Lifestyle

Early Birds auf Netflix, Drehstart: Silvana Synovia, Nilam Farooq, Regisseur Michael Steiner, Anatole Taubmann. Bild: Raphael Diethelm

«Filmerfolg ist noch kein Garant für touristischen Erfolg»

Andreas Güntert

Netflix plant mit «Early Birds» einen ersten Schweizer Film. Was bringt das dem Reiseland? Schweiz Tourismus Direktor Martin Nydegger über touristische Sogwirkung in Film und Fernsehen.

Dieser Tage ist Drehstart für die erste Schweizer Koproduktion von Netflix, Hugofilm Features und CH Media Entertainment. Arbeitstitel des Films: Early Birds. Ein sogenannter Neo-Noir-Thriller soll es werden, ein «düsterer, fesselnder Stoff», mit Stars wie Nilam Farooq und Anatole Taubmann. Regie führt Michael Steiner, bekannt als filmische Kraft hinter «Grounding», «Mein Name ist Eugen» und der Basler TV-Krimikomödie «Die Beschatter».

Wenn ein Land zur Location eines Netflix-Films wird, ist das grosse News. Und oft Gold wert fürs Marketing: Immerhin ist Netflix mit 223 Millionen zahlenden Mitgliedern in über 190 Ländern der grösste Streaming-Dienst der Welt. Serien und Filme beflügeln die Reisetätigkeit und machen Destinationen begehrenswert. Gerade Netflix hat einen Ruf dafür, als Werbung für Reiseziele zu wirken damit einen wahren Reise-Sog auszulösen.

Netflix-Serien wie «Emiliy in Paris», «Marseille» oder «Bridgerton» wirken als Phänomene und beeinflussen die Reiseentscheidung vieler Menschen. Fans reisen Netflix quasi nach und besuchen die famosen Drehorte. Das eigene Land als Schauplatz eines Netflix-Streifens: Da müsste eigentlich jeder touristische Marketing-Profi frohlocken – oder?

Martin Nydegger, Direktor Schweiz Tourismus: Jubiliert noch nicht über ersten Schweizer Netflix-Film. (Bild: zvg)

Martin Nydegger jubelt noch nicht

«Early Birds»-Regisseur Michael Steiner jedenfalls sieht in seinem Film enormes touristisches Potenzial. Im «Blick» legte Steiner schon mal stark vor: «Netflixfilme können für die Schweiz wertvoller werden als alle Tourismuskampagnen», glaubt der Regisseur von Early Birds.

Martin Nydegger sieht das anders. Der Schweizer Tourismus-Direktor sagt im Internaut-Interview, warum er noch nicht jubelt über die Nachrichten zum Netflix-Drehort Switzerland.

Auf dem Streamingkanal Netflix ist mit «Early Birds» von Regisseur Michael Steiner der allererste Schweizer Film geplant. Wie laut jubelt da der Tourismus-Direktor?

Ich finde das schön, aber deswegen jubiliere ich noch nicht.

Ihre Zurückhaltung erstaunt. Immerhin weiss man, dass Netflix-Filme und -Serien einen erheblichen touristischen Sog erzeugen.

Format und Plattform alleine garantieren noch für gar nichts. Solange der Inhalt nicht mit der touristischen Positionierung übereinstimmt, wird der Nutzen bescheiden sein. Verstehen Sie mich richtig: Ich wünsche Regisseur Michael Steiner ein Maximum an Erfolg. Aber cineastischer Erfolg ist noch kein Garant für touristischen Erfolg.

Macht es Ihnen Angst, dass im Schweizer Netflix-Thriller die Langstrasse Zürich und die Modedroge Kokain eine Rolle spielen werden und womöglich auch typische Schweizer Klischees gezeigt werden?

Natürlich spielen nationale Klischees in solchen Filmen oft eine Rolle. Solche hat man ja auch schon bei der Serie «Neumatt», die als erste Schweizer Serie von Netflix gestreamt wurde, deutlich gesehen – Klischees funktionieren einfach. Aber Angst davor habe ich nicht.

Early-Birds-Regisseur Michael Steiner sagte im «Blick», dass «Netflixfilme für die Schweiz wertvoller sein werden als alle Tourismuskampagnen».

Das sehe ich anders. Richtig erfolgreich ist das Tourismusland Schweiz dann, wenn es die Botschaft selber bestimmen und steuern kann. Wie etwa in den beiden weltweit erfolgreichen Videos mit Roger Federer.

