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De Luxe Durch sieben Türen musst du gehen
Christian BerzinsAls Kind konnte ich tagelang der Frage nachstudieren, wo das Schlaraffenland liegt: Wo also die Hühner gebraten durch die Luft in den offenen Mund fliegen und die Bäume Würste tragen. Doch die Erwachsenen wussten nicht mal, ob dieses Land weit weg, also hinter St. Gallen, oder nah, schon hinter Waldshut, sei.
Allerdings hatte ich damals einen Verdacht und vermutete das Schlaraffenland im Schwarzwald. Kam damals Besuch zu uns, fuhr meine Mutter jeweils am Vorabend über die Grenze hinter die sieben Berge zu einem Hof in ein verwunschenes Tal, holte dort ein Dutzend in einer Holzkiste aufgebahrte geräucherte Forellen ab, die nicht nur regenbogenfarben glänzten, sondern alsbald ihren goldenen Duft durch das Auto und später durch die Wohnung verströmten.
Luxushotel mit allem Drum und Dran
Seit ein paar Tagen weiss ich nicht nur, dass das Schlaraffenland tatsächlich im Schwarzwald zu finden ist, sondern kenne auch den genauen Ort: in Baiersbronn, einer Gemeinde mit 15’000 Einwohnern im Landkreis Freudenstadt. In dieser Dörfchen-Gemeinschaft 50 Kilometer südlich von Baden-Baden gibt es nicht nur zwei Restaurants mit den zur Champions-League-Teilnahme berechtigten drei Michelin-Sternen (in der ganzen Schweiz gibt es vier davon, in Deutschland zehn), sondern da stehen auch noch zwei 1-Sterne-Lokale. Und ganz wichtig: Dort gibt es den Forellenduft aus der Kinderwelt wieder zu riechen.
Keine Angst, wir nehmen jetzt nicht Forellen aus und wir essen uns auch nicht gemeinsam durch diese 8 Sterne, sondern öffnen erst mal die Türe des Hotels «Bareiss» in Dorf Mitteltal: Das ist ein Luxushotel mit allem Drum und Dran. Aber zu allen Annehmlichkeiten ist es das Zentrum des lange vermissten Schlaraffenlandes.
Hier im «Bareiss» gilt es nicht über sieben Brücken zu gehen, um dann endlich im hellen Schein zu stehen, wie es einst ein Popsong versprach, sondern hier sind es sieben Türen: Eine jede verspricht paradiesische Freuden. Doch aufgepasst. Ich kenne nun sieben, bin aber nicht ganz sicher, ob sich in diesem Zauberhaus noch eine achte oder neunte öffnet, der Gast dadurch vielleicht in ein nochmals neues Reich eines mit dem Kochlöffel zaubernden Herrschers gelangt. Es ist jedenfalls so schon mehr als mysteriös, wie rasch man im «Bareiss» von einer Welt in eine komplett andere gelangt.
In einem guten Film würde Türe 1 knarren
Gerade noch in der Lobby, wo die grosse Welt ein- und ausgeht, gelangen wir durch eine mit Bauernmalerei verzierte Vintage-Türe in die «Dorfstube». In einem guten Film würde diese Türe 1 lustvoll knarren. Nach dem Eintritt fühlt man sich in diesen warmen Räumen sofort geborgen und fern der Welt.
Das Personal trägt Tracht, an der Wand hängen Kuckucksuhren, Jagdtrophäen und ein Kruzifix, nach dem Rehschinken gibt’s Hirschragout mit Schupfnudeln und gebackenen Mastochsen mit Spätzle. Es ist eine herzhaft gebutterte Küche, die glücklich macht – so, als sässe man noch einmal bei Oma am Tisch.
Es ist jene Art Lokal, wo man mit den besten Freunden sitzen will, jenes Restaurant, wo man um 12.15 Uhr für eine Vorspeise und ein kleines Bier hineingeht und schliesslich um 16 Uhr nach vier Gängen und ein paar Gläsern zu viel herausgeht. Wir schliessen Türe 1, machen erst mal tausend Schritte.
Die Schwarzwaldhügel zeigen sich im Herbst golden, dazwischen liegen Bauerndörfer und Wiesen, bisweilen ein Städtchen, immer wieder mal ein Bach oder Fluss, wo die Forellen herumsausen – die Erde duftet nach Kuh und Pilz. Prächtig ist das, aber niemand soll mit falschen Versprechungen in diesen Teil Deutschlands gelockt werden. Es kommt auch niemand her, der in den Wintersport vernarrt ist. Schneesicherheit war vorgestern. Dafür kann man hier ohne Ende wandern. Und mittlerweile naturgemäss biken, golfen, reiten, fischen, was auch immer. Nichts tun zum Beispiel. Wer im Hotel «Bareiss» strandet, ist vom Druck, rauszugehen, befreit.
