht es nicht.» Zumal der Kontakt zum Menschen über die Jahre wichtiger geworden sei.

War der Reiseleiter in Zeiten vor E-Mail, Smartphone und Ticket-Apps noch viel stärker damit beschäftigt, Billett-Kopien zu verwalten, Termine per Brief einzufädeln, Museumsführungen zu bestätigen und jede Menge sonstigen Papierkram zu managen, nimmt ihm heute das Internet viel dieser Arbeit ab.

Was bedeutet: Es bleibt mehr Zeit, sich um die Menschen zu kümmern: «Menschenkenntnis ist als Reiseleiter das A und O.»

Hast Du Menschen auch gern, wenn sie schwierig werden?

Gerade auf längeren Reisen abseits der Zivilisation kommt das Innerste im Menschen zum Vorschein: «Keiner kann sich 14 Tage durch die Wüste lügen», sagt Werthmüller.

Wenn es schwierig wird, zählen Werte wie Verständnis und Ehrlichkeit. Sowie eine gewisse Frustrationstoleranz, wenn sich die Dinge nicht so entwickeln, wie sich das der Reiseleiter wünscht. Und der Rest der Gruppe.

Kannst Du antizipieren?

«Der Reiseleiter», sagt Werthmüller, «muss eine Minute vor der Gruppe wissen, was als nächstes passiert.»

Will heissen: Situationen bezüglich Witterung, Gruppendynamik, und Verkehrsfluss rechtzeitig einschätzen und dann entsprechend handeln. Bezüglich eruptiver Stimmung in der Reisegruppe heisst dies: «Negative gruppendynamische Prozesse erkennen und unterbrechen, bevor sie ausbrechen.»

Kannst Du Worldspeak?

Als weltgewandter Mann ist Werthmüller natürlich multilingual unterwegs. Neben Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch spricht er die Tuareg-Sprache Tamascheq und «Arabisch auf dem Niveau eines Kameltreibers.»

Vielleicht musst Du nicht gleich all das draufhaben. Aber ein sprachliches Grundgerüst muss stehen. Eines, das zu Deinen Destinationen passt. Und zu Deinen Gruppen.

Kannst Du nein sagen, wenn Du vielleicht am liebsten ja sagen würdest?


Ja, es kann passieren, dass sich Teilnehmerinnen oder Teilnehmer einer Reise in den Reiseleiter oder die Reiseleiterin verlieben. Was sich dann, meist etwas abseits der Gruppe, durch deutliche Avancen manifestiert.

Werthmüller hat hier eine klare Devise: «Du musst nein sagen können.» Ein Spruch, der ihm dabei geholfen hat (und wohl noch immer hilft): «Sorry, aber der Reiseleiter ist im Preis nicht inbegriffen.»

Kannst Du Ehekrach schlichten? Auch wenn es nicht Deine Ehe ist?

«Ferien, in denen man alles vergisst» – das ist einer der hübschesten touristischen Slogans aller Zeiten. Häufiger aber passiert es, dass sich Friktionen von zu Hause erst in den gemeinsamen Ferien so richtig bemerkbar machen.

«Heftiger Ehekrach ist nicht selten auf Reisen», sagt Werthmüller. Man könne in solchen Situationen auf verschiedene Art deeskalierend wirken: «Oft nützt es nur schon, wenn sich der Reiseleiter beim Essen zwischen die Eheleute setzt.» Sollte das nicht helfen, müsse man den Streithähnen ins Gewissen reden. Oder ihnen ein Einzelzimmer (gegen Aufpreis) anbieten.

Oder, vorletzte ratio: «Auf die Möglichkeit aufmerksam machen, dass einer der beiden oder gleich beide abreisen können.» Ultima Ratio wäre dann: «Jemanden heimschicken. Oder beide.»

Kannst Du Bakschisch-Business?

Wir wollen hier nicht eine Anleitung bezüglich Korruption geben. Aber in manchen Weltgegenden gilt nun einmal: Schmieren und Salben hilft allenthalben.

Gemäss Werthmüllers Erfahrung hilft Schokolade fast immer: «Gerade in der Wüste gilt: Schoggi ist die härteste Währung überhaupt.»

In Ländern, wo die Gesetze bezüglich Familienplanung vorgestrig sind, kann grosszügiges Verteilen von Kondomen helfen: «Nach Mali etwa nahm ich immer eine Kurpackung an Parisern mit», erinnert sich Werthmüller, «als ich die heisse Ware in rauen Mengen im Schweizer Supermarkt einkauft, trug mir das immer sehr spezielle Blicke vom Kassenpersonal ein.»

