Karriere

Wer keine Karriere machen will, dem fehlen noch lange nicht die Qualifikationen dazu. Bild: Fotolia

Karriere machen zu wollen, ist keine Pflicht

Felix Frei

Psychologe Felix Frei macht sich Gedanken zum beruflichen Weiterkommen und sagt jenen, die bewusst auf eine Karriere verzichten, was es in diesem Fall zu beachten gilt.

Wer den Ehrgeiz heutiger Eltern in Bezug auf ihre Kinder anschaut, könnte meinen, nur der sei ein ganzer Mensch, der an die Spitze mindestens einer Grossbank aufsteige. Früher hat wenigstens Bundesrat noch gereicht. Auch der Abschluss einer Matura will spätestens im Kindergarten in die Wege geleitet sein. Ob die Betroffenen ihr Lebensglück darin finden, scheint nicht besonders zu interessieren.

In den Unternehmen geht es weiter: Wenn Sie weiterkommen wollen, dann müssen Sie... Sicher müssen Sie, wenn Sie weiterkommen wollen. Aber wer sagt denn, dass Sie weiterkommen wollen müssen?

Karriere machen zu wollen, ist keine Pflicht. Ehrgeiz kann man dennoch haben. Zum Beispiel den Ehrgeiz, seinen Job gut, professionell, im Dienste des Unternehmens und der Kunden, womöglich Tag für Tag mit viel Spass und gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zu machen. Natürlich kann es auch sein, dass jemandem die erforderlichen Fähigkeiten fehlen, um Karriere zu machen. Hoffen wir, dass diese Personen wie auch ihre Chefinnen das rechtzeitig erkennen und von einer Beförderung absehen.

Unzulässig ist aber der Umkehrschluss: Wer keine Karriere machen will, dem fehlen noch lange nicht die Qualifikationen dazu. Er oder sie kann aus ganz anderen – und zwar sehr ehrbaren – Gründen zum Schluss gekommen sein, darauf zu verzichten. Vielleicht auch nur vorerst.

Sich in die Tasche zu lügen, gilt nicht

Wenn das bei Ihnen der Fall sein sollte, scheint mir dabei jedoch dreierlei wichtig:

Erstens, Sie selbst sollten darüber Bescheid wissen. Sie sollten sich über Ihre Motive (und die Gründe dafür) Klarheit verschafft haben. Sich in die Tasche zu lügen, gilt nicht.

Zweitens, Ihr Umfeld sollte darüber – wenigstens was Ihre Schlussfolgerung angeht – ebenfalls Bescheid wissen. Insbesondere Ihre Chefin, nahestehende Kollegen, Ihre Familie, vielleicht auch Ihr näheres privates Umfeld. Man «liest» Sie sonst falsch und unterstellt Ihnen womöglich mangelnde Fähigkeiten oder Faulheit oder Schlimmeres.

Drittens sollten Sie nicht urplötzlich vergessen, was Sie sich gedacht haben, wenn Ihnen plötzlich jemand trotzdem ein Karriereangebot macht. Natürlich dürfen Sie Ihre Meinung ändern. Aber Sie sollten nicht bloss auf den Glorienschein, der über dem Angebot zu leuchten beginnt, hereinfallen: Sie werden dabei kaum glücklich werden, denn der Glorienschein verblasst später mitunter ziemlich rasch.

Parallel dazu ist es natürlich wünschenswert, wenn in einem Unternehmen auch eine Kultur herrscht, die nicht allein die hierarchische Karriere wertschätzt. Auch Fachkarrieren (als Spezialist ohne Führungs- aufgaben) müssen gefördert werden. Und insbesondere muss sichtbar respektiert werden, dass es ebenfalls gut ist, wenn jemand einfach in seinem Job gut ist und das auch bleibt.

Entwickeln müssen Sie sich dennoch. Denn Ihr Job bleibt kaum über viele Jahre genau so, wie er ist. Den Zug verpassen dürfen Sie also nicht. Aber Ihr Zug muss nicht auf dem Gleis «Karriere» abfahren.