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In Südtirol gibt es Orte und Plätze von denen eine besondere Energie ausstrahlt. Bild: Markus Fässler

In der Ruhe liegt die Kraft

Markus Fässler

Kraftorte: Für die einen Hokuspokus, für die anderen eine Möglichkeit, die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Im Südtirol finden sich gleich mehrere solche Plätze. Auf Entdeckungstour im Nationalpark Stilfserjoch.

Zusätzliche Kraft ist in allen Lebenslagen willkommen. Kraftorte sollen eine Möglichkeit sein, neue Energie zu gewinnen. Grund genug, mich während eines Ausflugs nach Südtirol auf die Suche nach diesen mysteriösen Plätzen zu machen.

Davon gibt es in der Region nämlich eine ganze Reihe, gemäss der offiziellen Tourismusorganisation IDM Südtirol sind es über 150. Praktischerweise liegen die meisten davon entlang einer Wanderroute. Natur und neue Kräfte: eine vielversprechende Kombination.

Auf dem Weiberbödele

Ich bin unterwegs auf dem Archaikweg. Dieser alte Karren- und Säumerweg verbindet Prad im Vinschgau mit Stilfs. Auf der Route sind mit Kaschlin und dem Weiberbödele gleich zwei Kraftorte anzutreffen. Kaschlin ist ein prähistorischer Siedlungsplatz, das Weiberbödele eine Fundstelle aus der Bronzezeit. Kurz nach dem Start in Prad führt der Weg durch einen bunten Mischwald in die Höhe. Ich komme bereits ein erstes Mal ins Schwitzen und brauche einen Schluck Wasser.

Das Dorf Stilfs ist bekannt für seine steilen Gässchen und Treppen. Bild: Markus Fässler

Ich nehme mir vor, am nächsten Morgen weniger vom berühmten Südtiroler Speck zum Frühstück zu verspeisen. Dieser schmeckt zwar vorzüglichen, scheint aber wegen des Salzgehalts vor einer Wanderung nicht besonders ratsam zu sein. Gleichzeitig wird mir in diesem Moment bewusst: Um zu den Kraftorten zu gelangen, braucht es, je nach dem, wo sich dieser befinden, Kraft.

Kaschlin, einer der Kraftorte in Südtirol, ist ein prähistorischer Siedlungsplatz. Bild: Markus Fässler

Vorbei an weidenden Kühen, durch kühle Waldabschnitte und durch das idyllische Dorf Stilfs mit seinen steilen Strässchen und Treppen – der Sage nach tragen hier selbst die Hennen Steigeisen – geht es weiter dem Weiberbödele entgegen, den imposanten 3905 Meter hohen Berg König Ortler immer wieder im Blickfeld.

Dort angekommen macht sich erstmal Skepsis bei mir breit. Hier soll es also besondere Erdkräfte geben? Die leicht abfallende Wiese wirkt auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär. Das muss jedoch nichts heissen: «Ein Kraftort weist eine signifikant stärkere Erdkraft auf als seine Umgebung und die Kraft ist von aufbauender Qualität», erklärt Andrea Fischbacher, Leiterin der Forschungsstelle Kraft- und Kulturorte Schweiz, auf Anfrage das Phänomen Kraftorte. Wie andernorts im Leben kommt es also auf die inneren Werte an.

Beim Weiberbödele handelt es sich um eine Fundstelle aus der Bronzezeit. Bild: Markus Fässler

Nun gut. Ich setze mich auf dem Weiberbödele ins hohe Gras und versuche, die Energie zu spüren. Wissenschaftlich nachzuweisen ist sie nicht. Um sie zumindest einigermassen greifbar zu machen, wird sie in Bovis-Einheiten, der Messeinheit für Lebensenergie, gemessen.

Neutrale Plätze verfügen demnach über bis zu 7000, Kraftorte über bis zu deren 18'000 Bovis-Einheiten. Die Grillen um mich herum veranstalten ein Zirpkonzert, der rauschende Bach sorgt für die Hintergrundmusik.

Weit unter mir im Tal zieht sich die Strasse, die Prad mit dem Nationalpark und dem gleichnamigen kurvenreichen Pass Stilfserjoch verbindet, durch die Landschaft. Auch König Ortler ist wieder zu sehen. Eine innere Ruhe breitet sich in mir aus. Ist das der Erdkraft zu verdanken? Oder ist es die beeindruckende Kulisse und die sorgenfreie Zeit in der Natur?

Quellen mit heilender Wirkung

Am nächsten Tag steht einer der bekanntesten Kraftorte im Nationalpark Stilfersjoch auf dem Programm: das Kirchlein der Heiligen drei Brunnen in Trafoi. Am Fusse von König Ortler im Talkessel gelegen, ist es umgeben von steilen Felswänden.

Im 13. Jahrhundert soll hier der Hirte Moritz drei aus dem Felsen fliessende Rinnsale entdeckt haben, die ein Kreuz mit sich trugen. Im 15. Jahrhundert wurde das Kirchlein errichtet, das von nun an ein Marienwallfahrtsort war. Den Heiligen Quellen werden bis heute heilende Kräfte zugesprochen. Vom nahen Parkplatz sind sie in rund 5 Minuten bequem zu Fuss erreichbar.

Meditativer Ort: Schon die Lage des Kirchleins der Heiligen drei Brunnen bei Trafoi ist besonders. Bild: Markus Fässler

Ganz so einfach will ich es mir aber nicht machen, schliesslich habe ich an diesem Morgen meiner körperlichen Verfassung zuliebe auf den Frühstücksspeck verzichtet. Und auch, weil es Parkplatz Startpunkt eines Rundweges entlang am Rande des Talkessels zu den Wasserfällen von Trafoi ist.

Wieder heisst es zu Beginn, Höhenmeter gewinnen. Das geht dank weniger Speck heute mit weniger Flüssigkeit. Immer wieder führt der Weg über verschiedene Bäche. Ich komme zu einem weiteren Übergang und beobachte für eine Weile, wie sich das Wasser seinen Weg über die Felsen nach unten bahnt. Ich drehe mich um und geniesse die wärmenden Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht.

Weit unter mir liegt das beinahe ausgetrocknete Flussbett und das Kirchlein der Heiligen drei Brunnen. Das Plätschern des Wassers wirkt äusserst beruhigend. Vielleicht ist das ja auch ein Kraftort, überlege ich, bevor ich den Abstieg in Angriff nehme.

Aufgeladen

In der Talebene angekommen, überqueren ich die Brücke und stehe vor dem weissen Kirchlein. Die drei Quellen sind gleich nebenan und zu finden. Ich gönne mir einen kräftigen Schluck aus einer davon und spüre die erfrischende Wirkung des kalten, kristallklaren Wassers. Auch an diesem Ort fühle ich mich, ebenso wie auf dem Weiberbödele, zufrieden.

Hier treten die drei Quellen aus dem Felsen. Bild: Markus Fässler

Ob es nun das Wasser aus der Quelle, die frische Luft oder die Wanderung war, die Glücksgefühle in mir hochkommen lassen, weiss ich nicht. Vielleicht ist es auch eine Kombination aus allem. Und eigentlich ist es für mich auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist: Meine Batterien sind nach diesen Tagen im Südtirol wieder voll aufgeladen.