Weitere harte Währungen sind Zigaretten und Medikamente. Von Medis als Bakschisch rät Werthmüller allerdings ab: «Wenn Medikamente von den Einheimische falsch eingesetzt werden, ist das letztlich keine gute Sache.»

Bezüglich Cash, sagt Werthmüller, habe sich über die Jahre eher der Euro als der Dollar als Weltwährung etabliert. Mit dem Schweizer Franken müsse man vorsichtig umgehen, da er längst nicht überall ein gutes Image habe.

Wer durch ein Land reise, dessen amtierender oder ehemaliger Regent einen Grossteil des Volksvermögens auf seinem Schweizer Konto weiss, muss damit rechnen, dass die Schweiz keine strahlende Reputation habe.

Kannst Du Dich und die Gruppe orten?

Ja, Google Maps, Geo-Apps und Echtzeit-Navigations-Tools helfen. Aber sie helfen eben nicht immer. Etwa wenn es darum geht, eine Velo-Route von vorletztem Jahr zu memorieren. Ging es vor oder nach der grossen Eiche in Südengland rechts? Und wo liegt der Weg, wenn die Eiche dummerweise nicht mehr steht?

Werthmüller sagt von sich selber, dass er ein «GPS im Hinterteil» habe. Das solltest Du auch haben, wenn Du ein Weltklasse-Reiseleiter werden willst.

Kannst Du Wetter riechen?

Mit dem Wetter ist es wie mit der Geographie: Auch hier nehmen uns moderne Mittel viel Arbeit ab. Und daraus könnte die Illusion entstehen, dass wir gar keine Arbeit mehr hätten. Falsch.

Wenn es um die Einschätzung des Wetters gehe», sagt Werthmüller, baue er nicht auf Apps und andere Medien. Sondern immer auf die Einheimischen. «Beobachte, was die Locals tun», lautet der Rat der Reiseleiter-Legende. Wenn die Bauern etwa ihr Heu einholen, kann das bedeuten, dass schlechtes Wetter naht.

Kannst Du mit Kleptomanen umgehen?

Der Fall ist selten, aber er kann auftreten: In der Gruppe reist ein Kleptomane mit. Also jemand, der krankhaft Dinge stiehlt. Heikel wird es, wenn es Gegenstände sind, die zur Gruppe gehören. Hier kommt der Passus mit den «schwierigen Menschen» zur Anwendung.

Wenn es sich um Dinge aus Hotelzimmern handelt, geht es darum, Partnerhotels zu warnen. Darüberhinaus ist viel Fingerspitzengefühl nötig im Gespräch mit dem betreffenden Gruppenmitglied. Werte wie Einfühlungsvermögen und Diskretion spielen hier eine Hauptrolle. Ja, man muss Menschen gern haben. Oder mindestens verstehen.


Taugst Du zum Reiseleiter? Deine Beurteilung

Wie viele Punkte konntest Du in einer (ehrlichen) Selbstbeurteilung als bei Dir gegeben eintragen? Bevor wir nun zur Beurteilung gehen: Bitte eine Dir nahestehende Person (oder am besten eine ganze Reisegruppe), Dich ebenfalls in diesem Zehner-Raster zu beurteilen.

All set? Gut, dann können wir jetzt zu einer populärwissenschaftlichen Beurteilung schreiten:

0 bis 3 Punkte erfüllt
Bist Du happy in Deinem aktuellen Beruf? Ja? Dann werde besser nicht Reiseleiter. Bleibe happy, wo Du happy bist.

3 bis 6 Punkte erfüllt
Nice try. Wenn Du Menschen magst und Guppendynamik managen kannst, dann arbeite hart an Deinen Fähigkeiten. Vielleicht reichts irgendwann zum Reiseleiter. Eher später als früher.

6 bis 8 Punkte erfüllt
Wars die Sache mit den Kleptomanen oder der (externe) Ehestreit? Du musst noch nachbessern, bist aber auf dem richtigen Weg.

9 bis 10 Punkte erfüllt
Egal, was Du beruflich aktuell tust: Hör sofort auf damit! Du musst umsatteln. Du musst Reiseleiter werden. Oder Reiseleiterin natürlich. Jetzt.