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Das eigenartigste Abendessen meines Lebens
Christian BerzinsVorletzte Woche war ich am eigenartigsten Essen meines Lebens. Gastgeber war Ivan: Ivan der Grossartige. Er besitzt in Fontanelle di Roccabianca, 30 Minuten ausserhalb Parmas, ein Restaurant mitsamt vier Zimmern – 1000 Freunde hat er noch dazu: Vom mächtigen Barilla-Boss Guido Maria bis zum kleinsten Salamiproduzenten gehören alle rund um Parma zu seinem Freundeskreis.
Selbst von Toten erzählt er, als habe er mit ihnen gestern noch Wein getrunken. Als er mir vom legendären Restaurant Cantarelli vorschwärmte, wie dort die Callas, De Niro und Staatspräsidenten einst an den Tischen sassen, wie grandios Giuseppe den Borgotaro-Pilz gekocht hätte, staunte ich.
Als Ivan aber sagte, dass das Restaurant seit 1982 zu sei und er nie dort gewesen wäre, weil er damals noch zu jung war, musste ich schmunzeln. Ich bekam allerdings eine spontane Besichtigung der spinnwebenverhangenen Räume mitsamt den Promifotos, da Ivan naturgemäss auch den Sohn von Giuseppe kennt. Katzen hat Ivan übrigens auch schon gegessen. Sie schmecken offenbar wie Kaninchen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dunkle Salami, dahinter ein gereifter Schinken
Nichts macht Ivan lieber, als seine Freunde zusammenzubringen. Als er mir an unserem vereinbarten Abend etwas über den Salame di Felino hatte erzählen wollen, lud er gleich 15 Salame-Kenner ein: Giuseppe und Stefano Bettella, die ihre Schweine selbst züchten und Schinken wie Salami machen, diese Produkte stellen alle anderen Grossartigkeiten rundum in den Schatten; den Osteria-Besitzer Achille Fereoli aus Felino, der Wein und – naturgemäss – Salami di Felino herstellt; Ugo Bertolotti, Präsident der «Malvamici», die sich für die Malvasia-Traube einsetzen; den Grappa-Maestro Giuseppe Scaltriti, dessen Grossvater Mario das Schloss Roccabianca, Produktionsstätte der Destillate, 1968 gekauft hatte; Vittorio Simonini, der seinen Prosciutto im «Globus» verkauft: Dieser Schinken-Fürst brachte einen zehnjährigen Prosciutto mit, etwa sieben Kilo schwer, ein Vermögen wert.
Um 20 Uhr hätte der Abend beginnen sollen. Als ich um 18 Uhr zwei, drei Schritte im Dorf machen wollte, war aber bereits ein Gast, der Herausgeber einer Salumi-Enzyklopädie, da – und flugs sassen wir zu dritt in Ivans Lagerraum, wo eine angeschnittene, dunkle Salami auf dem Tisch stand, dahinter ein gereifter Schinken, daneben ein Koloss von einer Schulter-Rarität am Knochen, die Ernestino Carraglia nur zwanzig Mal pro Jahr produziert.

Kaum den Salami probiert, schenkte der Padrone einen 18 Jahre alten Schaumwein aus der Gegend ein – gemacht aus Chardonnay- und Pinot-noir-Trauben. Dieser Wein aus dem belächelten Lambrusco-Gebiet könnte es locker mit einem grossen Champagner aufnehmen.
So ging das weiter bis Mitternacht: mit Spalla cruda und cotta, mit Paletta Arrosto Affumicato und Coppa und was da in den Salumerien noch alles für Wunder hergestellt werden.
Neue Gäste, neue Weine, neue Prosciutti kamen – man hatte längst in den Speisesaal des Restaurants gewechselt. Jeder konnte mit jedem über den Wein im Glas oder das Stück Schinken oder Salami, das gerade auf seinem Teller lag, 15 Minuten diskutieren. Am Ende stand da ein 37 Jahre alter italienischer Brandy von Schlossbesitzer Scaltriti.
Eine grosse Platte Spalla Cruda
Was will ich damit sagen? Vielleicht dies: In Verbier war ich einst Gast bei einem Empfang in einem riesenhaften, todschicken Chalet eines Millionärs. Als ich zu Beginn der After-Concert-Party nach dem ersten vor lauter Hunger rasch ein zweites Stück Käsekuchen von der Theke nehmen wollte, hiess es: «Moment, es kommen noch andere Gäste.»
Ivan entschuldigte sich beim Caffè um 8 Uhr morgens, dass am Vorabend niemand richtig gekocht hätte. Dann stiegen wir ins Auto und fuhren zu Ernestino Carraglia, der am Vorabend nicht hatte dabei sein können, und schauten seine Produktionsräume an, alsbald, es war noch vor 10 Uhr, servierte er uns eine grosse Platte Spalla Cruda (Schulterschinken), begleitet von einem Wein ohne Etikette. Er sei von «Sotto la tavola» (von «unter dem Tisch»), sagte Ernestino im selben Tonfall wie andere «ein Mouton Rothschild 1988» sagen. Den Scherz kostete er mit strenger Miene aus und füllte die Gläser neu, schnitt seinen Wunderschinken erneut an und füllte die Platte zum zweiten Mal.
Was ich auch noch sagen will: Laden wir lieber einmal mehr als einmal weniger Freunde ein, durchaus auch spontan: Seien wir dann grosszügig, gastfreundlich, ja verschwenderisch, geben den Freunden oder auch unbekannten Gästen nur vom Besten. Es kommt alles irgendwie und irgendwann zurück.
Tolle Adressen rund um Parma:
- Hostaria da Ivan, Fontanelle di Roccabianca
- CroceDelizia, Salumificio von Ernestino Carraglia, Sorragna
- Vittorio Simonini, Prosciutteria, Langhirano
- Spirito Verdiano von Giuseppe Scaltriti, Roccabianca
- Salumi Bettella von Giuseppe und Stefano Bettella, Gabbioneta-Binanuova
Dieser Artikel erschien zunächst in der «Schweiz am Wochenende».