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Auf der Place du Bareuzai in Dijon. Bild: R. Krebel

Eine Stadt zelebriert ihre Köstlichkeiten

Silvia Schaub

Senf und Pain d’épices – dafür ist Dijon schon seit dem Mittelalter bekannt. Die Hauptstadt des Burgunds punktet heute aber vor allem mit seiner attraktiven verkehrsfreien Altstadt, den gemütlichen Restaurants und neuerdings der Cité Internationale de la Gastronomie et du Vin. Noch dazu liegen die Weinberge gleich vor der Haustür.

«Nur allein des Senfs wegen nach Dijon zu fahren?» meint Sébastien lachend. Das wäre viel zu schade, die Region habe so viel mehr zu bieten, findet unser Guide. «Hier zum Beispiel wächst der Rolls Royce unter den Weinen!»

Sébastien weist auf den Weinberg hinter der Steinmauer mit der Aufschrift «Romanée-Conti» und flüstert, dass man nicht nur die Qualität bezahle, sondern auch die Rarität. Für eine Flasche dieses begehrten Grand Crus zahlt man schnell einmal einen fünfstelligen Betrag.

Wir setzen uns ins knallrote VW-Büsli von Sébastien, der uns von Dijon durch die Côte de Nuits kutschiert. Holpernd geht’s durch Orte mit Namen, die Weinliebhabern das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen: Gevrey-Chambertin, Morey-Saint-Denis, Chambolle-Musigny oder Clos Vougeot. Dazu gibt uns Sébastien einen Geologie-Exkurs und erklärt, wie hier 1260 verschiedene «Climats» entstehen konnten.

Guide Sébastien führt Weinliebhaber durch die Côte de Nuits. Bild: S. Schaub

«Climat» steht im Burgund für eine Kleinlage respektive das Terroir. Sie sind so unterschiedlich und von so besonderer Qualität, dass an der Côte de Nuits nicht nur 24 Grand Crus wachsen, sondern das ganze Gebiet (zusammen mit der Côte de Beaune) seit 2015 UNESCO-Weltkulturerbe ist.

Dijon, eine wahre Schönheit!

Darauf ist nicht nur Sébastien stolz. Und natürlich hat er recht, dass auch die Stadt Dijon mehr als nur Senf zu bieten hat. Das bestätigt auch Sylvain, der uns am nächsten Tag auf eine Tour durch Dijon mitnimmt. Als «la belle endormie» bezeichnet er seine Stadt. Ja, Dijon ist fürwahr die Stadt im Dornröschenschlaf, die nun geweckt wurde. Und wie! War Dijon noch vor ein paar Jahrzehnten eine graue, unscheinbare Stadt, erdrückt vom Verkehr, der durch die Innenstadt führte.

Und heute? Eine wahre Schönheit! Der Verkehr ist weitgehend draussen, viele Strassen und Plätze sind mit dem regionalen Kalkstein oder Comblanchien gepflästert, dem Marmor der Armen. Dadurch wirkt die Stadt hell und leicht. Und richtig mediterran – obwohl das Meer ein paar Hundert Kilometer entfernt ist.

Auf der Place de la Libération. Bild: B. Herrmann

Und da sind all die Prunkbauten, die die Stadt ihren Herzögen zu verdanken hat. Angefangen beim Palais des Ducs et des États de Bourgogne mit dem halbrunden Place de la Libération, den Kathedralen und dem Tour Philippe le Bon (1396-1467). Diesen zu besteigen lohnt sich, auch wenn man 316 Stufen bewältigen muss.

Oben bekommt man einen Überblick über die verwinkelten Gassen mit den historischen Fachwerkhäusern und den herrschaftlichen Bürgerpalais, die hier Hôtel heissen. Dort oben bekommt man auch die Erklärung dafür, weshalb Dijon als «Stadt der 100 Glockentürme» gilt, selbst wenn heute längst nicht mehr so viele vorhanden sind.

Blick auf die Place de la Libéraion. Bild: S. Schaub

Die Notre-Dame mit ihren imposanten Wasserspeiern an der Westfassade aber steht noch. Sie hat weit mehr zu bieten. Auf dem rechten Turm des Westbaus thront die Uhr mit dem Glockenschläger Jacquemart. Diese Männerfigur brachte Philipp der Kühne 1382 aus Belgien als Siegestrophäe nach Hause.

