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«In erster Linie gehts um die Bedürfnisse der Einheimischen»
Gregor WaserFrau Plüss, die UNWTO hat für 2017 das Jahr der Nachhaltigkeit im Tourismus ausgerufen. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Christine Plüss: Wie befürchtet, hören wir sehr viele schöne Worte, Rhetorik, Verlautbarungen; es finden Panels und Diskussionsveranstaltungen statt und es werden Ambassadoren ernannt. Doch was findet in der Praxis statt? Es fehlt eindeutig an konkreten Aktionen.
Was müsste die UNWTO machen?
Die UNWTO hat einen beachtlichen Einflussbereich nicht nur auf Länder, sondern auch auf Tourismusunternehmen, die zu ihrem Mitgliederkreis zählen. Wenn man schon so ein grosses Brimborium macht, hätte ich erwartet, dass es verbindliche konkrete Handlungsvorschläge gibt. Dass die Mitglieder konsequente Massnahmen ergreifen und aufzeigen: das machen wir, um den Tourismus, der zu uns kommt und aus unserem Land raus geht, in nachhaltige Bahnen zu lenken. Das UN-Jahr wäre eine riesige Chance, wenn Länder Lenkungsmassnahmen treffen und Unternehmen, unterstützt von Verbänden, Vorhaben einleiten würden, zum Beispiel ihre Nachhaltigkeitsbemühungen zertifizieren lassen. Von all dem sehe ich nichts, ausser Berichte zum Potenzial des Tourismus und ein paar Best-Practise-Beispiele.
«Regierungen und die Privatwirtschaft sind gefordert, die Grenzen der Tragfähigkeit von Lebensräumen zu respektieren»
In welchen Bereichen liegt das Massnahmen-Defizit?
Ich orte drei Bereiche: Erstens fehlen im globalen Rahmen effiziente Klimamassnahmen, um die Treibhaus-Gase zu reduzieren, ob im Flugverkehr oder bei Kreuzfahrten. Hier müsste man sich auf das Pariser Abkommen beziehen und endlich vorwärts machen, statt nur Absichtserklärungen von sich zu geben. Ein Punkt ist die Steuerfreiheit von Kerosin, der auf globaler Ebene angegangen werden müsste. Zweitens geht es um die Tragfähigkeit von Destinationen, das erleben wir derzeit an vielen Orten, die unter Overtourism leiden. Hier geht es um Überbelastungen und den Verschleiss von Ressourcen. Regierungen und die Privatwirtschaft sind gefordert, die Grenzen der Tragfähigkeit von Lebensräumen zu respektieren. Drittens und damit verbunden geht es um den sozialen Bereich: Die Einheimischen müssen an Entscheiden und am Ertrag des Tourismus direkt und fair beteiligt werden. Nur sie können sagen, wieviel Tourismus eine Destination ertragen kann und wie er aussehen muss, damit sie nicht überfahren werden, sondern daran teilnehmen. Das wäre eine logische Geschichte. Dass eben Tourismusvorhaben nicht von oben herab, von Regierungen über Regionen gestülpt werden. Sondern dass man schaut, wie sind die Bedürfnisse von denen, die davon profitieren sollen.
Welche Rolle sollte die UNWTO bei diesen Punkten spielen?
Entscheidend wäre, dass die Organisation den Tourismus nicht nur daran misst, wie gross sein Wachstum ist oder welche Perfomance er hat, sondern was er den Einheimischen bringt. In erster Linie gehts darum, die Bedürfnisse der Einheimischen voranzustellen. Wenn man in den Overtourism-Hotspots – Venedig oder Barcelona, aber auch etwa Machu Picchu oder den thailändischen Inseln beachten würde, was es braucht, dass die Leute vom und mit dem Tourismus leben können – nicht nur die Menschen, die im Tourismus arbeiten, sondern alle Einheimischen und in der ganzen Wertschöpfungskette, auch Handwerker, Bauern und Fischer, dann würde die Stimmung sofort anders.
Welche Bedeutung haben die Menschenrechte in dieser Diskussion?
Die Rechte der Menschen zu respektieren, die man besucht, ist absolut elementar und zentral. Wir gehen in ihren Lebensraum. Sie müssen mitwirken und mitbestimmen können, wie der Tourismus gestaltet wird, wie Land, Wohnraum oder etwa Wasser im Tourismus genutzt wird. Dazu gehören auch würdige Arbeitsbedingungen und der Schutz der Kinder vor Ausbeutung. Ohne Respekt der Menschenrechte gibt es keine nachhaltige Entwicklung.
Was sollten Reisebüros besser machen, um die Nachhaltigkeit zu thematisieren?
Es steht noch ziemlich prekär damit, wie kommuniziert wird, welches Produkt nachhaltig ist. Die Kundschaft muss besser sehen, dass gewisse Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden – auf eine Art und Weise, dass man dies auch versteht. Nur mit einem neuen Kleeblättli ist es nicht getan. Es gibt heute schon weit über 100 Nachhaltigkeitssiegel, was für Kunden nicht sehr hilfreich ist, darum haben wir auch einen Label-Führer gemacht. Im Reisebüro – zumindest beim altherkömmlichen Buchungsweg – wäre es wichtig, dass man auf ehrliche Weise sagt, was man im Bereich Nachhaltigkeit erreichen kann und das gleichsetzt mit Qualität. Dabei soll auch der Verband unterstützend wirken. Denn die Kundschaft ist heute ansprechbar auf Nachhaltigkeit. Eine gute Reise ist nicht die, die in die hinterletzte Ecke der Welt führt, die niemand anders vorher gesehen hat. Eine gute Reise ist die, bei der man weiss, ich kann meine Treibhaus-Gase kompensieren oder es entstehen sehr wenige; der Ressourcen-Verbrauch ist eingedämmt, die Angestellten arbeiten zu fairen Bedingungen. Und die Einheimischen sind zufrieden und warten nicht mit «Tourist go home»-Plakaten auf.
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