Hat es Sie dabei erstaunt, dass das Werbevideo mit Anne Hathaway über 100 Millionen Klicks, jenes mit Roberto de Niro aber «nur» um 50 Millionen ausgelöst hat?

Als das erste Video im Frühling 2021 so erfolgreich war, dachte ich, dass ich diese Erfolgszahl mit ins Grab nehmen würde. Dass der zweite Film so gut lief, hat sicher auch damit zu tun, dass der Frauen-Anteil an den Klicks sehr viel höher war. Es ist nun mal so: Ferien- und Reiseentscheide werden in Familien und in Paaren zu 60 bis 80 Prozent von Frauen gefällt.

Geht die Serie der Youtube-Videos mit Roger Federer und einem Hollywood-Ass an seiner Seite weiter?

Ja, wir setzen diese Reihe fort. Der Name der Person an Rogers Seite ist noch geheim. Was ich sagen kann: Im Frühling 2023 wird es ums Zugfahren gehen.

Gemäss Erfolgsrezept also wieder mit einer Frau an der Seite? Ein Dream-Team wäre natürlich Roger Federer zusammen mit Michelle Hunziker, die für Schweiz Tourismus in Italien als Ambassadorin wirkt.

Das wäre wohl zu naheliegend und zu kitschig – und zu wenig international. Und zum Frauen-Thema: Jeder Versuch einer einfachen Erfolgs-Duplizierung wäre banal.

«Ist James Bond im Segment der jungen Reisenden, der Generation Z, überhaupt noch relevant?»

Zurück zum Reise- und Filmland Schweiz: Wie sehr schmerzt es den obersten Switzerland-Verkäufer, dass James Bond schon länger nicht mehr in Switzerland zu sehen war?

Die Schweiz kann nicht bestimmen, ob sie Schauplatz eines Bond-Blockbusters wird. Was mir in der jüngeren Vergangenheit wirklich weh tat: Wenn James Bond zwar im Alpenbogen auftritt – aber leider nicht in der Schweiz, sondern in Österreich und Italien. Was man sich aber bei dieser Filmfigur allerdings fragen muss: Ist James Bond im Segment der jungen Reisenden, der Generation Z, überhaupt noch relevant?

Beim Thema Film spielte Bollywood jahrelang eine wichtige Rolle für den hiesigen Tourismus. Das ist beim indischen Nachwuchs wohl auch nicht mehr der allergrösste Hit, oder?

Bollwyood-Filme haben, auch durch ihre Schweizer Film-Szenen, lange sehr gut gewirkt. Nicht nur in Indien, sondern auch weit in den arabischen Raum hinaus. Wir sind aber rechtzeitig von diesen Filmen weg hin zur neuen Generation von romantischen Komödien, sogenannten RomComs und auch TV-Formaten. Wir haben dort durch die Zusammenarbeit mit dem indischen Star Ranveer Sing erfolgreich eine Verjüngung erreicht.

Das klingt nach Vergangenheit. Arbeiteten Sie nicht mehr mit Ranveer Singh zusammen?

Nein, Ranveer Singh ist seit 2019 kein Ambassador mehr für Schweiz Tourismus.

Weil Singh seine Hochzeit am Comer See in Italien statt hierzulande gefeiert hatte?

Nein, nicht deswegen. Aber auch Ranveers Zeit ist langsam vorbei. Neu arbeiten wir in Indien mit dem Leichtathleten Neeraj Chopra  zusammen, der an Olympischen Spielen 2021 in Tokio Gold im Speerwurf holte. In Asien war die Schweiz zudem sehr präsent in der südkoreanischen Netflix-Serie «Crash Landing on You». Was in Südkorea produziert wird, hat eine stilprägende Ausstrahlung auf weite Teile Asiens.

Noch einmal zu Netflix: Eine Serie wie «Emily in Paris» ist doch ein touristischer Traum. Träumen Sie nie von «Emily in Lausanne»?

Man muss auch mal die Realität sehen: Paris als Stadt alleine empfängt pro Jahr so viele Gäste wie die ganze Schweiz. Natürlich wäre eine solche Präsenz grossartig. Auch wenn es ungewiss bleibt, ob ein allfälliger Erfolg dann auch wirklich ein Reisebegehren auslöst.

Was löst denn bezüglich Film relativ verlässlich ein Reisebegehren aus?

Was man bezüglich der Wirkung von Filmen aus der touristischen Forschung weiss ist: Es sind vor allem die schönen landschaftlichen Bilder, die einen touristischen Sog auslösen. Wenn wir als touristische Marketingorganisation selber am Lenkrad sitzen, kommt es für die Schweiz als Tourismusland am besten heraus.