Über die Jahre bekam er seine Frau Jacqueline zur Seite, später die Kinder Jacquelinet und Jacquelinette. Und da lockt auch la Chouette auf der Nordseite der Kirche. Wer die steinerne Eule mit der linken Hand berührt und die rechte aufs Herz legt, könne sich einen Wunsch erfüllen, erklärt uns Sylvain.

Wer die steinerne Eule berührt, kann sich einen Wunsch erfüllen. Bild: R. Krebel

Es wimmelt auch in der Stadt nur so von Eulen, rund 1200 dienen als Wegweiser aus Bronze auf den Trottoirs für verschiedene Rundgänge.

Besuch beim Moutardier

Kein Wunder also scheinen die Dijonais ein glückliches Völklein zu sein – und dazu noch ein genussvolles. Flaniert man durch die verkehrsfreien Gassen, stolpert man früher oder später auch über die bekanntesten Spezialitäten Dijons. Den berühmten Senf kann man an fast jeder Ecke erstehen. Aber an der Rue de la Chouette lohnt es sich, beim letzten noch unabhängigen Moutardier Edmond Fallot vorbeizuschauen. Er bietet von Basilikum bis zu Trüffel rund 35 Sorten an und produziert ausschliesslich im Burgund.

Einen Besuch sollte man auch bei Mulot & Petitjean an der Place Bossuet einplanen. Nicht nur wegen des köstlichen Gebäcks, dem Pain d’épices – dieses kam dank Margarete von Flandern, Gattin von Philipp dem Kühnen, nach Dijon –, sondern auch wegen des historischen Ambientes des Ladenlokals.

Besuch bei Mulot & Petitjean an der Place Bossuet. Bild: S. Schaub

Kunterbuntes Treiben in der Markthalle

Nicht weit entfernt lockt die Markthalle Les Halles, die mit ihrer beeindruckenden Eisenkonstruktion nicht zufällig an den Eiffel-Turm erinnert. Zwar hat ihn nicht der Dijonais Gustave Eiffel entworfen, aber der Ingenieur Louis-Clément Weinberger habe sich von alten Plänen Eiffels inspirieren lassen, weiss Sylvain.

Ein kunterbuntes Treiben ist es in der Markthalle mit den über 200 Händlern. Sie bieten alles feil, was die Gegend an Schätzen hat: Charolais-Rind, Époisses, den fein schmelzenden Weichkäse, natürlich Burgundertrüffel und auch Weinbergschnecken. Wer da gleich Hunger bekommt, findet an jeder Ecke des Stadtzentrums – und ist sie noch so eng – kleine, hübsche Restaurants, Bistros und Bars.

Die Dijonais scheinen einen besonderen Schalk zu besitzen, wenn es um originelle Restaurant-Namen geht, und jonglieren mit kreativen Wortspielen: «L’un des sens», «Les Friants disent» oder «La fine heure». Letzteres bietet eine ausgezeichnete lokale Küche. Ja, die lokale Küche mit ihren bekanntesten Gerichten wie Boeuf bourguignon, Jambon persillé oder Escargots wird hier regelrecht zelebriert.

Weil die französische Esskultur ein immaterielles Kulturerbe ist, hat man im letzten Jahr nahe dem Bahnhof ein wahres Genuss-Mekka eröffnet: die Cité Internationale de la Gastronomie et du Vin. Mit der Schliessung des Krankenhauses, dem Hospices de Dijon aus dem fünfzehnten Jahrhundert, konnte das sechseinhalb Hektar grosse Gelände genutzt werden. Darauf befinden sich nun ein Ableger der berühmten Pariser Kochschule Ferrandi, Boutiquen, Event-Küchen, Kinos, eine Weinschule und ein Weinkeller mit 3000 Weinen. Dazu eine ganze Reihe von Ausstellungen zum Thema Genuss. Besonders eindrücklich diejenige in der ehemaligen Kapelle zum Thema Climats et terroirs.

Mitten in der Altstadt von Dijon. Bild: S. Schaub

Bei so viel Genuss darf man in der 160 000-Einwohner-Stadt eine Person nicht vergessen: Félix Kir! Dank dem Priester und Politiker hat Dijon eine Art Nationalgetränk. Sein bevorzugter Apéritif war Weisswein mit einem Schuss Crème de Cassis, der heute zu seinen Ehren als Kir bezeichnet wird.

Schliesslich wünscht man sich in Dijon: Bon appétit et large soif – guten Appetit und grossen Durst. Wer braucht da noch den Weg nach Paris unter die Füsse zu nehmen, Dijon liegt nur einen Katzensprung von der Schweiz entfernt!