Nie mehr raus hier
Öffnen wir nun die Türe 2, hinein in den 3-Michelin-Sterne-Tempel. Ohne ein Geheimwort zu sagen, gleitet man durch eine Glastür in den Raum und weiss sofort: Hier will man nicht mehr rausgehen. Drei Stunden später, wenn der Wagen mit Confiserie und Pralinen auffährt, kommt der Gedanke: Hier kommt man gar nicht mehr raus. Es ist ein Saal von pompöser Schlichtheit – und die zeigt sich auch auf den Tellern. Das ist französische Küche auf höchstem Niveau. Nach einem solchen Mahl kann nur noch die Henkersmahlzeit kommen.
Gänseleber, bretonischer Hummer, Rehrücken oder Elsässer Taube – hier geht’s klassisch zu und her, aber die Produkte werden ungemein kunstvoll gefeiert. Und Starkoch Claus-Peter Lumpp liebkost sie mit paradiesischen Saucen und Jus. Macht er mal ein Spässchen und bereitet einen «Zwiebelkuchen» her, wird’s ein Gericht, das in seiner Komplexität staunen macht.
Tausend Weine stehen zur Auswahl; wer will, trinkt einen unter 50 Euro und erhält dennoch einen guten badischen Wein. Aber klar, da gibt es auch Burgunder für 8000 Euro – und Extrawürste. Auf unseren Wunsch stellt der Sommelier eine deutsche Weinbegleitung zusammen und kommt erst beim Dessert – hier dunkle Schokolade, da Boskop – ins Grübeln. Nach den Friandises winken wir bei den weiteren Verlockungen ab.
Forellenlädle und tolles Restaurant
Das war nämlich erst Türe 2. Jetzt aufs Rad und hinaus nach Buhlbach zum «Forellenhof» – Türe 3! Das ist eine Forellen- und Saiblingzucht mitsamt Räucherei, Forellenlädle und tollem Restaurant. Sogar auf der Kinderkarte gibt’s hier Forelle – für die Grossen vom Kaviar über den Burger (Forellenküchle genannt) zum Forelleneintopf alles, was man sich ausdenken kann. Jedes Gericht ist auf einfache und gute Art zubereitet. Und begehrt. Sonntagmittag ist rasch kein Tisch in den zwei Stuben frei.
Nicht nur in diesem hundert Jahre alten Fischhof zeigt sich der unternehmerische Geist der Familie Bareiss, auch in einem mit etwas nobler Zurückhaltung «Wanderhütte» genannten Haus, der Sattelei, versteckt sich ein Bijou, wo man sich mit Maultaschen oder Schäufele nach der Wanderung stärken kann. Türe 4.
Türe 6 liegt im zweiten Untergeschoss
Wer im Hotel am Morgen zu früh erwacht oder von einem Kleinkind geweckt wird, schlüpft am besten gleich in den Bademantel und fährt ins zweite Untergeschoss zu Türe 5: Hier in der Bade- und Saunawelt gibt es nämlich von 7 Uhr an Kaffee, Laugencroissants und Müesli.
Nach acht Längen im Aussen- und sechs im Innenpool geht es mit der ganzen Familie ins grosse Restaurant – Türe 6 – zum Hauptfrühstück. Am Abend kommt man durch dieselbe Türe zu seinem Halbpension-Menü.
Um alle diese Türen zu öffnen, muss man einige Tage im Haus bleiben (oder das Haus von extern besuchen?). Wer allerdings bedenkt, dass nur 14 Autominuten entfernt ein zweiter Schlaraffenland-Komplex mitsamt 3-Sterne-Restaurant steht, der wird von einem leichten Schwindel gepackt. Hannes Bareiss, gefragt, ob es Fluch oder Segen für ihn sei, dass diese «Traube Tonbach» so nahe steht, sagt gelassen: «Geniessen hat nichts mit einem Fluch zu tun, die Restaurants können nicht nah genug beieinander liegen.»
Ich nehme es mir zu Herzen, überfliege die Notizen und entdecke den Hinweis auf eine nächste Tür: «Mitternachtsimbiss an der Hotelbar!» Dort bei einem alten Cognac nachgefragt, erzählte der Barkeeper von einfachen Köstlichkeiten, die dann über den Tresen wandern. Und mir ist nach der Entdeckung von Tür 7 klar: Es braucht keinen Beweis mehr, dass das Schlaraffenland im Schwarzwald liegt.
Informationen: www.bareiss.com
Dieser Artikel erschien zunächst in der «Schweiz am Wochenende».